Usain Bolts Sieg :Heiße Ware

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Im flirrenden Farbenspiel der Sprinter sind die übrigen Leichtathleten nur Statisten. Dabei bieten auch diese gute Geschichten.

Von Johannes Knuth, Peking

Am Tag danach vereinte der Mann des Abends noch immer alle Superlative auf sich. "Historisch" sei seine Darbietung gewesen, er sei ein "Pionier", ach was, ein "Super-Held", ein "Darling der Leichtathletik". Su Bingtian aus der südchinesischen Provinz Guandong, da war sich Chinas Presse am Montag einig, war die große Nummer gewesen im Finale über 100 Meter am Sonntag im Pekinger Vogelnest. Er hatte es ja als erster Chinese in ein WM-Finale geschafft. Ach ja, Usain Bolt, der alte und neue Weltmeister aus Jamaika, habe sich auch ganz ordentlich geschlagen, fand die Zeitung China Daily: "Usain Bolt hat mal wieder sein Bestes gegeben, wenn es am meisten darauf ankam."

Außerhalb von China war es aber dann doch weitgehend Usain Bolt, der die Nachrichtenspalten gefüllt hat am Montag, bei der Leichtathletik-WM in Peking. Was er sagte, das war gar nicht so wichtig, Bolt ist ja schon dann eine Attraktion, wenn er einfach da ist. Und jetzt, als frisch gekürter Weltmeister, der sich nach diversen Verletzungen in dieser Saison im Finale gerade noch vor dem Amerikaner Justin Gatlin durchs Ziel geschoben hatte, waren seine Worte richtig heiße Ware. Er werde früh ins Bett gehen, sagte Bolt, er habe noch die Titel über 200 Meter und mit der Staffel zu verteidigen. Bolt ergänzte: "Ich ernähre mich sogar gesünder, esse Gemüse und so." Vieles drehte sich dann noch um Medaillen und Rekorde, wie immer eigentlich in den vergangenen Jahren. Ist jetzt alles wieder gut in der krisenbefleckten Weltleichtathletik, weil der noch nie positiv getestete Usain Bolt den zweimal überführten Doper Justin Gatlin aus Amerika besiegte, ihm somit den Zutritt zum meistbeachteten Amt im Leichtathletik-Staate verwehrte? Solange nicht bekannt ist, welche Geschichten hinter den Athleten stecken, die am Sonntag durch die flirrende Atmosphäre des Vogelnests rauschten - solange kann man die Sprint-Gemeinde kaum pauschal in Gut und Böse teilen.

Hauptdarsteller im Leichtathletik-Theater: Die Sprint-Rivalen Usain Bolt (rechts) und Justin Gatlin ziehen alle Aufmerksamkeit auf sich. (Foto: imago/Belga)

Die Leichtathletik führt 47 Disziplinen in ihrem Portfolio, ihre Vielfalt macht sie stark und schwach zugleich. An guten Abenden verdichten sich ihre Leistungen wie lauter schimmernde Mosaiksteine, die ein farbenprächtiges Bild ergeben. Manchmal überlagert sich dieser Sport aber auch selbst, dann raubt eine Disziplin der anderen die Aufmerksamkeit, die deutsche Kugelstoß-Weltmeisterin Christina Schwanitz hatte das vor der WM so beschrieben: "Man steht auf dem Platz, aber man hat nicht das Gefühl, dass es irgendjemand mitkriegt." Und dann hat es ab und zu den Anschein, als verschwinde die Leichtathletik hinter ein, zwei Sprintern.

Man kann in diesen Tagen in Peking Weltmeister werden, Held für einen Tag, und doch ist man nur Statist in einem flirrenden Farbenspiel. Da war die Britin Jessica Ennis-Hill, die Olympiasiegerin im Siebenkampf, die vor 13 Monaten Sohn Reggie zur Welt gebracht hatte. Nach der Geburt war sie erst einmal nicht in der Lage, länger als 15 Minuten auf dem Fahrrad-Fitnessgerät in ihrer Garage zu strampeln, die WM in Peking hatte sie fast schon aus ihrem Terminkalender genommen. Am Sonntag gewann sie mit 6669 Punkten. Oder der Kugelstoßer Joe Kovacs aus Pennsylvania, der einiges erzählen kann über die Reise zu seiner ersten Goldmedaille bei seiner ersten WM. Wie sein Vater starb, als er sieben Jahre alt war, wie seine Mutter die Familie durchbrachte, ihn in der High School für den Sport begeisterte. Allzu viele hörten ihm allerdings nicht zu.

Bolt und Gatlin liefen gerade ihr Finale.

Manche diktieren sogar die Schlag- zeilen, obwohl sie in Peking gar nicht dabei sind. Robert Harting zum Beispiel, der Olympiasieger im Diskuswerfen, der sich gerade von seiner Kreuzbandverletzung erholt. Man kann Harting schon verstehen, dass er den Sprintern am Sonntag nicht bei deren Arbeit zuschauen mochte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten vier ehemalige Dopingsünder im Finale rote Startnummern getragen, Gatlin wegen Testosteron-Dopings, dazu Tyson Gay (Steroide), Asafa Powell und Mike Rodgers (beide Stimulanzien). "So weiß der Fan zu Hause am Fernseher direkt, dass der Athlet schon einmal betrogen hat", sagte Harting der Bild am Sonntag. Ob das alle Tiefen der Debatte erfasst, darf man ruhig anzweifeln. Ist nicht jeder Dopingfall einzeln zu bewerten? Muss der Athlet, dem ein Nahrungsergänzungsmittel versehentlich ein Stimulanz in den Körper spülte, die gleich gefärbte Nummer tragen wie ein Athlet, der mit Blutdoping oder Steroiden auffiel? Darf sich derjenige, der mit den Behörden kooperiert und seine Sperre runterhandelt, wieder eine normale Nummer ans Trikot heften? Und benötigt die Leichtathletik vielleicht nicht einfach bessere Testmethoden, unabhängige Ermittler, Kronzeugenregelungen, um das System des Betrugs zu entblättern. Anstatt einzelne Athleten anzuprangern?

Von Gatlin wird man demnächst wohl weniger hören und lesen

Die Leichtathletik, das konnte man aus dem umtosten Sprintfinale ableiten, wird etwas länger als Bolts 9,79 Sekunden vom Sonntag benötigen, um sich von ihrer schweren Glaubwürdigkeitskrise zu befreien. Dass Bolt dabei vom Licht der Aufmerksamkeit (und des Zweifels?) gewärmt wird, damit haben die anderen gar kein allzu großes Problem. "Er hat den ganzen Druck", hat seine Landsfrau Shelly-Ann Fraser-Pryce einmal gesagt, die am Montag die 100 Meter in 10,76 Sekunden gewann. Und von Justin Gatlin wird man demnächst wahrscheinlich auch etwas weniger lesen, zumindest in der britischen Presse. Er werde den Zeitungen auf der Insel nach diversen unbequemen Artikeln erst einmal keine Interviews mehr geben, teilte sein Berater mit.

© SZ vom 25.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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