Tennis:Der Spülmaschine entronnen

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Ein Jahr musste Nicolas Kiefer mit einer Handgelenksverletzung pausieren. Beim Comeback in Halle unterliegt der deutsche Tennisprofi dem Tschechen Tomas Berdych.

Ulrich Hartmann

Vor einem Jahr musste der Tennisspieler Nicolas Kiefer mal kurz den Platz verlassen, weil er die Schmerzen in seinem entzündeten und geschwollenen Handgelenk nicht mehr ertragen konnte. Auf der anderen Seite des Netzes wartete der Tscheche Tomas Berdych auf die Fortsetzung des Spiels, und nachdem Kiefer zwei Mal am lädierten Handgelenk behandelt worden war, kehrte er auf den Platz zurück und verlor gegen Berdych. Diese Behandlungspause hat 373 Tage gedauert. Kiefer hat sich zwei Mal operieren lassen müssen, hat vor Schmerzen nicht schlafen können, hat monatelang daheim in Hannover den frustrierten Hausmann gemimt und sich eine Jahreskarte für den Zoo gekauft, um einem Nilpferd-Baby beim Wachsen zuzuschauen. Er hatte Zweifel an seiner Rückkehr ins Tennisgeschäft, er hat hart dafür trainiert, und als es ihm wieder richtig gut ging, ist er zurück auf den Tennisplatz gegangen und hat gesagt: "Ich habe ein Jahr gefehlt, aber ein richtiger Unterschied ist nicht da!"

Diese filmreife Geschichte eines gefühlten Gedächtnisverlustes beginnt am 2. Juni 2006 in Paris, wo Nicolas Kiefer als Nummer 13 der Weltrangliste im Achtelfinale gegen Berdych steht und dieses nicht beenden kann, weil er sich im Spiel zuvor bei einem Sturz am linken Handgelenk verletzt hat. Als Kiefer auf den Platz zurückkehrt und als erstes wieder dem Tschechen Berdych ins Gesicht schaut, ist es bereits der 11. Juni 2007, und aus dem Sandplatz von Paris ist der Rasenplatz von Halle/Westfalen geworden.

Kiefer hat zwischenzeitlich seine Platzierung in der Weltrangliste verloren, weil er so lange nicht gespielt hat. Er ist Ende Mai auf Platz 404 abgerutscht und dann aus dem Ranking gefallen. Genauso tief stapelte er seine Ambitionen für die Rückkehr. "Ich will es nur genießen", hatte Kiefer vor diesem Erstrundenspiel und wichtigsten Comeback seiner Karriere gesagt, aber als er nach 100 Minuten mit 4:6 und 6:7 (3) verloren hatte, wuchs in ihm doch die Zerknirschung und er sagte: "Es ist schwer, Genuss und Ehrgeiz ins Gleichgewicht zu bringen." Kiefer hat beschlossen, sich doch lieber ein bisschen über diese Niederlage zu ärgern, denn er hat gemerkt, dass die 373 Tage Pause zwar ihre Spuren hinterlassen, aber aus ihm keinen anderen Menschen gemacht haben. So sehr ihm die Reisen und das Tennisspielen vor Publikum auch gefehlt haben, so schnell wird das Gefühl dafür zurückkommen - und auch jenes Gefühl für Aufschläge und Grundlinienbälle, für Stoppbälle und Longlineschläge. "Das wird langsam wiederkommen, dazu brauche ich noch ein paar Matches", sagt Kiefer, "ich habe ja das Tennisspielen nicht verlernt."

So eine einjährige Pause ist im Alter von 29 Jahren aber doch eine unwägbarere Angelegenheit, als es Kiefer hier glauben lassen wollte. Als er am Montagnachmittag den Rasen im Gerry-Weber-Stadion betrat und die vielleicht 6000 Zuschauer ihm sehr wohlwollend applaudierten, reagierte er gar nicht. Er setzte sich auf die Bank und band sich die Schuhe und erzählte hinterher, er habe in diesem Moment "Tränen in den Augen" gehabt, weil es ein sehr emotionaler Moment gewesen sei. All die kleinen, über Jahre hinweg fast unbemerkt durchgeführten Rituale, "das Schlägerwickeln, das Getränkemischen, das Warmmachen", das sei alles plötzlich wieder sehr aufregend gewesen, sagte Kiefer. "Es hat gekribbelt."

I m Jahr 2000 stand Nicolas Kiefer auf Platz vier der Weltrangliste

Das Match gegen Berdych war dann zwar einerseits beruhigend, weil er schmerzfrei und solide mitspielen konnte, andererseits ein bisschen ernüchternd, denn Kiefer hat gemerkt, woran es ihm noch mangelt: "Ich war einige Male zu spät am Ball." Er braucht nun Praxis, um seine spielerischen Defizite zu beheben. Nächste Woche spielt er bei einem Schauturnier in Buckinghamshire/Großbritannien, übernächste Woche beginnt das Turnier von Wimbledon. Kiefer darf dort mitspielen, weil er ein "Protected Ranking" besitzt. Er kann sich in den kommenden neun Monaten bei acht Turnieren seiner Wahl mit jener guten Ranglistenplatzierung eintragen lassen, die er vor seiner Verletzungspause hatte.

Mit solch einer Art Wildcard wird verletzten Spielern der Wiedereinstieg erleichtert, aber zu jenem Willen und jener Kraft, vielleicht sogar noch einmal dorthin zu gelangen, wo Kiefer in der Weltrangliste schon einmal stand (Platz vier am 10. Januar 2000), kann ihm auch die Spielervereinigung ATP nicht verhelfen. Nicolas Kiefer sagt, so ein Jahr der Unterbrechung helfe beim Nachdenken und bei der Reflexion über das, was geschehen ist, aber er ist zur Erkenntnis gelangt, dass nichts anderes als Tennisspielen für ihn in Frage komme. Das gemütliche Daheimsein und Spülmaschineeinräumen habe ihm anfangs ganz gut gefallen, mit zunehmender Zeit allerdings gar nicht mehr. Ob ein freiwilliges Karriere-Ende wie bei der Tennisspielerin Kim Clijsters für ihn also nie ein Gedanke gewesen sei, wurde Kiefer am Montagabend in Halle gefragt, und als Antwort schüttelte er grinsend den Kopf. "Sie ist eine Frau, sie will eine Familie gründen und Kinder kriegen", sagte Nicolas Kiefer, "solche Probleme habe ich nicht."

© SZ vom 13.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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