Tour de France:Die Stunde der Profiteure

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Die Pro-Sieben-Sat-1-Sendergruppe übernimmt die Live-Berichterstattung von der Tour de France. Das ist eigentlich lustig, denn Sat 1 unterhält ja bekanntlich keine eigene Sportredaktion mehr.

Hans Leyendecker und Christopher Keil

Schon am Donnerstagmorgen hatte Günter Struve, der ARD-Programmdirektor, mitbekommen, dass die Übertragungsrechte der Tour de France, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht mehr nutzen wollte, weitergereicht würden.

Punkt 15 Uhr startete auf Sat 1: die 11. Etappe von Marseille nach Montpellier. Timon Saatmann, Sportchef beim Schwesterkanal N24, kommentierte noch aus einem Berliner Studio, ihm zur Seite stand der frühere Profi Mike Kluge.

An diesem Freitag sollen sich Saatmann/Kluge mit der Pro-Sieben-Sat-1-Produktion (PSP) in die Medienkarawane der Tour einfügen. Samstags wird sogar Pro Sieben (TV total, Gülcans Traumhochzeit) die Tour-Bilder übernehmen, weil bei Sat 1 zeitgleich der Fußball-Ligapokal ausgestrahlt wird mit den Vereinen Bayern München, Werder Bremen und Schalke 04. N 24 plant an Renntagen halbstündige Zusammenfassungen um 19.30 Uhr.

"Ich bin sehr froh", verbreitete Sat-1-Geschäftsführer Matthias Alberti, "dass wir eines der weltgrößten Sportereignisse zeigen können. Alle, die dem Radsport verbunden sind, haben eine gute Berichterstattung verdient." Das ist eigentlich lustig, denn Sat 1 unterhält ja bekanntlich keine eigene Sportredaktion mehr und wird beispielsweise die Champions-League-Spiele der kommenden Saison als redaktionelles Premiere-Produkt durchleiten.

Auch RTL war angeboten worden, die Live-Bilder der Tour zu übernehmen. Der Sat-1-Konkurrent lehnte ab, präsentierte stattdessen am Donnerstag eine Langzeitstudie, derzufolge der Marktanteilsabstand zwischen RTL und Sat1 im ersten Halbjahr 2007 bei den 14- bis 49-Jährigen nie größer war seit 1998 (4,5 Prozent) - zugunsten von RTL.

"Ein Privatsender wie Sat 1 kann machen, was er will, und das tut er offensichtlich'', sagte der Vorsitzende des Bundestagssportausschusses, Peter Danckert (SPD), der Süddeutschen Zeitung.

Danckert hatte ARD und ZDF früh aufgefordert, diese Tour nicht zu übertragen. Am Mittwoch und als Reaktion auf einen weiteren Dopingfall im deutschen T-Mobile-Team hatten das Erste und das Zweite ihre Live-Ausstrahlung abgebrochen - so, wie es Struve und sein Kollege Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF, angekündigt hatten - falls es neuerlich zu Wettkampfbetrug komme.

"So ist die Moral"

Der Scoop von Sat1 klärt die Verhältnisse, der Unterschied zwischen gebührenfinanziertem und kommerziellem Fernsehen wird wieder deutlicher: "So ist die Moral", kommentierte ein TV-Manager den Zugriff der von Renditedruck (bis zu 30 Prozent wird verlangt) getriebenen Senderfamilie aufs gewerbliche Radfahren. Die Verantwortlichen des Pro-Sieben-Sat-1-Konzerns, die jetzt als Profiteure auftreten, haben die Grenzen neu gezogen.

Als die Privaten Mitte der achtziger Jahre erstmals die Bildschirme füllten, gab der damalige RTL-Macher Helmut Thoma das erste Ziel so vor: "Auf dem Schirm muss sich was bewegen, in Farbe." Mit Billigware, die die öffentlich-rechtlichen Sender nicht zu zeigen gewagt hätten, machte das Unternehmerfernsehen Quote: "Rammeln, Töten, Lallen" hieß RTL im Hausjargon.

Aber die Programme wurden besser, die Einnahmen stiegen, Unterhaltungsstars wanderten von den Öffentlich-Rechtlichen ab, und immer mehr Sportereignisse wurden von den Privaten übertragen. Vor allem die ARD mit ihrer föderalistisch-verquarzten Struktur war der Traumgegner für die Privaten. Es gab zu wenig Leute, die wussten, warum sie was senden sollten und noch viel mehr Leute, denen es egal war, ob ihr Sender vorne war oder nicht. Im Mai 1992 begann dann Günter Struve als Programmdirektor der ARD. Struve reformierte zunächst den Vorabend. Das von seinen Kritikern verachtete Programm mit Verbotener Liebe und Marienhof brachte Quote.

Inzwischen haben sich die Verhältnisse geklärt. ARD und ZDF ringen nicht länger um ihr Sendungsbewusstsein, sondern um Sprachregelungen, was dem Zuschauer im Sport zuzumuten ist und was nicht. Ansonsten liegen sie ziemlich gut im Wettbewerb. ,,Privatsender werden die Tour übertragen, und wir klären über kriminelle Hintergründe auf. Das kann so spannend sein wie ein Tatort'', sagt ein hochrangiger ARD-Mitarbeiter. Struve hätte am liebsten den Tatort 50 Mal im Jahr. Er mag nichts Schwermütiges.

© SZ vom 20.07.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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