Venus Williams:Über Gras bis nach Palm Beach

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Das Turnier von Wimbledon erzählt noch einmal die Geschichte, wie Venus Williams dem Ghetto von Los Angeles entkam.

Josef Kelnberger

Venus Williams kichert manchmal ohne ersichtlichen Anlass, albern wie ein Teenager. Aber man darf sich nicht täuschen. Wenn sie glaubt, es komme ihr jemand blöd, kontert sie mit der Gewalt, die in ihren 200-km/h-Aufschlägen steckt. Das bekam der arglose Fragesteller zu spüren, der sie vergangene Woche in Wimbledon in einer Pressekonferenz als Außenseiterin bezeichnete. Venus Williams war gerade an einer Niederlage in der dritten Runde gegen die Japanerin Morigami vorbeigeschrammt - man nannte sie nun also Außenseiterin, soso? "Wenn ich in meinem Leben immer auf andere Leute gehört hätte, würde ich noch in Compton leben'', erwiderte Williams, in Anspielung auf den berüchtigten Vorort von Los Angeles, in dem sie aufgewachsen ist. "Ich lebe jetzt aber in Palm Beach Gardens, Florida. Und es ist übrigens sehr schön dort.''

Venus Williams: gut gelaunt nach dem Sieg in Wimbledon. (Foto: Foto: dpa)

Es gibt in Amerika nicht viel weitere Wege als jenen von Compton nach Palm Beach Gardens. Venus Williams und ihre Familie haben den Umweg über Wimbledon genommen, eine genau so große Entfernung. Am Samstag gewann Williams mit einem 6:4, 6:1 gegen die Französin Marion Bartoli ihren vierten Titel in London Südwest nach jenen der Jahre 2000, 2001, und 2005. Es war der am wenigsten erwartete, denn er fällt schon in die Spätphase ihrer Karriere. Mit 27 leitet sie eine Innenarchitektur-Firma (V Starr Interiors), sie geht Hobbys wie Musik und Schauspielerei nach und verbringt viel Zeit mit ihrem Lebensgefährten, dem Profigolfer Hank Kuehne. Zudem plagte sie sich monatelang mit einer Handgelenksverletzung herum. Nun ist Venus Williams mit vier Titeln in die Liga von Billie Jean King, Martina Navratilova und Steffi Graf aufgestiegen. Niemand hat in Wimbledon öfter gewonnen als die vier Spielerinnen, seit es Profitennis gibt, und keine hat besseres Rasentennis gespielt als Venus Williams. Marion Bartoli findet, Williams sei "unschlagbar'' auf Rasen. Das ist sie wohl wirklich, wenn ihr Körper mitspielt und wenn sie Lust auf Tennis hat. Und nirgends hat sie mehr Lust als in Wimbledon.

Trotz Zerrung unantastbar

"Ich weiß, wann ich den Ball hoch und wann ich ihn flach spielen muss, ich weiß genau, wie der Ball springt'', sagt die Amerikanerin. ,,Wenn ich einen Lieblingsbelag wählen würde, dann wäre es das Gras von Wimbledon.'' Auf ihrem geliebten Gras können ihr die Gegnerinnen keinen größeren Gefallen tun, als sie von einer Ecke des Platzes in die andere zu hetzen. Sie rennt schneller und schlägt härter als alle anderen. Das bekam im Achtelfinale Maria Scharapowa zu spüren im brutalsten Frauenmatch, das Wimbledon erlebt hat. Marion Bartoli schaffte es im Finale immerhin, ein 0:3 im ersten Satz wettzumachen. Eine Chance zu siegen hatte sie nie, obwohl Williams im zweiten Satz sichtlich von einer Adduktorenzerrung behindert wurde.

Bartoli fand vor dem Match einen Blumenstrauß von Pierce Brosnan in der Umkleide vor. Ihr Lieblingsschauspieler hatte sie am Freitag als Tribünengast zum Sieg gegen die Weltranglisten-Erste Justine Henin inspiriert. Am Samstag ging der James Bond außer Diensten anderen Verpflichtungen nach, aber er hätte wieder seine Freude gehabt an der 22-jährigen Französin. Selbst bei den Aufschlägen der Amerikanerin blieb sie tapfer an der Grundlinie stehen, obwohl die Wucht des Balles ihren Körper erschütterte. Am Ende taten Bartoli die Handgelenke weh. Die Französin ist mit 1,70 Meter einen Kopf kleiner als Venus Williams, doch in ihrer Entschlossenheit sind die beiden wesensverwandt. Passenderweise umarmte Vater-Coach Williams bei der Siegerehrung den hinter ihm stehenden Vater-Coach Bartoli und flüsterte ihm Aufmunterndes zu. Das erste Wimbledonturnier, bei dem der All England Club den Frauen das gleiche Preisgeld wie den Männern bezahlte, hatte ein würdiges Frauenfinale mit einer würdigen Siegerin gesehen.

Venus Williams war es gewesen, die mit einem Offenen Brief in der Londoner Times den Widerstand der Veranstalter gegen gleiches Preisgeld brach. Der All England Club stehe "auf der falschen Seite der Geschichte'', argumentierte sie, wenn er den Mädchen signalisiere, sie würden weniger leisten als Jungs. Sogar Ministerpräsident Tony Blair stellte sich an ihre Seite. Venus Williams hat damit erneut Sportgeschichte geschrieben. Als erste schwarze Spielerin nach Althea Gibson 1957 gewann sie 2000 in Wimbledon. Im Jahr darauf trieb sie den Frauensport in ungeahnte finanzielle Dimensionen, als sie mit Reebok einen Sponsorvertrag über 40 Millionen Dollar abschloss. Welche Ziele sie nun verfolgen wird, weiß sie selbst nicht genau.

Der Körper, ausgezehrt vom Tennisdrill, setzt Venus Williams Grenzen. Auch ihre Schwester Serena, die in Wimbledon humpelnd an Justine Henin gescheitert war, spürt den Verschleiß. Wenn die beiden gesund sind, sind sie schwer zu schlagen. Venus hat jetzt sechs Grand-Slam-Titel auf dem Konto und will versuchen, Serena einzuholen, die Anfang des Jahres ihren Titel Nummer acht bei den Australian Open gewann. Bei den USOpen, sagt Venus, solle man sich auf ein Finale der beiden Schwestern einstellen.

In einem Minikleid mit Kuhhautmuster verabschiedete sich die Siegerin am frühen Samstagabend aus Wimbledon. So etwas trägt man wohl in Palm Beach Gardens, Florida. Und auch in Wimbledon findet man es mittlerweile angemessen.

© SZ vom 9.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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