Südamerika-Meisterschaft in Chile:Pfeifkonzert garantiert

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Sportlich bietet die Copa América viel. Zum Start ist aber das Entsetzen über das Ausmaß der Korruption rund um die Spielfelder groß.

Von JAVIER CÁCERES, Santiago de Chile

Dicke Luft schon vor dem ersten Anpfiff. Luftverschmutzung und Smog bedrohen die Copa America in vier der acht Turnierstädte. In der Hauptstadt Santiago de Chile befinde man sich gar in einer Vorstufe zum Notstand, teilten die Organisatoren am Tag vor dem Eröffnungsspiel an diesem Donnerstag zwischen dem Gastgeber und Ecuador mit. Zudem erschütterte am Mittwoch ein Erdbeben der Stärke 6,0 den Norden des 4000 Kilometer langen Landes. Das Epizentrum lag 250 Kilometer nördlich von Antofagasta, wo zwei Gruppenspiele der Kontinental-Meisterschaft stattfinden. Kleine Entwarnung: Verletzte wurden nicht gemeldet. Chile ist Meldungen wie diese gewohnt. Es ist nicht das erste Mal, dass es vor einem Fußball-Großereignis in diesem Land richtig rund geht. Vor der WM 1962 gab es ein desaströses Erdbeben. Es war derart vernichtend, dass die Seismografen kaputt gingen. Und nun, da dort das älteste Nationenturnier der Welt startet, werden Turbulenzen auf allen Ebenen gemeldet. Denn auch der Fifa-Skandal, der Südamerikas Fußball insgesamt mit voller Wucht getroffen hat, erschüttert die Region. Jene Funktionäre, die auf Weisung des FBI jüngst vor dem Wahlkongress des Welt-Fußballverbandes Fifa in Zürich verhaftet wurden, stammten allesamt aus Ländern, die südlich des Río Grande liegen. Die Idylle ist dahin - dabei hätte das Turnier bezaubernd werden sollen. Bezaubernd wie momentan die schneebedeckten Anden, die den Horizont von Santiago beschließen. Es ist ja schon einige Zeit her, dass die 1916 erstmals ausgetragene Copa América ein derart imposantes Teilnehmerfeld bieten konnte. Von den ganz großen Lateinamerikanern, die in Europa spielen, fehlt eigentlich nur Luis Suárez von Titelverteidiger Uruguay; der Profi des FC Barcelona ist wegen seiner Beiß-Attacke gegen den Italiener Giorigo Chiellini bei der WM 2014 noch immer für seine Nationalelf gesperrt. Dafür sind gleich sieben weitere Profis dabei, die noch am vorigen Wochenende in Berlin im Champions-League-Finale mitwirkten: Pereyra, Tévez, Vidal von Juventus Turin; Bravo, Mascherano, Neymar und Lionel Messi vom FC Barcelona. Aber auch für deutsche Beteiligung ist gesorgt. Eine komplette Auswahl von Bundesliga-Profis mischt mit, zum Beispiel der in Hoffenheim aktive Brasilianer Firmino; Peru setzt auf das Quartett mit Pizarro (FC Bayern), Farfan (Schalke), Zambrano (Frankfurt) und Reyna (RB Leipzig). Auffallen dürfte aber besonders Winfried Schäfer, 65, einst Bundesligaprofi in Mönchengladbach, später Trainer beim Karlsruher SC, in Kamerun und Thailand. Schäfer betreut Jamaikas Reggae Boyz, die den Gastplatz im Zwölfer-Feld einnehmen. Das Team aus der Karibik dürfte besonders mit Chiles Winter zu kämpfen haben, zu den abendlichen Anstoßzeiten sind Temperaturen am Gefrierpunkt möglich. Diese machen die im chilenischen Volksmund "matapasiones" (zu Deutsch: "Leidenschaftstöter") genannten langen Unterhosen zu wichtigen Fan-Accessoires.

Doch nicht nur die Fans müssen sich warm anziehen. Dies gilt vor allem für den Chef des chilenischen Verbandes ANFP, Sergio Jadue. Der Grund: Der gerade mal 36-Jährige hat ursächlich dazu beigetragen, dass die US-Behörden im Rahmen des Fifa-Skandals südamerikanische Verbandsführer und Sportmarketing-Händler festsetzen ließen. Denn jener Vertrag, der laut US-Behörden zu 110 Millionen Dollar an Schmiergeldern an Fifa-Funktionäre führte, wäre ohne Jadue offenkundig nicht zustande gekommen. Zur Erinnerung: Das FBI hatte ermittelt, dass rund um die Südamerika-Meisterschaften der Jahre 2015 (Chile), 2016 (USA), 2019 (Brasilien) und Ecuador (2023) eben jene 110 Millionen Dollar zugesagt und teilweise auch schon ausgezahlt worden waren. Die Zahlungen standen im Zusammenhang mit den TV- und Marketing-Verträgen des südamerikanischen Fußballverbandes Conmebol, diese waren 2013 einem Firmenkonglomerat namens Datisa zugeschlagen worden.

Für jede Copa sollten 20 Millionen Dollar an die einzelnen Verbände gehen. Einzige Ausnahme: für die 2016er-Copa, die erstmals in den USA gespielt werden soll, waren es 30 Millionen. Im Zuge des Fifa-Skandals wurde Jadue von seinem - überaus gut beleumundeten - Vorgänger Harold Mayne-Nicholls, 53, belastet. Denn die umstrittenen Copa-América-Verträge, die mit den 110 Millionen Dollar versehen waren, waren schon zu Zeiten aufgesetzt worden, da Mayne-Nicholls noch für Chile im Südamerika-Verband saß - und einen Abschluss verhinderte, indem er das Okay durch Chiles Verband verweigerte.

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(Foto: Josep Lago/AFP)

Drei? Zwei? Eins? Alles meins! Nach dem Gewinn des Triples mit dem FC Barcelona will Lionel Messi mit Argentinien auch die Copa-Trophäe holen.

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(Foto: Juan Carlos Cardenas/dpa)

Dabei helfen will ihm sein Landsmann Carlos Tevez, der Messi und dem FC Barcelona im Champions-League-Finale mit Juventus Turin noch unterlegen war.

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(Foto: Pool/Getty Images)

Bei der Südamerikameisterschaft wirken viele namhafte Akteure wie beispielsweise Arturo Vidal (l. gegen Luiz Gustavo) vom Gastgeberland Chile mit.

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(Foto: Stu Forster/Getty Images)

Ein weiterer Held des Turniers ist Neymar (r.), der mit Brasilien die 1:7-Schmach von der Weltmeisterschaft im eigenen Land vergessen machen will.

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(Foto: Jamie Squire/Getty Images)

Immer für eine Überraschung gut ist die uruguayische Nationalelf, die mit Edinson Cavani (r. gegen Kolumbiens Mejia) den Titel verteidigen möchte.

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(Foto: Yorick Jansens/AFP)

Auch Kolumbien will mit seinen beiden Stürmern Falcao (im Bild gegen Belgiens Torwart Mignolet) und James an den guten Eindruck von der WM anknüpfen.

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(Foto: Jacques Brinon/AP)

Sogar für deutsche Beteiligung ist gesorgt: Neben einigen Bundesligisten ist Trainer Winfried Schäfer dabei, der mit Jamaika über den Gastplatz startet.

Mayne-Nicholls sagt, er habe das deshalb getan, weil in seinen Augen ein gültiger Kontrakt für die Übertragungs- und Marketingrechte der Copa América 2015 existierte - mit einer Firma namens "Traffic", die auch prompt die anderen Interessenten (TyC und Fullplay) vor einem US-Gericht verklagte. "Ich hielt es für illegal und unmoralisch, das gleiche Produkt zwei Mal zu verkaufen", sagte Mayne- Nicholls im chilenischen Magazin The Clinic zu seinem Veto - und sozusagen en passant - zum Geschäftsgebaren aller anderen Conmebol-Präsidenten.

Nachdem Mayne-Nicholls aber 2011 durch Jadue ersetzt worden war, lief es plötzlich wie geschmiert. Die Firma Traffic, die ursprünglich die Rechte für die Copa 2015 erhalten hatte, ließ ihre US-Klage fallen, schloss sich mit TyC und Fullplay zu Datisa zusammen - und beteiligte sich laut US-Staatsanwaltschaft auch an den Schmiergeldzahlungen. Auf den chilenischen Verband entfielen, wie Jadue bestätigt hat, drei Millionen Dollar - als "Vorschuss" für die Copa América.

Jadue betonte, dass das Geld auf ein Konto des chilenischen Liga-Verbandes ANFP überwiesen wurde und nicht etwa auf seinem eigenen Konto landete. Der Verband machte auch einen entsprechenden Kontoauszug öffentlich. Im Visier von Ermittlern steht Jadue dennoch. So wird untersucht, ob die Herkunft des Geldes als illegal einzustufen ist. Dann stünde zumindest ein Geldwäsche-Vorwurf im Raum.

In Santiago heißt es, dass die derzeit selbst wegen Korruptionsaffären unter Druck geratene Staatspräsidentin Michelle Bachelet offen lässt, ob sie sich die Eröffnungszeremonie im Nationalstadion an der Seite von Jadue antun will. Das Pfeifkonzert ist garantiert. Ähnlich ist die Lage in den abgelegenen Spielorten, die zwischen Temuco und Antofagasta liegen. Auch dort nehmen Abgeordnete Abstand von der Idee, die VIP-Tribünen der insgesamt neun, für 60 Millionen Dollar modernisierten Stadien zu besuchen.

Auf dem Rasen dürften sich freilich beste Voraussetzungen bieten, um Affären zu überspielen. Brasilien will unter Carlos Dunga die schmachvolle 1:7-WM-Niederlage von Belo Horizonte gegen Deutschland vergessen machen. Olympiasieger und U20-Weltmeister Leo Messi will endlich seinen ersten Titel mit Argentiniens A-Nationalelf erringen. Kolumbien will mit Falcao und James den guten Eindruck von der WM 2014 bestätigen. Und Uruguay mit Stürmer Edison Cavani von Paris St. Germain den Titel verteidigen.

Vor allem aber will Gastgeber Chile seinen ersten Titel überhaupt gewinnen, seit 1916 stehen nur vier zweite Plätze zu Buche.

Zwar haben bei den letzten vier Südamerika-Meisterschaften auf chilenischem Boden stets die Argentinier gewonnen (1941, 1945, 1955, 1991), diesmal aber hoffen die Chilenen auf die Generation, die von Alexis Sánchez, Arturo Vidal, Gery Medel, Marcelo Díaz und Claudio Bravo angeführt wird. Wie ernst es den Chilenen ist, zeigte Bravo. In Abweichung von aller Vorurteilen, die über Chilenen grassieren, ließ er die Champions-League-Party des FC Barcelona sausen. Er flog direkt ins Trainingslager der Nationalelf nach Chile. Bravo will es wissen.

© SZ vom 11.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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