Turnen:Hingehen und gewinnen

Lesezeit: 3 min

Turntalent Hambüchens Aufstieg wirkt wie etwas Unmögliches: fehlerloser Sport und glückliche Umstände

Volker Kreisl

Manchmal wirkt es, als führe eine unsichtbare Hand Regie. Gezeigt wird der Aufstieg des hessischen Kunstturners Fabian Hambüchen, 17, dessen Erfolge nicht nur zuverlässig eintreten, sondern auch von glücklichen Umständen begleitet werden. Stets erregt er Aufmerksamkeit, weil er der Jüngste ist, oder weil ihm die Kontaktlinsen kaputt gehen und er mit Brille antreten muss, oder weil ihm im richtigen Augenblick ein lustiger Spruch einfällt.

Wie er hat seit Jahrzehnten kein Deutscher mehr geturnt: Fabian Hambüchen ist neuer Europameister. (Foto: Foto: dpa)

So wurde Hambüchen Showgast, und am Sonntag gelang ihm der Durchbruch in die Weltnachrichten. Er wurde in Debrecen (Ungarn) Europameister am Reck, und zwar zufällig kurz vor 19 Uhr, live übertragen zur besten Sendezeit, mehrmals wiederholt in den Abendnachrichten.

Was da übertragen wurde, hatte seit Jahrzehnten kein deutscher Turner mehr gezeigt. Hambüchens Reckübung enthielt drei Flugteile, einige schwierige Umgriffe und einen Abschluss, der auf Kampfrichter wirkt wie ein Ausrufezeichen.

Besser als ein Olympiasieger

Mit dumpfem Aufprall stand er in der Matte, und weil er auch da nicht wackelte, gab ihm die Jury eine 9,75; geschlagen hatte er einen Olympiasieger (Igor Cassina aus Italien) und eine Reihe weiterer Spitzenturner wie Waleri Gontscharow aus der Ukraine.

Zunächst mal waren alle fassungslos, ehe sie die Übung kommentierten. "Was Fabian in diesem Alter leistet, ist eigentlich unmöglich", sagte der einstige Weltklasseturner Eberhard Gienger. "Dieses Finale war besser als das bei Olympia, und der Junge geht einfach ans Gerät und gewinnt", sagte Bundestrainer Andreas Hirsch. "Diese Kür war wirklich nahezu perfekt, ich habe sie von der Seite gesehen und hätte nichts abziehen können", sagte Vater und Trainer Wolfgang Hambüchen.

Perfektion ist so ein Wort, das Sportler und Trainer ungern verwenden, weil es nach Überlegenheit riecht und auch nach Zufriedenheit. Wolfgang Hambüchen ist ein nachdenklicher Mensch, der Kritik an den lange veralteten Strukturen des Deutschen Turnerbundes äußerte.

Aber auch er kann nicht abstreiten, dass sich die Entwicklung des Turnerkindes Fabian seit dem Eintritt in die Erwachsenen-Konkurrenz zum Perfekten hin entwickelt. Bei jedem Auftritt gelang ihm ein Erfolg: die Finalteilnahme bei den Olympischen Spielen in Athen, danach zwei Weltcupsiege, dann die Titel des deutschen Mehrkampfmeisters und nun des Reck-Europameisters.

Fabian Hambüchen muss jetzt erst mal sechs Klausuren nachschreiben, am Montag gab er noch ein spontanes Pressegespräch auf einem Flughafen. Um ihn herum steht mittlerweile ein kleiner Begleittross. Dabei ist einer vom Beraterbüro, betreut wird Hambüchen zudem vom Bio-Mechaniker Mauno Nissinen und seinem Onkel, dem Mentaltrainer Bruno Hambüchen. Der 17-Jährige sagt, er habe gelernt, den Ansturm nicht zu sehr an sich heran zu lassen.

Hambüchen versucht in seinen Antworten immer noch, Fragen nach der Schule oder nach der Freundin aufs Thema Turnen umzuleiten, doch er füllt längst eine weitere Rolle aus. Er erfüllt die Sehnsucht der deutschen Turner nach einem Vorbild, das die Kameras lockt und den Teamkollegen Sicherheit gibt. Und er erfüllt auch die Hoffnung der Sport-Öffentlichkeit nach einem Ausnahme-Talent. Hambüchen ist jung genug ist, um überall Außenseiter zu sein, und er ist in seinen Leistungen trotzdem verlässlich, anders als zum Beispiel die Tennis-Talente der vergangenen Jahre.

WM in Stuttgart und Olympiade 2008 das Ziel

Sein Aufstieg wird im Detail vermessen. Der Hesse befindet sich nach wie vor im Wachstum, da muss man vorsichtig sein mit dem Muskelaufbau. Die Sehnen können sich verkürzen, die Anfälligkeit im Erwachsenenalter kann steigen. Hambüchen trainiert deshalb mit Hilfe eines speziellen Kraftgerätes.

Seit Athen ist er drei Zentimeter größer geworden und erst wenn er ausgewachsen ist, muss er sich nicht mehr auf neue Griffpunkte an den Geräten umstellen. Perfekt wirkt das System Hambüchen also auch in der Frage der Körpergröße, und das muss es auch sein, denn schon jetzt steht der Plan für die kommenden Jahre. DTB-Sportdirektor Wolfgang Willam hofft, dass Hambüchen auch WM-Medaillen holt, dass bis zur WM 2007 in Stuttgart auch die Nationalmannschaft einen richtigen Sponsor bekommt, und dass mit Hambüchens Hilfe die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Peking gelingt.

Es soll also immer so weitergehen wie in den letzten Monaten, und natürlich ist das System Hambüchen sich über die Risiken bewusst, und darüber, dass es Perfektion nicht gibt. Auch Hambüchens Reckvorstellung in Debrecen hatte leichte Mängel, und Wolfgang Hambüchen, der Trainer, sagt immer wieder, sein Sohn könne jederzeit aussteigen, wenn er nicht mehr turnen wolle.

Bei der deutschen Meisterschaft war er vom Seitpferd gefallen, Fabian Hambüchen hatte gelächelt, die Hände neu gepudert und weiter geturnt. Vermutlich liegt das Geheimnis dieses Talents nicht in der Perfektion, vermutlich ist es nur banales Selbstbewusstsein.

(Süddeustche Zeitung vom 07.05.2005)

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: