Sumo:Eine Sportart am Boden

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Weil Sumo-Ringer im Dunstkreis der organisierten Kriminalität gesetzeswidrig auf Baseballspiele wetten, ist Japans Traditionssportart in der Existenz gefährdet.

Christoph Neidhart, Tokio

In Nagoya hat am Sonntag das Sommerturnier des Profi-Sumo begonnen. Hakuho, der seit Januar keinen Kampf verlor, dominiert wieder. Doch derzeit spricht kaum jemand von ihm, alle reden über den jüngsten Sumo-Skandal. Zwölf Top-Ringer sind gesperrt. Kotomitsuki, zuletzt Zweiter und Dritter in Nagoya, wurde aus dem Verband geworfen. Die verbliebenen Rikishi, wie man die Sumo-Profis nennt, eröffneten das Turnier mit tiefen Verbeugungen, um sich bei den Fans zu entschuldigen. Vorige Woche durchsuchte die Polizei zwei große Sumo-Schulen und sammelte die Mobiltelefone der Ringer ein. Der staatliche Fernsehsender NHK verzichtet trotzdem erstmals seit 1953 auf die Übertragung eines der fünf großen Turniere dieser über 2000 Jahre alten Sportart.

Tiefe Verbeugung: Die Ringer entschuldigen sich bei den Fans für die Vorkommnisse der vergangenen Wochen. (Foto: ap)

Der Sumo-Zirkus hat schon viele Skandale überstanden, doch diesmal kämpfen die Hünen um das Überleben ihres Sports. Sumo wird beschuldigt, mit der Yakuza, der japanischen Mafia, verbandelt zu sein. Voriges Jahr saßen beim Turnier in Nagoya Yakuza-Bosse in der VIP-Loge, sie hatten ihre Tickets von zwei Stallbesitzern erhalten. Die Polizei vermutet, sie wollten sich nicht nur die Kämpfe anschauen, sondern sich auch ihren Gefolgsleuten im Gefängnis zeigen.

Im Mai nun hatte das Wochenmagazin Shukan Shincho enthüllt, der Ozeki Kotomitsuki sei wegen Wettschulden erpresst worden. Ozeki ist der zweithöchste Rang der Sumo-Welt. Erst stritt Kotomitsuki alles ab, dann gab er zu, auf japanische Profispiele im Baseball gewettet zu haben. Das ist gesetzlich verboten; erlaubt ist nur die Wette im Pferdesport und in einigen Motorsportarten.

Der Sumo-Verband spielte es als Einzelfall herunter; eine Taktik die schon bei früheren Skandalen angewandt wurde. 2007 ließ ein Stallmeister einen Nachwuchsringer zur Abhärtung verprügeln, so schlimm, dass dieser starb: ein Einzelfall. 2008 wurde bei einem Ringer Haschisch gefunden, zwei andere konnte durch eine Urinprobe Kiffen nachgewiesen werden: Einzelfälle. Zudem waren die paffenden Rikishi Russen; sie wurden ausgeschlossen und nach Hause geschickt. Dopingproben gibt es im Sumo nicht. Die Frage nach muskelbildenden Substanzen weist der Verband zurück: Ein Rikishi tut das nicht! Hakuho kam als 15-Jähriger mit 62 Kilo Gewicht nach Japan. Vier Jahre später war der Mongole über 150 Kilo schwer. Er versichert, er habe die 90 Kilo nur mit Essen und Training zugelegt.

Den Artikel im Shukan Shincho las auch die Polizei. Ende Juni verhaftete sie den Ex-Profi Furuichi Mitsumoto. Er soll den durch Wetten schwer verschuldeten Kotomitsuki erpresst haben. Der Ozeki zahlte ihm 3,5 Millionen Yen (etwa 30.000 Euro) Schweigegeld, aber Mitsumoto, der nach seiner Sumo-Karriere als Unternehmer ins Sexgewerbe ging, wollte mehr. Als Kotomitsuki nicht zahlte, bedrohte Mitsumoto dessen Familie.

Herausgekommen ist alles, weil Sumo neben Eiskunstlauf die einzige Sportart ist, die eigene Friseure beschäftigt. Tokoyama genannt, präparieren sie den Ringern die Haarknoten, die je nach Auftritt und Rang unterschiedlich komplex ist. Wie fast alles in Japan ist ihr Handwerk genau reglementiert. Der Sumo-Verband beschäftigt 50 Tokoyama. Mitte Juni hielt einer von ihnen, Tokoike vom Onomatsu-Stall, dem Druck im Polizeiverhör nicht mehr stand. Er gab zu, für einen organisierten Wettring als Vermittler tätig zu sein.

Die Yakuza ist aus Geldspielringen entstanden. Neben der Prostitution, dem gewaltsamen Eintreiben von Schulden und der Kreditvergabe zu Wucherzinsen ist das illegale Spiel bis heute ein wichtiger Geschäftszweig der kriminellen Organisationen. Ein Ex-Yakuza verriet der Zeitung Mainichi, etwa 20 Buchmacher nähmen illegale Baseball-Wetten an. Ihr Umsatz ist enorm sein, der Ex-Kriminelle wusste von einem Spieler, der in einem Jahr 15 Millionen Euro verlor. Der Gewinn aus den Baseballwetten fließt in die Kassen der Yakuza.

Hakuho wirft seinen Gegner Tochinoshin beim Nagoya Grand Sumo Tournament in Nagoya zu Boden - die Fans bleiben der Veranstaltung fern. (Foto: afp)

Die Sumo-Oberen halten sich für Hüter des Japanertums, ihr Kampfsport hat Wurzeln in der Shinto-Religion. Profi-Sumo gibt es erst seit 100 Jahren, und erst seither mästen die Rikishi sich fast bis zur Invalidität. Dass die Yakuza Verbindungen in die Politik hat, ist in Japan kein Geheimnis. In den letzten Jahrzehnten haben mehrere Ex-Premierminister an Beerdigungen von Yakuza-Bossen teilgenommen. Da erstaunt es niemanden, wenn die Funktionäre des Sumo-Verbands ähnliche Freunde haben.

Im Ring muss ein Rikishi böse sein, aber vor und nach dem Kampf ein edler Mensch. Asashoryu, der letzte große Held des Sumo, war ein Enfant terrible. Im vergangenen Winter zertrümmerte er bei einer Schlägerei vor einer Bar einem Mann die Nase. Er sei betrunken gewesen, sagte er zur Entschuldigung. Das nutzten die reaktionären Sumo-Kardinäle, ihn zum Rücktritt zu zwingen. Zuvor hatten sie Asashoryu schon gesperrt, weil er sich um Schaukämpfe gedrückt hatte und weil er nach einem Sieg zu sehr jubelte. Das tut ein Sumo-Ringer nicht, er erträgt alles mit Fassung.

Allerdings war Asashoryu, ein Mongole wie Hakuho, mit Abstand der Beste. Und im Gegensatz zu seinem Landsmann ein witziger, trickreicher Ringer. Die Medien spielten die Rivalität der beiden Mongolen zusätzlich hoch. Jetzt ist Hakuho einsam an der Spitze, und kaum jemand zweifelt daran, dass er das Turnier in Nagoya gewinnt, zumal der Verband das ausgedünnte Feld mit Nachwuchs-Ringern auffüllen musste.

Zwei von Hakuhos stärksten Gegnern stammen aus Estland und Bulgarien. Es ist lange her, dass ein Japaner ein Turnier gewann. Die Verbandsoberen mögen die Ausländer nicht, aber sie sind auf sie angewiesen. Und bei den letzten Skandalen waren sie froh, sie als Sündenböcke zu haben. Doch Japans Baseball interessiert diese Ausländer nicht. Hakuho spielte nur Hanafuda, ein japanisches Kartenspiel. Und dies nur um einige hundert Euro. Dafür, entschied der Verband, werde er nicht bestraft. Um seine Reue zu demonstrieren, tritt er in Nagoya in einem braunen statt im goldenen Mawashi an. Das ist der Lendengürtel, den die Ringer zum Kampf tragen.

Eine interne Untersuchung des Verbandes ergab, dass mindestens 65 Ringer und Funktionäre in Geldspiele verwickelt sind. Schon jetzt sind einige Sponsoren abgesprungen. Die Polizei ermittelt weiter, zumal es den Verdacht gibt, die Ringer würden auch ihrer Kämpfe manipulieren. Die Japan Times spottete, man könne nun wetten, ob Sumo diesen Skandal überlebe. Unklar ist, ob diese Wetten legal wären.

© SZ vom 14.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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