Trainingslehre:Niemals ohne Ball

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Die Fußballer des FC Barcelona verzichten auf Dauerläufe und Krafttraining - und sind doch die Fittesten in der Branche.

Ronald Reng

Auf den ersten Blick ist es nicht zu erkennen, dass der Mann an Ronaldinhos Seite die Fitness des berühmtesten Fußballers der Welt verbessert. Sie traben gemeinsam um den Trainingsplatz des FC Barcelona, und Ronaldinho muss fast ins Schritttempo fallen, sonst würde der Mann an seiner Seite nicht mitkommen. Er hat eine steife Hüfte. Das ist Francisco Seirullo, Mittfünfziger, der Fitnesstrainer des spanischen Meisters. Er revolutioniert die Trainingslehre des Profifußballs.

Samuel Eto'o (li.) und Ronaldinho bei der täglichen Arbeit (Foto: Foto: AP)

Es geht auf der Runde nur darum zu sehen, ob der schmerzende Fuß Ronaldinho trägt, da kann Seirullo mitkommen, auch wenn das Joggen zum schnelleren Spaziergang wird. Aber egal, denn Laufen ist in Barcelona grundsätzlich nicht angesagt. Das längste, was sie im Jahr rennen, sind drei Minuten; Tempoläufe in der Vorbereitung. Während der Saison absolvieren sie ohne Ball allenfalls Sprints. Es macht nicht mehr als fünf Prozent des Trainings aus.

Niemand spielt intensiveres Pressing

Ohne eine einzige Dauerlaufeinheit, ohne ein einziges Training im Kraftraum formt Seirullo Barça zur bestaunten Elf einer Epoche. Am Mittwoch zum Champions-League-Viertelfinale gegen Benfica Lissabon wird wieder die halbe Welt den Fernseher einschalten, voller Vorfreude auf den Zauber-Fußball dieser Elf. Im Bann der Eleganz von Ronaldinho, Deco und ihrer Begleitband wird leicht übersehen, dass dies auch eine der physisch stärksten Mannschaften ist. Weder Juventus Turin noch Bayern München raubt dem Gegner öfters den Ball. Niemand spielt ein intensiveres Pressing.

Viele Wege führen zum Ziel, und es soll deshalb auch nicht der Anspruch erhoben werden, Barças Training sei das einzige Wahre. Aber gerade in einer Zeit, in der Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit seinen vermeintlich neuen Ideen aus Amerika Deutschland aufgeschreckt hat, sollte die Bundesliga aufmerken, dass die interessanteste Elf der Gegenwart Klinsmanns Vorstellung vom Tempotraining noch viel radikaler umsetzt. Barças Fitnesstraining steht im Gegensatz zu dem, was Trainer Magath bei Bayern München macht und in der Bundesliga als Maßstab gilt. Magath schickt sein Team Berge hinauf, Kondition wird gebolzt. Barças Spieler merken nicht, wenn sie die Physis trainieren, so sehr hat Seirullo die Fitnessschulung ins Balltraining integriert.

Dies ist das erste Mal, dass Seirullo "unser Betriebsgeheimnis" preisgibt. Doch darf er im weiteren nicht zitiert werden, das war die Bedingung von Barças Pressebüro. Sie hatten Angst, in der überdrehten Welt des Profifußballs könne der Eindruck entstehen, Seirullo und nicht Trainer Frank Rijkaard bestimme die Trainingsinhalte. Seirullo lächelt. Er hat noch nie mit einem Trainer so gut im Team gearbeitet wie mit Rijkaard. Dann beginnt er zu erklären.

Allgemein gilt Fußball als Ausdauersport, weil die Spieler 90 Minuten lang rennen müssen. Seirullo hält Fußball für einen Sprintsport. Die Spieler rennen nie länger als ein paar Sekunden am Stück. Fußball ist antreten, abbremsen, ausweichen, sich abrupt drehen, alles mit dem Ball am Fuß. Dann müsse man auch genau das trainieren, fand Seirullo, Professor an der Sporthochschule INEFC. Zunächst wendete er sein Konzept bei Barças Handballern an; sie gewannen damit zwischen 1995 und 2000 jedes Jahr Champions League und nationale Liga.

Fangen statt warmlaufen

Selbst aufs Warmlaufen verzichtet er komplett. Stattdessen spielen sie schon mal eine Art Fangen, da wird gleich das schnelle Reagieren und Denken mit angeregt. Seirullos Patent jedoch sind die Parcours. Barça verbringt gut die Hälfte der Trainingszeit damit. Zum Beispiel beginnt ein Spieler an der Mittellinie mit einem Pass nach außen. Dann fliegt er über vier niedrige Hürden, kriegt den Ball zurück, sprintet damit um Slalomstangen, und so weiter, bis er zum Torschuss kommt. Seirullo hat davon unzählige, raffinierteste Varianten entwickelt. So trainieren die Spieler gleichzeitig Schnellkraft, Ballbeherrschung auf Höchsttempo, anaerobe Ausdauer - und das Beste ist, sie merken es nicht einmal: Ballverliebt wie Fußballer sind, denken sie nur an den Pass, den Torschuss.

Zudem ist die Erholungszeit nach solchen schnellen Belastungen viel kürzer als bei der herkömmlichen Ausdauerarbeit. Während Magath deshalb klagt, bei drei Spielen pro Woche bleibe keine Zeit für ordentliches Training, trainiert Barça weiter: Passen, springen, Zweikampf, Slalom. "Nicht so schnell, das kann ich gar nicht aufzeichnen!", japste Lars Leese, ein junger deutscher Trainer, als er unlängst beim Praktikum bei Barça mitzuschreiben versuchte. Er trainiert einen Fünftligisten - und war neben Kosta Runjaic, dem Assistenztrainer von Kaiserslauterns Reserve, der einzige deutsche Trainer, der in den jüngsten zwei Jahren zum Lernen nach Barcelona kam. Was sagt das über die deutschen Trainer? Als Leese japste, lächelte sein Mitpraktikant Claudio Ranieri. Der hat Chelsea und Valencia trainiert - und hatte gut lächeln. Er hatte einen Privatsekretär dabei, der das Aufzeichnen erledigte.

Teams, die ihre Fitness aus klassischem Lauf- und Krafttraining ziehen, hielten mit Barça nur 25 Minuten in der ersten und 15 in der zweiten Hälfte mit, sagt Seirullo, ehe er sich auf den Weg macht. Draußen auf dem Platz steht immer noch Ronaldinho mit Deco. Das kann ihnen kein Fitnesstrainer beibringen, das kommt von innen: die Freude am Spiel. 40 Minuten nach Trainingsende bolzen sie noch immer aufs Tor, nun - einfach weil Ronaldinho auf die Idee kam - barfuß.

© SZ vom 5.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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