Gelbes Trikot:Der britische Patron

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Christopher Froome ist der bestimmende Mann - und erinnert an Lance Armstrong. Sein Lauf-Drama am Ventoux könnte ihn beliebter machen.

Von Johannes Aumüller, La Caverne du Pont-d’Arc

Vielleicht ist es sinnvoll, diesen denkwürdigen Moment am Mont Ventoux kurz zur Seite zu legen. Diesen unwirklichen Auftritt des Briten Christopher Froome im Gelben Trikot, wie er sich tatsächlich im Laufschritt auf den Weg zum Gipfel macht, weil sein Rad bei einem Zusammenstoß mit einem Motorrad demoliert worden ist und es zunächst kein Ersatz-Velo gibt und weil er doch weiter muss, den anderen hinterher, weiter, immer weiter, irgendwie dieses Maillot Jaune retten, koste es, was es wolle, und sei es eben mit einer Joggingeinlage auf dem kahlen Riesen der Provence.

Vielleicht ist es sinnvoll, erst an einen anderen Moment zu erinnern, an einen, der sich keine Stunde vor dem Lauf-Drama abgespielt hat. Die Gruppe der Favoriten befindet sich in der Abfahrt vom Col des Trois Termes, in einer Linkskurve kommen bei einem Sturz gleich drei Fahrer von Froomes Sky-Team zu Fall. Der Brite ist isoliert, daraus kann sich eine gefährliche Situation entwickeln, er lässt sich zurückfallen - und fährt links ran, um noch ein menschliches Bedürfnis zu erledigen. Wenn das Gelbe Trikot pieselt, erhöht niemand das Tempo, so besagt es eines dieser berühmten ungeschriebenen Gesetze des Pelotons, also lässt es der Rest der Gruppe ruhiger angehen, die Gestürzten können aufschließen, Froome hat fürs schwierige Schlussstück und den Ventoux-Anstieg genügend Helfer an seiner Seite.

Am Ende erklären die Tour-Veranstalter Froomes Kollision mit einem Motorrad und das Chaos auf den letzten Kilometern aber für ungeschehen. (Foto: Stephane Mantey/AFP)

Ungeschriebenes Gesetz, das ist einer dieser schwierigen Tour-Termini. Er klingt nach ehrenvollem Verhalten und branchenweiter Einigkeit, aber er klingt schöner, als es ist. Ein ungeschriebenes Gesetz hat den Nachteil, dass es nicht genau fixiert und formuliert ist, sondern dehnbar und interpretierbar, und im Pulk der Pedaleure braucht es jemanden, der es dehnt und interpretiert und manchmal neu schreibt, selbstredend im eigenen Sinne. Jemanden, der auch eine strategische Blasenleerung im Leader-Trikot als okay definieren kann, ohne dass die anderen dagegen aufbegehren.

Und dieser Jemand, das ist halt Christopher Froome, geboren in Kenia, aufgewachsen in Südafrika und inzwischen britischer Staatsbürger, Tour-Sieger 2013 und 2015, und Top-Favorit der laufenden Rundfahrt. Nach dem Zeitfahren am Freitag führt er schon deutlich, 1:47 Minuten vor dem Niederländer Bauke Mollema, fast drei Minuten vor seinem wohl ärgsten Rivalen Nairo Quintana (Kolumbien). Christopher Froome, der britische Patron, weiß selbst, dass er bisweilen an einen früheren texanischen Patron erinnert, an Lance Armstrong. Manchmal kann er was dafür, manchmal nicht. Mancher Vergleich ist unfair, mancher nicht. Aber wenn er die Spielregeln eigenmächtig bestimmt und Aktionen einlegt wie in der Abfahrt vor dem Ventoux; wenn er und sein Team kühl und kalkulierend auftreten; wenn sie Nachfragen zu ungewöhnlichen Leistungen oder der versprochenen, aber nicht konsequent umgesetzten Transparenz lässig abperlen lassen; wenn der Kapitän seine Teamkollegen geschlossen vors Feld schickt; dann erinnern Froome und Sky bisweilen an eine andere Zeit.

Es gibt nur ein Problem. Das Radvolk mag Patrone nicht. Es liebte nicht Armstrong, sondern Raymond Poulidor, den ewig vom Pech verfolgten Zweiten. Es liebt nicht diejenigen, die alles im Griff haben, sondern diejenigen, die sich heldenhaft all den Unholden des Radsport-Schicksals entgegenstellen.

Auch Froome hat das schon erfahren müssen. Unsägliche Sachen sind ihm im vergangenen Jahr passiert, mal gab es einen Faustschlag, mal spuckte jemand ihn an, einmal flog gar ein Urinbecher. "Dopage, Dopage", riefen sie vom Straßenrand, wie damals bei Armstrong. "Gelbes Trikot, rotes Tuch", titelte die NZZ treffend. Aber manchmal, wenn Froome über Leistung, Respekt und Fans spricht, deutet sich an, dass er sich in diesem Punkt wohl doch von Armstrong unterscheidet. Dem Texaner war die Volkshaltung egal, bei Froome scheint manchmal der Wunsch durchzudringen, zumindest ein wenig so geliebt zu werden wie Poulidor. Das alles gibt es mitzubedenken, wenn die Tour nun aufgeregt über eine der denkwürdigsten Szenen in 113 Jahren Rundfahrt-Geschichte spricht. Es ist ein Moment am Donnerstagabend, in dem Froome durchaus Herzen erobern kann, weil er sich nicht wütend an den Straßenrand stellt, als ihn die von links und rechts auf die Straße drängenden Fans und ein bremsendes Motorrad zu Fall bringen, sondern einfach läuft und läuft, gegen die Launen des Schicksals, und am Ende zwar Zeit und Gelb verliert, aber nur so viel Zeit, dass er das im weiteren Tour-Verlauf auch wieder aufholen kann. Allein das Zeitfahren, so zeigt sich anderntags, würde ausreichen. Aber die Tour-Macher, die durch den Verzicht auf Absperrgitter auf den letzten Kilometern des verkürzten Ventoux-Anstieges das Chaos herbeigeführt haben, haben das Drama quasi für ungeschehen erklärt, die Laufeinlage, den Zeitverlust, und so vielleicht auch manche Herzenseroberung. Stattdessen werteten sie die Konstellation vorm Unfall fürs Klassement. Es gab wohl keine gute Entscheidung in dieser Situation, und vielleicht war das Urteil der Jury das am wenigsten schlechte. So sahen das viele im Peloton, selbst der junge Brite Adam Yates, der ohne Ergebniskorrektur für einen Tag im Maillot Jaune gefahren wäre. Nur Quintanas Teamkollege Alejandro Valverde meckerte ein wenig, aber auch nicht zu laut. Ihm war wohl nicht entgangen, dass sich in den Wirren des Unfalls sein Kapitän vom Motorrad etwas bergauf ziehen ließ. Und doch bleibt etwas Fades zurück. Es gibt bei Bergankünften keine Regeln für solche Unfälle, es gibt wieder nur so etwas wie ungeschriebene Gesetze, dehn- und interpretier- und im Zweifel neu schreibbar. Bahnschranken, Zuschauer und Motorräder haben schon öfter Fahrer gestoppt, nicht immer hatte das Folgen. Und so ist zumindest die Frage erlaubt, ob und wie die Jury entschieden hätte, falls es einen anderen Fahrer getroffen hätte. Beim Patron Froome schien es jedenfalls keine Zweifel zu geben.

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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