Ukraine:Im Auftrag des Präsidenten

Lesezeit: 3 min

Teil der gefürchteten Flügelzange: Jewgenij Konopljanka, der wohl talentierteste Spieler des Landes, kickt seit Sommer für den FC Sevilla. (Foto: Newspix/imago)

Der Auftaktgegner der deutschen Nationalelf soll bei der EM auch eine politische Rolle spielen. Die sportliche Qualität ist unklar.

Von Johannes Aumüller, Kiew/München

Die Anordnung des Mannschaftsfotos war etwas ungewöhnlich. 33 Personen drängten sich aufs Bild, alle standen sie nebeneinander in einem Halbkreis: Spieler, Trainer und Funktionäre, und in der Mitte ein rundlicher Mann, dessen Biografie kaum einen brauchbaren Schuss oder Pass verzeichnet hat, der aber als einziger der Anwesenden einen Ball mit sich führen durfte - der Präsident des Landes, Petro Poroschenko. Als die ukrainische Fußball-Nationalelf Ende November mit einem Erfolg gegen Slowenien ihren jahrelangen Play-off-Fluch beendet und sich für die EM-Endrunde 2016 in Frankreich qualifiziert hatte, lud der Schokoladen-Oligarch in einen schicken Saal seines Kiewer Präsidentenpalastes und gab dem Team gleich eine staatstragende Parole mit auf den Weg. Dieser Sieg sei "eine große Ehre für die Ukraine" - und ganz, ganz wichtig für die Einheit des Landes.

Dass Politiker erfolgreiche Fußballer empfangen und als Botschafter in eigener Sache einsetzen wollen, gehört in vielen Ländern zum Protokoll. Aber in der Ukraine, beim ersten deutschen Gruppengegner bei dieser EM, ist die Situation noch einmal eine besondere. Der Krieg hat das Land schwer getroffen, im Osten stehen sich noch immer die ukrainische Armee sowie die Vertreter der Separatisten gegenüber. Ständig kommt es zum Bruch der vereinbarten Waffenruhe. Unabhängig von den militärischen Zwischenfällen ist keine Lösung in Sicht, die zu einer vollständigen Wiedervereinigung führt. Aber das darf die politische Führung so natürlich niemals zugeben, und da kommt ihr der Fußball jetzt gerade recht, um zumindest ein Signal der Einheit zu setzen.

In der entscheidenden Partie gegen Slowenien standen in der Startelf - natürlich rein zufällig - je vier Akteure des Hauptstadt-Klubs Dynamo Kiew und von Schachtjor Donezk. Der Verein stammt aus dem Zentrum des abtrünnigen Ostens und hat dort nach wie vor eine große Sympathie-Basis, auch wenn er seine Heimspiele aus Sicherheitsgründen schon seit Langem in der Westukraine austrägt. "Wir werden die Farben des Landes und seine Einheit verteidigen. In dieser schwierigen Situation sollte die Ukraine zusammenstehen wie nie zuvor", sagte bei Poroschenkos Empfang der frühere FC-Bayern-Profi Anatolij Timoschtschuk, der inzwischen beim FK Qairat Almaty in Kasachstan seine Karriere ausklingen lässt und nicht mehr zur Startformation der Nationalelf gehört, aber immer noch als Spielführer firmiert.

Doch ob es in Frankreich auch jenen sportlichen Erfolg zu sehen gibt, den sich die Machthaber zum Zelebrieren der blau-gelben Einheit so wünschen, ist fraglich. Gemäß des Einteilungssystems von Europas Fußball-Union (Uefa) landete die Ukraine bei der Auslosung in Topf zwei und darf sich somit als formal stärkster deutscher Gruppengegner fühlen, aber das glauben viele Beteiligte im Land nicht mal selbst. Ihnen ist bewusst, dass sie ihre Qualifikations-Gruppe nur als Dritter abgeschlossen haben; sie wissen, dass sie nur dank der Aufstockung des Teilnehmerfeldes in die Endrunde vorgedrungen sind.

Immerhin aber verfügen sie über eine, vor allem von Donezker Akteuren gebildete stabile Abwehr, die in der Qualifikation nach Rumänien, England und Spanien die wenigsten Treffer kassierte - und über eine auffallende Flügelzange. Auf der einen Seite marschiert Jewgenij Konopljanka, der talentierteste Profi des Landes, der im Sommer zum FC Sevilla wechselte; auf der anderen Seite ergänzt ihn der Kiewer Andrej Jarmolenko, der Angebote aus dem westeuropäischen Ausland bisher stets ablehnte, dort aber durchaus reüssieren könnte. An überzeugenden Gestaltern fehlt es der Elf jedoch ebenso wie an gefährlichen Vollstreckern im Sturmzentrum.

Andrej Schewtschenko läuft sich schon länger für das Amt des Nationaltrainers warm

Zudem ist fraglich, wer beim Turnier in Frankreich als Trainer auf der Bank sitzt. Durch die Qualifikation führte das Team der frühere Kiewer Innenverteidiger Michail Fomenko, der einst Gerd Müller und Karl-Heinz Rummenigge in Schach hielt, als Dynamo 1975 im europäischen Supercup-Finale den FC Bayern bezwang. Aber sein Vertrag lief am 30. November aus. Bei der Gruppenauslosung in Paris war er deswegen auch gar nicht dabei, sondern nur sein Assistent. Das Präsidium des ukrainischen Verbandes will am 18. Dezember beraten, wie es weitergeht. Zu viele Anhänger hat Fomenko nicht, eine Verlängerung ist trotzdem möglich - aber zugleich drängt im Hintergrund offenkundig der Fußball-Nationalheld Andrej Schewtschenko auf ein Engagement. Dass der langjährige Profi des AC Mailand, der nach der EM 2012 im eigenen Land seine Karriere beendete und sich danach eher dem Golfspielen widmete, irgendwann das Amt übernimmt, glauben viele. Die Frage ist nur, ob es schon vor der EM dazu kommt - oder im Fall eines schwachen Abschneidens erst danach.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: