Testspiel gegen Japan:Rumpelfußball-Warnung

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Die Nationalelf arbeitet vor allem an der Abstimmung zwischen Abwehr und Angriff.

Philipp Selldorf

Seit 1988 ist Klaus Eder, 52, als Physiotherapeut mit der Nationalmannschaft unterwegs, und die Bedingungen seiner Arbeit haben sich einigermaßen dramatisch geändert in dieser langen Zeit. Zum Beispiel gilt das für den geradezu anormalen Alkoholkonsum der Profis. Die jungen Männer trinken wie Gnus an der Wasserstelle, aber eben bloß isotonische Durstlöscher und Apfelschorlen. Selbst die früher obligatorischen Biere an der Hotelbar verweigern die Spieler, und "den After-Dinner-Likör gibt es auch nicht mehr", berichtet Eder. Die jetzige Spieler-Generation, sagt er, sei wirklich "absolut diszipliniert".

Am Montag leitete Jürgen Klinsmann in Genf das Abschlusstraining vor dem Testspiel gegen Japan (Foto: Foto: ddp)

Das hat wohl damit zu tun, dass die Spieler des 21. Jahrhunderts Spitzenathleten sind, die mit den Fußballern vergangener Tage nicht viel mehr als die Sportart gemein haben. Behauptet zumindest der Fachmann Eder, der seinen Beruf deswegen auch ganz neu definiert. Was früher Physiotherapie hieß, das sei nun "angewandte Biomechanik, angewandte funktionelle Anatomie", was nicht nur komplizierter klingt, sondern auch ist: vor allem dank der zigfach verfeinerten Diagnose- und Analysemethoden. Seine Tätigkeit als medizinischer Dienstleister empfindet Eder deshalb wie die Arbeit "an Hochleistungsmaschinen in einem Formel-1-Rennstall". Und tatsächlich gehört der Computer als Kontroll- und Steuerungselement zu Jürgen Klinsmanns Mitarbeiterstab wie der Orthopäde und die Fitnesstrainer.

Kein Preisschießen wie gegen Luxemburg

Am Ende des Trainingslagers in Genf beschäftigte Eder besonders eines der Spitzenmodelle in Klinsmanns Bestand. Michael Ballack verzeichnet seit einem Fehltritt am vergangenen Donnerstag einen Defekt in der "Binnenstruktur", wie Eder sich ausdrückt. Ziel der Reparatur ist nun "die Wiederherstellung einer ausgewogenen Spannung im Fußgelenk". Am Nachmittag ging Ballack erstmals wieder auf die Teststrecke. Dass er aber bereits am Dienstagabend in Leverkusen startbereit ist, wenn die Nationalelf gegen den WM-Teilnehmer Japan ihr nächstes Testspiel bestreitet, das ist unwahrscheinlich. Zu wertvoll ist der Kapitän, als dass man einen Schaden riskieren wollte, und so wichtig nimmt Klinsmann die Partie gegen Japan nicht, denn es handelt sich nach seiner Auffassung nur um das zweite von drei "Experimentierspielen". Die Begegnung mit Kolumbien am Freitag bildet dann den Abschluss der Testreihe.

Daher ist auch kein Preisschießen wie am Samstag beim 7:0 gegen Luxemburg zu erwarten, zumal da Japan "natürlich ein ganz anderes Kaliber und eine bessere Messlatte ist", wie Klinsmann sagt. Außer auf das Comeback ihres Lokalmatadors Jens Nowotny sollten sich die Zuschauer in Leverkusen vorsorglich sogar auf eine Portion Rumpelfußball einstellen. Denn "es wird Abspielfehler geben", warnt Klinsmann unter Verweis auf das harte Training der vergangenen zwei Wochen. "Es ist normal, dass es hier und da zu Konzentrationsschwächen kommt", prophezeit der Bundestrainer.

Mindestens ebenso normal ist es, dass Klinsmann die Arbeitsmoral seiner Leute während der beiden Trainingslager über die Maßen lobt. "Wir sind sehr zufrieden mit dem Ablauf", bilanzierte er am Montag, "die Spieler haben wirklich prima mitgemacht." Das haben allerdings auch schon andere vor ihm behauptet: Erich Ribbeck zum Beispiel, als er vor sechs Jahren nur das Beste aus dem Camp auf Mallorca berichtete - in Wirklichkeit hatten dort mehrere Spieler einen Putsch gegen ihn versucht, um sowohl Ribbeck wie Lothar Matthäus los zu werden.

Letzteren wollten sie vom Spielfeld auf den Teamchefposten fortbefördern. Aber erstens liegt die finster geendete Ära Ribbeck im Geiste noch weiter zurück als die Vorkriegsära seines Urvorgängers Otto Nerz, und zweitens verbieten sich nach den Tagen in Sardinien und Genf ohnehin alle historischen Vergleiche. Findet jedenfalls Torsten Frings: Im Verhältnis zu Rudi Völlers Vorbereitung auf die WM in Asien sei "die Arbeit völlig anders. 2006 trainieren wir sehr viel härter, das sind Sachen, die wir noch nie gemacht haben, das ist nicht vergleichbar mit 2002". Auch Bernd Schneider registriert bei seinen persönlichen Daten Rekorde. Dabei hat er eigentlich nicht das Naturell eines Fitnessfanatikers. Man könnte ihm sogar fast einen After-Dinner-Likör zutrauen.

Ob die verbesserten Grundlagen gutes Fußballspiel garantieren? In den Tagen bis zum Eröffnungsspiel möchten die Trainer die Automatismen beim Zusammenspiel in Angriff und Abwehr einstudieren. Darauf hat man in Genf schon viel Zeit verwandt, aber besonders die Innenverteidigung mit den Kandidaten Nowotny, Huth, Metzelder und Mertesacker wikt noch eher unfertig. Joachim Löws Überblick über das Übungsprogramm klingt daher ausnahmsweise unmodern. "Montag Laufwege, Mittwoch Laufwege, und am nächsten Tag: Laufwege."

© SZ vom 30.5.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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