Team T-Mobile:Keine Lust auf Lapaloma

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Vor dem Ausflug in die Berge vermissen die Beobachter die Kampfeslust bei Jan Ullrichs Team. Auch für die anstehenden Etappen durch das Zentralmassiv ist nicht mit einer Initiative des Bonner-Rennstalls zu rechnen.

Von Andreas Burkert

Sonne, es hat tatsächlich nicht geregnet am Montagmittag, als sich Jan Ullrich mit seinen Arbeitskollegen vom Radprofiteam T-Mobile auf den Landstraßen rund um Limoges die Müdigkeit vom abendlichen Flugtransfer aus den Beinen trat. Ganz gemächlich haben sie es dabei angehen lassen, denn sogar Rudy Pevenage, 50, ist mitgekommen, "am Berg habe ich mich halt an Jan gehängt", erzählt Ullrichs Privatcoach nachmittags, "denn ein bisschen Krafttraining kann er noch gebrauchen".

(Foto: Foto: AP)

Die Tour hat sich eine kurze Pause gegönnt, die Darsteller erholten sich von den Strapazen der ersten Woche, doch ihr Blick geht jetzt voraus. Ab Mittwoch sind im Zentralmassiv erstmals Berge zu überqueren, "eine lange Etappe ist das", sagt Jan Ullrich, er rechnet dort mit ersten Attacken. Doch die Favoriten wie er oder Titelverteidiger Lance Armstrong haben es natürlich auf Freitag und Samstag abgesehen, wenn mit den Pyrenäenetappen nach La Mongie und Plateau de Beille zwei Bergankünfte im Streckenplan stehen. "Am Freitag erwarte ich eine Attacke von Armstrong", sagt Rudy Pevenage, "und wenn er es nicht Freitag macht, dann am Samstag."

Womit die Rollen verteilt sind vor dem Schauspiel in der zweiten Tourhälfte, wenn sich Schwierigkeit an Schwierigkeit reiht. Ullrichs engste Umgebung ist der Ansicht, der 32-jährige Amerikaner befinde sich im Gegensatz zum vorigen Jahr in bester Verfassung. Ullrich selbst hat diesen Eindruck aus nächster Nähe gewonnen, "er sieht stark", sagt er, "er will gewinnen".

Mit diesem Ziel ist eigentlich auch der Rotschopf aus Rostock angereist, doch von einem zweiten Toursieg redet Ullrich in Limoges nicht. Er wolle aber im Hochgebirge möglichst viele der 55 Sekunden Rückstand auf den Texaner tilgen, was ihm vor dem finalen Zeitfahren in Basançon (55 km) gute Chancen eröffnen würde. "Ich werde jedenfalls nicht sitzen bleiben und Lapaloma pfeifen, wenn ich angreifen kann."

55 Sekunden Rückstand sind nicht viel bei der Tour, die sich gewöhnlich in Minutenabständen entscheidet. Doch die in Prolog und Teamzeitfahren kassierte Hypothek hat Spuren hinterlassen in der Bonner Sportgruppe. Von Aufgabe und Abreise spricht niemand, aber der Zeitverzug hat aus forschen Thronfolgern zumindest zurückhaltende Mitglieder des Hofstaates gemacht.

Um Armstrong angreifen zu können, äußert vorsichtig Teammanager Walter Godefroot, "dafür muss man die Beine haben". Jan Ullrich sagt über seine Beine, er fühle sich "eigentlich ganz stark". In das nicht allzu anspruchsvolle Zentralmassiv geht T-Mobile also nicht mit dem Ziel, die Initiative zu übernehmen. Womit sich der Eindruck hält, ihnen sei auf den regennassen Straßen in Belgien und Frankreichs Norden das Selbstbewusstsein abhanden gekommen.

Frankreichs Sportbibel L'Équipe ist sich am Sonntag sogar nicht mehr ganz sicher gewesen, ob ihr heimlicher Liebling noch anwesend sei, und titelte: "Wo ist Ullrich?" Unangenehme Fragen vernimmt die Teamleitung inzwischen häufiger, denn die Suche nach Erklärungen für die nicht gerade komfortable Situation ergibt kein schmeichelhaftes Bild für eine mit zwölf Millionen Euro geförderte Berufssportgruppe. Denn während die Formation des manischen Perfektionisten Armstrong ab dem ersten Tourkilometer einen offensiven Stil an den Tag legte, arbeitete T-Mobile mit überschaubarem Risiko und diskutabler Taktik.

So benutzte Ullrich beim Prolog keinen Funk, sein Kollektiv beim Mannschaftszeitfahren als einziges Team keine Scheibenlaufräder (die Entscheidung fiel eine Viertelstunde vor dem Start), was sich bei Rückenwind letztlich nachteilig auswirkte. Und Ullrich bestätigt auch in Limoges die Ansicht, man sei bei widrigen Bedingungen auf Sicherheit gefahren. Er sagt: "Wir haben in den Kurven nicht so viel riskiert." Nicht so viel wie Armstrong.

Wer Mario Kummer mit diesen Details konfrontiert, den lächelt der Sportdirektor trotzdem freundlich an. Versäumnisse indes mag er nicht erkennen, wie Ullrich verweist auch er auf die etwas besseren Wetterbedingungen von US Postal beim Zeitfahren. "Und dass Jan beim Prolog erkältet war, wisst ihr jetzt auch." Es war ja auch kaum zu überhören.

Dem Hinweis wiederum, dass Teams wie Postal oder CSC seit Januar immer wieder die Fahrt zu neunt geübt haben, entgegnet Walter Godefroot gerne mit seiner Einschätzung, ihnen brächte das "nichts, wenn ich doch erst im Juni die Touraufstellung mache". Der Berliner CSC-Profi Jens Voigt nennt dieses Vorgehen "die alte Schule, früher bei Crédit Agricole war das Zauberwort auch immer Tradition - jetzt, bei meinem neuen Sportchef Bjarne Riis, ist es Innovation".

Nur Jan Ullrich scheint das alles nichts anhaben zu können, er gibt sich sehr gelassen. Mit seiner Situation vor den Bergen sei er "recht zufrieden", sagt er, "und natürlich kann ich mich jetzt unter der Bettdecke verstecken und heulen". Er wolle das aber nicht tun, versprochen.

© Süddeutsche Zeitung vom 13.7.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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