Videobeweis:Blinde Kuh

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Während Fernsehzuschauer, Internetnutzer und mitunter sogar Stadionbesucher zuverlässig erfahren, ob ein Tor regulär war oder nicht, muss sich der Schiedsrichter zunehmend auf seine limitierte Wahrnehmung beschränken.

Von Ulrich hartmann

Die unstrittige Wahrheit war dem Schiedsrichter Guido Winkmann keinen Blick wert. Nicht, dass er nicht gewollt hätte. Er durfte nicht. Am Samstag um 17.08 Uhr hätte der Unparteiische in der Schlussphase der Partie zwischen Borussia Dortmund und dem FC Ingolstadt nur einen Blick auf die Anzeigetafel unter dem Stadiondach werfen müssen, um in der dort vorgeführten Zeitlupen-Wiederholung zu erkennen, dass das soeben von ihm als regulär anerkannte Tor zum Dortmunder 1:0 wegen einer Abseitsstellung des Torschützen Pierre-Emerick Aubameyang irregulär war. Dabei ist unerheblich, ob Winkmann zur Anzeigetafel geschaut oder, wie er behauptet, gar nicht erst hingesehen hat - weil es ja eh nichts nützt.

Es ist eine deprimierende Tatsache im modernen Fußball: Während Fernsehzuschauer, Internetnutzer und mitunter sogar Stadionbesucher (und die Spieler auf dem Rasen) binnen Sekunden zuverlässig erfahren, ob ein Tor regulär war oder nicht, muss der Schiedsrichter sich zwingend auf seine limitierte Wahrnehmung beschränken - wie ein unbeholfener Tropf, der beim Partyspiel "Blinde Kuh" das Tuch vor Augen hat. Die ganze Welt kann mittels Technik Zeuge der Wahrheit werden - nur der bemitleidenswerte Spielleiter wird von den in Großbritannien beheimateten Regelhütern weiter für dumm verkauft. Noch.

Das Spiel in Dortmund zeigt aber auch: Nicht jede strittige Szene ist mit Bildern zu klären

Die Hartnäckigkeit im konservativen, für die weltweiten Fußballregeln zuständigen "International Football Association Board" bröckelt aber. Vor drei Jahren hat dieses Gremium des Weltverbands Fifa die Torlinientechnik gebilligt, und vor dreieinhalb Wochen beschloss es nun, Tests für die Nutzung von Videotechnik für Schiedsrichter zu forcieren.

In Deutschland ist man zum Wohle solcher Entwicklungen offenbar bereit, entsprechende Pilotprojekte zu übernehmen, wie sie bislang nur die Niederländer durchführen.

Aber selbst wenn der Videobeweis kommt, wird der Fußball nie hundertprozentig gerecht sein. Auch das hat die Partie in Dortmund gezeigt. Denn während das Tor von Aubameyang zum Dortmunder 1:0 unstrittig annulliert worden wäre, kann man über die beiden anderen umstrittenen Szenen auch nach der x-ten Ansicht den Superzeitlupe trefflich streiten. Ein bisschen Geschmackssache bleibt die Bewertung der zwei Kollisionen zwischen den Sportlern Mats Hummels und Dario Lezcano, die einen Elfmeter und ein Eigentor zugunsten Ingolstadts hätten zur Folge haben können.

Solche Szenen, die auch ein Videoreferee nicht abschließend aufklären könnte, wären aber genug der Unwägbarkeiten beim Fußball. Alles andere gehört der Gerechtigkeit halber in naher Zukunft technisch überwacht.

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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