VfB Stuttgart:Erste Absetzbewegungen

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Nach dem 0:2 in der Champions League gegen Lyon greift VfB-Manager Horst Heldt erstmals scharf seine Spieler an. Es ist die nächste Krisen-Dimension dieses taumelnden Klubs.

Thomas Hummel

Wenigstens auf dem letzten Weg wirkte der VfB Stuttgart wie eine Einheit. Kompakt verschob sich die Mannschaft über den Rasen, stellte die Räume geschickt zu und ging dorthin, wo es weh tat. Sehr weh sogar. Der Weg zu den Fans nach dem 0:2 gegen Olympique Lyon wurde für die Spieler zu einem öffentlichen Bußgang, Pfiffe und Schimpftiraden gellten ihnen entgegen. Wer diesen einst so eindrucksvollen Stuttgarter Fußballern weiter das Beste wünscht, dem tat das Zuschauen weh, wie diese verzagte Gruppe mit hängenden Köpfen und Schultern, teilweise im zerschlissenen Unterhemd einen qualvollen Schritt nach dem anderen machte und sich dann für die Unterstützung bedankte.

Dann mach doch lieber die Augen zu: Mario Gomez kann nicht mehr hinsehen (Foto: Foto: Reuters)

Ihr Trainer Armin Veh schien vor Schmerzen zu keiner Bewegung mehr fähig. Er saß in diesen Minuten nach dem Abpfiff regungslos auf seinem Stuhl und blickte seiner Mannschaft hinterher. Er wusste, dass sein Bußgang noch bevorstand. Die versammelte Presse wartete wieder einmal auf Erklärungen, auf Rezepte, wie der Klub aus dieser unglaublichen Krise herauskommen kann. In der Bundesliga liegt der Deutsche Meister nur noch einen Punkt vor den Abstiegsrängen. Und die so lange ersehnte Champions League ist für den Verein zu einer tonnenschweren Last geworden. "Wir sind momentan nicht in der Lage, mit den Besten Europas mitzuhalten", sagte Veh. Er bestätigte damit den Eindruck der Tabelle in der Gruppe E: Nach drei Spielen ist Stuttgart hier Letzter mit null Punkten und 1:6 Toren.

Veh konnte auch 40 Minuten nach dem Spiel seine Enttäuschung nicht verbergen. Wie bei seinen Spielern hingen seine Schultern auf dem tiefstmöglichen Stand, der Blick ging nach unten, die Stimme war leise und monoton. "Wir haben uns bemüht, aber es langt einfach nicht", sagte er. Dabei machte er die Leistung seiner Mannschaft fast schlechter als sie war. "Wir sind nicht in der Lage dagegenzuhalten." Gerade in der ersten Halbzeit zeigte der VfB durchaus gute Ansätze, kombinierte phasenweise schnell nach vorne, brachte allerdings den letzten Pass in die Spitze nicht an. Und so monierte Pavel Pardo zurecht: "Wenn man nur eine Torchance im ganzen Spiel hat, kann man nicht gewinnen."

Richtig deprimierend indes war das Verhalten der Mannschaft nach dem 0:1 der Franzosen zehn Minuten nach der Pause. Während der VfB in der vergangenen Saison (und das ist gerade mal fünf Monate her) dafür berüchtigt war, selbst in aussichtslosen Situationen noch zurückzukommen, mit grenzenlosem Willen und unerschütterlichem Glauben an die Wende, zerfallen die Stuttgarter der Saison 2007/08 nach einem Gegentore wie eine aufgebrochene alte Semmel. Plötzlich stolpert Roberto Hilbert über den Ball, überlässt Mario Gomez denselben ohne Gegenwehr seinem Gegenspieler, flankt Pavel Pardo Freistöße Richtung Fanblock. Das alles war schon in den vergangenen Spielen zu sehen - doch gegen Lyon erreichte die Krise eine neue Dimension, die nächste Stufe im scheinbar unaufhaltsamen Abstieg dieser Mannschaft.

Als schon keiner mehr an ein glückliches Ende dieses Abends glaubte, gingen einige Stuttgarter dazu über, ihre Mitspieler mit abfälligen Gesten zu bedenken. Angesprochen auf diese Szenen, veränderte sich bei Manager Horst Heldt unvermittelt der sonst so weiche verständnisvolle Ton. "Wenn ich das noch einmal erlebe, werde ich dazwischen hauen. Hier soll keiner meinen, die Spielweise einen anderen kommentieren zu müssen. Solche Spieler werden in einer Situation landen, die sie sich in ihren kühnsten Träumen nicht ausmalen können." Man könne sich auf dem Spielfeld anschreien und sich die Meinung sagen. "Aber wenn einer abwinkt, dann hat er ein Problem."

Es war das erste Mal, dass Veh oder Heldt in scharfer Weise ihre Spieler kritisierten. Auf wen sich diese Schimpftirade bezog, wollte Heldt zwar nicht sagen, doch die Mehrzahl der Beobachter kam auf die Namen Cacau und Mario Gomez. Doch egal wer, Heldts "Dazwischenhauen" ist das nächste, fast zwangsläufige Symptom eines taumelnden Fußball-Klubs - zuerst schützen sich die Beteiligten gegenseitig, zeigen sich im Glauben, dass alles schon wieder wird. Es folgen Absetzbewegungen der Verantwortlichen von der Mannschaft und am Ende, ja, am Ende trifft es den Trainer.

Beim letzten Schritt ist man in Stuttgart offenbar noch nicht. Doch das Umfeld in Schwaben gehört nicht zu den stillen Biotopen der Liga, die Granden im Hintergrund werden bei einem dauerhaften Niedergang wohl nicht stillhalten. Schon am Sonntag und Montag nach dem desolaten 1:4 in Hamburg kam es zu stundenlangen Treffen in der VfB-Zentrale, bisher ist allerdings noch nichts nach außen gedrungen, auch weil Präsident Erwin Staudt und der Vorsitzende des Aufsichtsrates Dieter Hundt noch stillhalten.

Sollte die Reaktion der Zuschauer indes ein Gradmesser sein, neigt sich die Geduld beim Meister dem Ende entgegen. Unter die aggressiven Pfiffe mischte sich vor allem Hoffnungslosigkeit. Am Samstag kommt Bayer Leverkusen ins Gottlieb-Daimler-Stadion, Trainer Veh wird dann neben sechs verletzten Stammkräften noch die gesperrten Pardo und Meira ersetzen müssen. Doch wie es auch kommt, dieses letzte kompakte Verschieben will der VfB Stuttgart auf jeden Fall beibehalten. Das sei zwar kein einfacher Gang, sagte Heldt, aber er erwarte von der Mannschaft, sich bei den Zuschauern zu bedanken. "Wir werden das auch weiterhin tun." Sind die Schmerzen dabei auch noch so groß.

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