Umstrittener Videobeweis:Pfiff vorm Tor

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Der 1. FC Köln hofft nach dem 0:5 auf ein Wiederholungsspiel gegen Borussia Dortmund - auch wenn die Aussichten dafür schlecht stehen dürften.

Von Johannes Aumüller, Dortmund/Frankfurt

Auch am Tag nach dem umstrittenen Pfiff blieben die Verantwortlichen des 1. FC Köln stur. "Wir können nicht so tun, als sei nichts passiert. Wir wollen wissen, wie die Rechtslage ist", sagte Manager Jörg Schmadtke. Und auch wenn sein Verein eine endgültige Entscheidung über das weitere Vorgehen auf Dienstag vertagte, so beschert er dem Fußball eine spannende sportjuristische Debatte: Im Raum steht die Kölner Ankündigung, gegen die Wertung des Spiels gegen Dortmund (0:5) Protest einzulegen und ein Wiederholungsspiel anzustreben - wegen eines angeblichen Regelverstoßes des Schiedsrichters.

Auslöser ist eine Szene kurz vor der Pause, beim Stand von 0:1. Nach einer Ecke gingen nahe der Fünf-Meter-Linie Kölns Torwart Timo Horn und Verteidiger Dominique Heintz sowie Dortmunds Sokratis zum Ball. Horn ließ den Ball fallen, Sokratis schoss ihm durch die Beine ins leere Tor. Doch Sekundenbruchteile, bevor der Ball über die Linie rollte, pfiff Schiedsrichter Patrick Ittrich. Er hatte ein Foul von Sokratis an Horn gesehen. Aber dann nahm er Kontakt mit Video-Assistent Felix Brych auf, der sich die Szene am Monitor noch einmal anschauen konnte. Und der Kollege befand, es sei kein Foul gewesen. Also revidierte Ittrich seine Entscheidung: Tor!

Die TV-Bilder waren klar. Doch die Kölner sind trotzdem zornig. Ihr Argument: Ittrich habe bereits abgepfiffen und auf Foul entschieden, bevor der Ball ins Tor ging. Damit war das Spiel unterbrochen. Und damit hätte gar keine Konversation mit dem Video-Schiedsrichter stattfinden dürfen. Dieser darf laut Reglement nur bei klaren Fehlern und in vier Fällen zum Einsatz kommen - eine als Offensivfoul geahndete Aktion im Strafraum gehört nicht dazu.

Nun ist der Vorgang ein Fall fürs Sportrecht. Wichtig ist zunächst die Unterscheidung zwischen der "Tatsachenentscheidung" (Schiedsrichter nimmt eine Szene falsch wahr) und dem "Regelverstoß" (Schiedsrichter handelt statutenwidrig). Die Grenzen zwischen den Begriffen sind bewusst schwammig: Die Verbände behalten so die Deutungshoheit und können sportpolitische Interessen berücksichtigen. Eine Spielwiederholung ist grundsätzlich nur bei einem Regelverstoß möglich.

Im deutschen Profifußball ordnete das Sportgericht in den Neunzigern drei Mal eine Wiederholung wegen eines Regelverstoßes an. 1997 pfiff der Schiedsrichter bei 1860 München versus Karlsruhe inmitten eines KSC-Angriffs ein Foul eines Löwen-Spielers; doch als aus dem Angriff noch ein Tor entstand, gab er es. Ein Jahr zuvor sah bei Leipzig gegen Chemnitz ein Spieler Gelb-Rot, obwohl der nicht verwarnt worden war; als der Schiedsrichter das feststellte, zückte er Rot. Und auch beim Phantomtor des FC-Bayern-Spielers Thomas Helmer gegen Nürnberg 1994 gründete die Wiederholung formal auf einem Regelverstoß: Es habe keine korrekte Beratung zwischen Schieds- und Linienrichter gegeben.

Allerdings führte nur dieses Phantomtor auch zu einem Wiederholungsspiel. In den beiden anderen Fällen überstimmte der Weltverband Fifa das DFB-Gericht. Es habe sich um Tatsachenentscheidungen gehandelt, die sind der Fifa heilig. Sie verband das mit sportpolitischen Drohungen, der DFB knickte ein. Seitdem gab es kein Urteil mehr für ein Wiederholungsspiel - nicht mal, als der am Tor vorbeigeköpfelte Ball des Leverkuseners Stefan Kießling 2013 gegen Hoffenheim als Treffer zählte.

Nun wäre im Kölner Fall die erste Frage: Liegt ein Regelverstoß vor - oder lässt sich der Ablauf irgendwie als Tatsachenentscheid darstellen? Dafür ist unter anderem die Stellungnahme des Schiedsrichters wichtig. Ittrich wollte sich öffentlich zunächst nicht äußern. Zudem teilte das für Fußball-Regeln zuständige Ifab-Gremium mit, dass gemäß Reglement eine falsche Entscheidung des Video-Assistenten kein Anlass für eine Wiederholung sei. Allerdings ist die Frage, ob dieser Passus für den Fall relevant ist. Denn der monierte Regelverstoß bezieht sich nicht darauf, wie der Video-Assistent eingriff, sondern auf das Verhalten des Referees auf dem Platz.

Die Chancen auf eine Wiederholung gelten als gering. Nicht möglich ist gemäß DFB-Regeln eine Teil-Wiederholung des Spiels, die bei Minute 45 und dem Stand von 1:0 einsetzt.

© SZ vom 19.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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