Urteil des BGH:David besiegt Weltverband

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Sieg beim BGH: Wilhelmshaven-Präsident Hans Herrnberger (re.) und Aufsichtsrat Harald Naraschewski. (Foto: Uli Deck/dpa)

Der Zwangsabstieg des Amateurklubs SV Wilhelmshaven gemäß Fifa-Regeln war unwirksam, weil der Verein Mitglied des norddeutschen Verbands ist.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Sportfans lieben solche Geschichten - und Sportfunktionäre eigentlich auch: Klein tritt gegen Groß an, die Chancen stehen eins zu hundert, doch irgendwie gelingt, man kennt das vom DFB-Pokal, dem VfR Rumpelhausen das Unmögliche. Eine Variante davon spielte nun in einem Gerichtssaal in Karlsruhe, nur wird der Überraschungssieg die Funktionäre diesmal nicht gefreut haben: Der SV Wilhelmshaven, Zweiter der Bezirksliga Weser-Ems 2, hat vor dem Bundesgerichtshof den Weltfußballverband Fifa bezwungen.

Die Geschichte begann 2007, als der SVW den Spieler Sergio Sagarzazu verpflichtete, einen 19-Jährigen mit italienischem Pass, der zuvor bei Atlético River Plate und Atlético Excursionistas gespielt hatte. Für Wilhelmshaven sollte er nur genau 622 Minuten auf dem Platz stehen, aber laut Fifa-Reglement sollte der Verein eine Ausbildungsentschädigung in Höhe von 157 500 Euro an die argentinischen Klubs zahlen. Wilhelmshaven weigerte sich. Zum Saisonende 2014 wurde dann der Zwangsabstieg verfügt - Wilhelmshaven musste die Regionalliga Nord verlassen.

Der Weltverband hatte sogar gedroht, die Nationalelf zu sperren, sollte der DFB diese Fifa-Sanktion nicht vollstrecken.

Der Siebtligist verlangt auch die Wiedereingliederung in die viertklassige Regionalliga

Der BGH hat nun entschieden: Der Zwangsabstieg ist unwirksam. Weil das Fifa-Reglement gar nicht bis Wilhelmshaven reicht - jedenfalls, was die Instrumente des Weltverbands angeht, um Vereine zu disziplinieren. Denn der SVW ist nicht Mitglied der Fifa, sondern des Norddeutschen Fußballverbandes, der die Sanktion umsetzte und deshalb in Karlsruhe Prozessgegner war. Und in der Verbandssatzung steht nichts von Zwangsabstieg. Zwar wurde dort in allgemeiner Form auf die Fifa-Regeln Bezug genommen, doch weil Zwangsabstieg eine harte Strafnorm ist, müssen die Voraussetzungen klar und unmissverständlich geregelt sein. Der diffuse Verweis auf die Fifa-Regeln reichte nicht.

Gleichwohl sind die Konsequenzen des Urteils für den Ligabetrieb erst mal überschaubar. Die Verbände werden ihre Regeln anpassen müssen: "Gegebenenfalls notwendige Satzungsänderungen müssten umgehend auf den Weg gebracht werden", sagte der DFB-Vize Rainer Koch. Der Norddeutsche Fußballverband hat dies nach Angaben von Markus Schneider, Anwalt für Sportrecht in Karlsruhe, bereits getan. Der DFB kündigte eine sorgfältige Analyse des Urteils an. Sind die Regeln repariert, reicht die Macht der Fifa wieder bis in die entlegenen Winkel der Republik.

Das heißt: falls solche Ausbildungsvergütungen überhaupt rechtens sind. Zweifel daran gibt es deshalb, weil dafür Pauschalen gelten, die nicht an den tatsächlichen Kosten einer Ausbildung ansetzen, sondern an dem Betrag, den sich ein Verein durch die Neuverpflichtung erspart hat. Länder, in denen kostengünstig ausgebildet wird, profitieren von dem System, das damit eine Art Finanzausgleich zugunsten armer Vereine ist. Nach Schneiders Worten stehen aber sowohl der BGH als auch der Europäische Gerichtshof solchen Pauschalen skeptisch gegenüber. Der BGH etwa hatte 1999 eine Ausbildungsvergütung als rechtswidrig eingestuft, weil der Spieler, dessen Transfer an der Vergütung scheitere, in seiner Berufsfreiheit beeinträchtigt sei. Im aktuellen Fall hatte der BGH in der Verhandlung einen möglichen Konflikt mit der EU-Freizügigkeit thematisiert, aber die Frage im Urteil offengelassen.

Und was heißt der Spruch jetzt für den SV Wilhelmshaven? Harald Naraschewski vom Aufsichtsrat des Vereins rechnet mit einer siebenstelligen Schadensersatzsumme: "Der DFB und der Norddeutsche Fußballverband sind in der Bringschuld." SVW-Präsident Hans Herrnberger sagte dem Sender Sky: "Hier hat wirklich David gegen Goliath gewonnen. Es ist ein wundervolles, befreiendes Gefühl, dass dieser lange Weg durch die Instanzen ein erfolgreiches Ende genommen hat." Natürlich werde der Verein - neben Schadensersatz - auch "die Wiedereingliederung in die Regionalliga verlangen". Das wäre ein rapider Aufstieg um gleich drei Ligen. Das ist zwar nicht ohne Beispiel, 2003 hatte der Schweizer Verein FC Sion wegen finanzieller Schwierigkeiten seine Spielklasse verlassen müssen, durfte dann aber nach einem gewonnenen Prozess wieder zurückkehren - sogar nach begonnener Spielzeit. Aber ob der inzwischen bis in die siebte Liga durchgereichte SVW tatsächlich zur Saison 2017/18 wieder in die Regionalliga eingegliedert werden kann, ist fraglich.

Rechtlich könnte man auch anders argumentieren: Weil man einen Zwangsabstieg nach vier Jahren nicht sinnvoll rückgängig machen kann, werden die Konsequenzen der rechtswidrigen Sanktion insgesamt finanziell ausgeglichen. Und da kann man nur hoffen, dass Verband und Verein sich einigen. Ansonsten droht ein weiterer langer Rechtsstreit. Wie hoch der Schadensersatz ausfallen muss, das ist eine Rechenaufgabe im Konjunktiv: Wie hätte sich der Verein entwickelt? Welche Sponsorengelder hätte er an Land ziehen können? Oder war er damals sportlich ohnehin auf dem absteigenden Ast? Neun Jahre hat der Streit schon gedauert - es könnten noch ein paar dazukommen.

© SZ vom 21.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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