Uefa-Cup, Viertelfinale:Renaissance der Dusel-Bayern

Lesezeit: 2 min

Mitleidlos demonstrieren die Bayern ihre Sonderstellung im deutschen Fußball und ziehen trotz vieler spielerischer Mängel in das Halbfinale des Uefa-Cups ein.

Das Gesicht, das eigentlich zu Oliver Kahn gehörte, hatte man so schon einmal gesehen. Es hatte damals auch diesen vor Freude entrückten, fast schmerzverzerrten Ausdruck gezeigt, und die Hände, die zu diesem Gesicht gehörten, hatten den Mitspieler Samuel Kuffour auf einem Hamburger Fußballfeld aus der Lethargie gerüttelt, wie fremdbestimmt eine Eckfahne malträtiert und wenige Tage später einige Elfmeter pariert. Es war die beste Saison in Oliver Kahns Karriere und einer der besten in der Klubgeschichte des FC Bayern gewesen. Am Ende waren der Gewinn des Meistertitels und der Champions League gestanden. Dieses Mal schlugen die schaufelartigen Hände dem armen Mark van Bommel nach dem 3:3-Sieg gegen Getafe auf die Nase, und als das Gesicht, das so sehr an 2001 erinnerte, wieder entzerrt war, blickte es in die Kamera, und Oliver Kahn sagte: "So etwas habe ich in 20 Jahren noch nicht erlebt."

Das Gesicht des Erfolges. (Foto: Foto: dpa)

Häufig ist Kahn so etwas wie ein Klub-Seismograph gewesen, bei dem sich Gefühlseruptionen noch viel stärker abzeichnen als bei anderen Spielern. Am nächsten kommt ihm diesbezüglich Manager Uli Hoeneß, der diesem unglaubhaften Uefa-Cup-Rückspiel gleichfalls einen epochalen Charakter attestierte: "Ich kann mich nicht erinnern, so ein Spiel schon einmal erlebt zu haben." Denn selten ist an einem Abend wie diesem so deutlich geworden, was den neuen alten Kahn und seine Bayern von den beiden anderen deutschen Europapokal-Viertelfinalisten unterscheidet.

Während sich Schalke 04 trotz mutigem Start durch ein Gegentor beim derzeit als indisponiert geltenden FC Barcelona einschüchtern ließ, Leverkusen in Sankt Petersburg seine Kapitulationsbereitschaft schon vor dem Anpfiff des Rückspiels mit mehreren Stammspielern auf der Bank signalisierte, schien der FC Bayern trotz gravierender spielerischer Mängel gegen Getafe in schier jeder Lage noch an das für ihn selbstverständliche Weiterkommen zu glauben - und erzwang letztlich die Renaissance des "Bayerndusels". Erst kurz vor dem Ablauf der regulären Spielzeit verlängerte Franck Ribéry mit dem Ausgleich zum 1:1 das Spiel noch einmal, ehe Luca Toni mit zwei Toren in der 114. und 120. Minute dank freundlicher Assistenz von Getafes Torhüter Pato ein 1:3 wettmachte. Kahn war für den letzten Angriff mit in die gegnerische Hälfte gestürmt.

Verehrer und Sympathisanten rechtfertigen solche Erfolge mit der im Verein verwurzelten Siegermentalität; Gegner und Skeptiker halten es schlicht für ungerecht. Tatsächlich bot Getafe trotz 115-minütiger Unterzahl nach einer umstrittenen Roten Karte an Rubén de la Red eine taktisch beeindruckende, halbfinalwürdige Leistung. Ribéry wurde geschickt gedoppelt und der FC Bayern damit seines kreativen Zentrums beraubt. Nach Cosmin Contras 1:0 (45.) wirkten die Münchner einfalls-, und wie im Falle des eingewechselten José Ernesto Sosa sogar willenlos. Trainer Ottmar Hitzfeld bemängelte später, seine Mannschaft habe "zu viel in die Quere gespielt." Die Bälle in die Spitze waren zumeist harmlose Lupfer in die Mitte.

Wäre alles normal verlaufen, hätte Getafes Braulio in der 68. Minute nach einem Konter den Ball zum 2:0 ins Netz geschoben und damit das Spiel entschieden. Kahn hatte er bereits umkurvt. Dann rutschte Braulio einfach weg, wie von unsichtbarer Hand gezogen, und nichts verlief normal. Spät, aber nicht zu spät, landete der Ball irgendwie einschussgerecht auf dem Spann von Ribéry. Als wollten die Bayern ihre spezielle Fähigkeit, unter Druck am besten zielorientiert arbeiten zu können, noch einmal mit Nachdruck bestätigen, machten sie auch den Doppelschlag von Javier Casquero (91.) und Braulio (93.) wett. Auf die Frage, ob ihm die Spanier aus dem Madrider Vorort nicht leid täten, sagte Mark van Bommel: "Nein."

Kahn hatte wohl recht, als er sagte: "Der Abgesang war bei vielen wahrscheinlich schon vorbereitet." Nun darf der scheidende Torhüter gegen Sankt Petersburg seine Europapokalspiele 141 und 142 bestreiten und damit seine Abschiedstournee fortsetzen. Und auch wenn das Gesicht des FC Bayern nun sieben Jahre älter ist, dürfte es für den Gewinn des Uefa-Cups noch allemal reichen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: