Tour de France:Wie einst Pantani

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Die Tour will den Italiener Riccardo Ricco als neuen Helden feiern - doch die Zweifel fahren mit.

Andreas Burkert

Dann wird es Jean-François Pescheux zu bunt, er schreit die Fotografen an und schlägt eine Schneise mit seinem massigen Körper, in dem irgendwann ein Radprofi gesteckt haben soll. Heute ist Monsieur Pescheux Sportchef der Tour und überwacht diesen Morgen im Park Baumont von Pau mürrisch das Gedränge um einen kleinen Italiener. Riccardo Ricco verschwindet in der Traube, ehe ihn Pescheux befreit und der Blick frei ist auf den Burschen, den sie alle "Kobra" nennen. Wie ein kleiner Junge sieht er aus der Nähe aus mit seinen 59 Kilo, die Nase pellt sich vom Sonnenbrand, und dann ist kurz sein Sattel zu erkennen; ein weißer Sattel, ein Farbbild ist dort eingraviert: Eine Kobra, sie zeigt ihre Zähne. Die Tour sucht ja immer noch nach einem neuen Patron, auch deshalb ist das Interesse an Ricco wohl so enorm. Denn er hat ihr mit seinem zweiten Etappensieg in Bagnères das beschert, wonach sie sich seit Jahren sehnt: etwas Spektakel. Ricco, 24, ist in jeder Hinsicht der Mann der Stunde, der gigantische Mannschaftstruck seines Rennstalls Saunier Duval wird in Pau belagert, als würde im nächsten Moment Giselle Bündchen heraustreten. Doch dem gelben Laster entsteigen nur dürre Männer mit Beinen, an denen sich die Adern wie Spinnennetze abbilden. Leonardo Piepoli etwa, der zweite Bergspezialist des spanischen Teams. Ricco sieht dagegen fast wie das blühende Leben aus mit seinem sonnigen Teint und dem rotblond gefärbten Schopf.

In unwirklich anmutender Manier stürmt er den Col du Aspin hoch: Riccardo Ricco, 24, sorgt für Furore - und kritische Nachfragen. (Foto: Foto: dpa)

Was echt ist an ihm und was nur Illusion, fragen sich viele, seitdem sie den Tour-Debütanten sonntags am Col du Aspin aus den Augen verloren. Weil er ihnen auf dem steinernen Tour-Monument regelrecht davonflog, als gelte das Gesetz der Schwerkraft nicht für ihn. Zuletzt staunte das Publikum 1998, im Jahr des Festina-Skandals, über einen fulminanten Kletterer aus Italien, der sogar die Tour gewann. Der Mann hieß Marco Pantani. Er lebt nicht mehr.

Vorbild Pantani

Er sei der neue Pantani, haben die Reporter im Fernsehen gerufen, als Landsmann Ricco in unwirklich anmutender Manier ausriss, bestenfalls erinnerten sie sich an die verblüffende Übereinstimmung der Bilder von damals mit denen von heute. Auch Pantani beugte sich über den Lenker, um die steilsten Rampen hinaufzujagen. Als Vorbild taugt er heute allerdings kaum noch, sein Double von 1998 mit dem Gewinn von Giro und Tour hat er wohl nicht nur seinem Talent zu verdanken. Im Jahr darauf wurde er wegen erhöhter Blutwerte beim Giro ausgeschlossen, die Geschichte endete im Februar 2004 mit einer Überdosis Kokain in einem Hotelzimmer in Rimini.

In diesen Tagen vermittelt Ricco allerdings den Eindruck, Pantani lebe in ihm weiter, und leider erzählt diese Geschichte nicht nur von einer jugendlichen Schwärmerei. Dass er il Pirata verehrt, ist nicht neu, Ricco erzählt oft, wie er sich daheim Videos von dessen Heldentaten ansehe. Gemein haben die beiden jedoch nicht nur ihr Talent. So lässt sich Ricco seit seinen Anfängen als Cross-Junior von Roberto Pregnolato kneten - der skurrile Masseur, knapp 60 Jahre alt, begleitete Pantanis Karriere. Jedoch nur bis zum Giro-Blitz 2001, als er beim Erscheinen der Polizei Spritzen aus dem Fenster warf. Insulin und Lidocain, ein Betäubungsmittel aus der Tiermedizin, fand sich bei der Razzia, der grauhaarige Betreuer wurde zu acht Monaten auf Bewährung verurteilt. "Nur destilliertes Wasser" habe sich in den Spritzen befunden, sagte Pregnolato im Mai dem Fachmagazin Procycling. Davor hatte er von "nur Koffein" gesprochen.

Was das mit Ricco zu tun hat, ist eine gute Frage und besonders interessant, seitdem L'Équipe, das Hausorgan der Tour, am Samstag meldete, seine Bluttests beim Start in der Bretagne hätten Auffälligkeiten aufgewiesen. Alles Unsinn, sagt Ricco, er habe nun mal nachweislich einen erhöhten Hämatokritwert. Nachdem er bei der Cross-WM 2001 mit 51,3 notiert worden war und somit die zulässige Grenze von 50 abermals überschritt, habe sich Ricco drei Tage "vom Weltverband UCI in Lausanne" untersuchen lassen, erzählt Teammanager Mauro Gianetti. Ricco: "Seitdem habe ich, wie viele Fahrer, eine Ausnahmegenehmigung für meine Werte, die bei mir natürlich sind."

"Aber nächstes Jahr komme ich wieder"

Mit den Attesten der UCI ist das bisweilen so eine Sache, zudem schürt Riccos Umfeld das Misstrauen. Er selbst war 2006 involviert in eine Polizeiermittlung gegen einen Dopingring in Neapel, wurde aber von Kameraden entlastet. Und dann ist da noch Gianetti, 44, ein Schweizer und früher selbst Profi. 1998 lag er mal drei Tage im Koma, nachdem er bei der Tour de Romandie laut behandelnder Ärzte wegen des Mittels PFC kollabiert war - einem Blutersatzstoff für Nierentransplantationen. Riccos Edelhelfer Piepoli, 36, fiel 2007 beim Giro mit überhöhter Salbutamolzufuhr auf, blieb im Gegensatz zu Landsmann Alessandro Petacchi (von Milram entlassen) aber unbehelligt. Der Spanier Iban Mayo, vor einem Jahr mit Testosteron (beim Giro) und Epo (Tour) erwischt, musste dagegen bei Saunier Duval absteigen. Hat also Teamchef Gianetti heute nicht doch etwas einzuwenden gegen die Verbindung Riccos zu Pregnolato?

"Er arbeitet doch schon seit einem Jahr nicht mehr mit ihm", antwortet Gianetti dieser Zeitung, "Ricco sagte, wenn Leute damit ein Problem haben, lass' ich es." Ganz sicher haben die Leute ein Problem damit, dass Gianetti einem ins Gesicht lügt, denn Pregnolato selbst bestätigt später, selbstverständlich komme Ricco weiterhin zu ihm nach Modena, wo er mit seiner Frau ein Fitnesscenter mit Schönheitssalon betreibt. "Und Gianetti weiß das, Ricco telefoniert immer mit ihm, wenn er bei mir auf der Bank liegt."

Beim Publikum spielt das einstweilen keine Rolle, auch nicht in Pau, sie erdrücken ihn fast mit ihrer Begeisterung. Sein Stil ist ja wirklich spektakulär, und dann diese Chupze, mit der er punktgenau seine Attacken und Siege ankündigt, wie neulich vor seiner Siegpremiere in Super-Besse. Noch sei er keiner für den Toursieg, sagt Ricco, schließlich hat er schon den Giro (Platz zwei) in den Beinen. "Aber nächstes Jahr komme ich wieder, um zu gewinnen", sagt er, an seinem linken Ohr funkeln zwei Brillanten. Wie früher bei Pantani.

© SZ vom 15.07.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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