1100 Teilnehmer aus 71 Nationen:Charaktertest für Teenager 

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Sie sind noch so jung, zwischen 15 und 18 Jahre alt. Sie starten bei einem der größten Sportereignisse ihrer Altersklasse. Und sie sind umgeben von Symbolen der großen olympischen Traumfabrik.

Von Thomas Hahn, Lillehammer

Nach der Siegerehrung mit Hymne und offiziellen Glückwünschen im Birkebeiner-Stadion ging es bald weiter für die Ski-Langläuferin Moa Lundgren aus Schweden. Und zwar nicht mit einer schicken Limousine ins nächste Fernsehstudio, wie das Freunde der Heldenverehrung vielleicht angemessen gefunden hätten für die erste Gold-Gewinnerin der Olympischen Jugendspiele von Lillehammer. Sondern mit dem Linienbus für alle akkreditierten Teilnehmer Richtung Innenstadt.

Da saß sie also auf billigen Plätzen neben ihrer zweitplatzierten Landsfrau Johanna Hagström und trug wie selbstverständlich ihre Gold-Medaille um den Hals, während sie fröhlich mit zwei Volunteers plauderte. Und auch der Halb-Norweger Magnus Kim, der im Cross-Wettbewerb der jungen Männer gerade einen seltenen Sieg für die Nicht-Langlauf-Nation Südkorea eingefahren hatte, wollte nicht den Eindruck erwecken, als habe sein Triumph etwas zu bedeuten. Das könne er sich nicht vorstellen, dass er 2018 bei Südkoreas Heimspielen in Pyeongchang Medaillen-Chancen habe, sagte er. "Ich bin dann erst 19."

Wer was gewinnt, darf sich nichts drauf einbilden

Die Olympischen Jugendspiele in Lillehammer sind auch ein Charaktertest für die 1100 Teenager aus 71 Nationen, die daran teilnehmen. Die Athletinnen und Athleten sind noch so jung, zwischen 15 und 18 Jahre alt. Sie haben die Qualifikation für eines der größten Sportereignisse ihrer Altersklasse geschafft. Sie sind umgeben von den Symbolen der großen olympischen Traumfabrik. Wetteifern unter dem Ringe-Emblem. Sehen bei den Lysgaards-Schanzen jeden Tag die lodernde Spiele-Flamme. Werden vom Internationalen Komitee (IOC) und dessen Präsident Thomas Bach umgarnt. Außerdem bekommen sie es mit einem Medienaufgebot zu tun, das im Vergleich zu anderen Nachwuchs-Wettkämpfen ungewöhnlich üppig ist. Gleichzeitig dürfen sie sich nicht den Kopf verdrehen lassen, weil ihre Karriere ja noch gar nicht richtig angefangen hat. Und wer was gewinnt, muss verstehen, dass er sich darauf nichts einbilden darf.

Bei den Jugendspielen zu bestehen, bedeutet für die Aktiven nicht nur, einen sportlichen Erfolg einzuholen. Es bedeutet für sie auch, zu unterscheiden zwischen der Scheinwelt, die das IOC aufgebaut hat, um für die junge Zielgruppe attraktiv zu bleiben, und einer Lebensrealität als heranwachsende Hochbegabung.

Platz 4? "Ist erstmal eine tolle Sache"

Moa Lundgren, Jahrgang 1998, kann das offensichtlich, ihr Altersgenosse Magnus Kim ebenso. Und Anna-Maria Dietze, 16, von der Sportschule Oberwiesenthal, ist in dieser schwierigen Übung auch nicht schlecht. Sie belegte den vierten Rang beim Auftaktwettbewerb der Jugendspiele in der Hindernis-Loipe, einen sogenannten undankbaren Platz also, der ehrgeizigen Medaillenjägern leicht das Herz bricht. Bei Anna-Maria Dietze brach gar nichts. "Die Freude überwiegt", sagte sie freundlich, "super, dabei zu sein. Man wusste ja noch nicht, wo man sich einordnen kann, und jetzt zu wissen, dass man ganz vorne mitlaufen kann, ist erstmal eine tolle Sache." Gut gelaufen, gut gesprochen. Erste Olympia-Prüfung bestanden.

Alle müssen bei den Jugendspielen ein bisschen erwachsener sein, als sie es in ihren schwachen Momenten sind. Auch die Erwachsenen. Bei herkömmlichen Sportereignissen sehen manche Funktionäre das Medaillenzählen als eine eigene Disziplin, die sie teilweise derart konsequent betreiben, dass ein vierter Platz tatsächlich wie ein Schlag des Schicksals wirkt. Die Wahrheit ist, dass sich eine gute sportliche Leistung nicht grundsätzlich an Gold, Silber oder Bronze festmachen lässt. Bei Olympia geht diese Haltung leicht unter im aufgeregten Spiele-Betrieb. Wer ihr bei Jugend-Olympia keinen Raum gibt, outet sich selbst als pädagogischer Holzklässler.

Schon die Frage, ob es für Podestplätze bei den Jugendspielen Medaillenprämien gibt, ist im Grunde ein Zugeständnis an die maßlose Leistungsgesellschaft. Wer sie trotzdem an den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) richtet, erfährt von Sprecher Jens Behler, dass die Nachwuchs-Olympioniken anders als die erwachsenen Olympioniken kein Geld für ihre Spiele-Medaillen bekommen. Lediglich die Goldgewinner hätten etwas zu erwarten, sagt Behler: eine Einladung zu Sommer-Olympia 2016 in Rio durch einen Sponsor.

Der DOSB, sonst sammelwütig, macht keine Medaillenvorgabe

Und Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport im DOSB, in Lillehammer Chef de Mission, sagt: "Für uns ist wichtig, dass wir keine Medaillenvorgabe machen, weil wir die Jugendspiele als Zwischenstation sehen." Niemand will den 44 Mitgliedern der deutschen Lillehammer-Mannschaft ihren Ehrgeiz ausreden. "Die sind intrinsisch motiviert", sagt Schimmelpfennig, die Lust auf Erfolg steckt tief in ihnen drin. "Wenn sie starten, wollen sie so erfolgreich wie möglich sein." Aber von außen kommt kein Druck, darum geht es.

Es erfordert eine gewisse Disziplin, gar keine Medaillen zu zählen in Lillehammer. Denn es gibt nun mal welche. Das ist die große Schwäche der Jugendspiele: Ihr Anspruch ist nobel, die jungen Leute sollen hier in Frieden Erfahrungen sammeln. Aber am Ende tragen die Spiele eben doch die Insignien einer bunten Wettbewerbswelt, in der letztlich alle nur wissen wollen, wer was in welcher Sportart gewonnen hat? Wie viele deutsche Podestplätze der erste Tag der Jugendspiele in Lillehammer brachte, war im Grunde egal. Trotzdem fühlte es sich irgendwie falsch an, gar nicht zu erwähnen, dass es überhaupt keine gab.

© SZ vom 14.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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