Stuttgarter Torchancen:Zahlen für schwäbische Albträume

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17 Ecken, 38 Flanken und "kein Ertrag". Der VfB verzweifelt gegen Hannover an einem alten Problem.

Von Frieder Pfeiffer, Stuttgart

Der Stadionsprecher meinte es gut mit Timo Werner. Als der Stürmer nach 76 Minuten Fußball seinen letzten Arbeitsgang in Richtung Außenlinie absolvierte, verabschiedete er den jungen Stuttgarter frenetisch und betonte ein Wort noch einmal ganz besonders: "Torschütze!"

Ja, Timo Werner war an diesem Tag tatsächlich als Torschütze in die Statistik eingegangen. Aber daran erinnerten sich in diesem Moment nur wenige. Denn zwischen dem Treffer zur Führung in Minute 18 und der Auswechslung hatte es diese eine Szene gegeben, die exemplarisch stand für die Vergangenheit des VfB, für den vertrieben geglaubten Geist des Alexander Zorniger, unter dem das Stuttgarter Team im Spätsommer und Herbst die Begriffe Slapstick und Chancenverwertung zusammenführte. Aus vier Metern vor dem leeren Tor bugsierte Werner in der 75. Minute den Ball neben selbiges und fiel dabei selbst ins Netz. "Den Ball hat er gesehen, das Tor wohl nicht mehr", suchte VfB-Trainer Jürgen Kramny später eine Erklärung.

In 24 von 25 Versuchen trifft Werner wohl - nicht am Samstag

Wie auch immer, Werner wäre er am liebsten liegen geblieben, dort hinter der Torlinie. Er tat es noch eine Weile. Doch er musste nun noch einmal quer übers Feld zur Stuttgarter Bank. Er ging diesen Weg mit gesenktem Kopf. Hätte er den Ball - was ihm in geschätzt 24 von 25 Versuchen auch glücken dürfte - im Tor untergebracht, er wäre als Stuttgarter Held mit großem Applaus über den Rasen zur Bank getragen worden. Stattdessen mussten Kramny und VfB-Sportvorstand Robin Dutt immer wieder auf diese Szene verweisen, diese "sehr, sehr große Chance", wie sie Kramny nannte.

Vor allem Halbzeit zwei bot wieder einmal ein Potpourri des offensiven Torvermeidens in Stuttgart. 17 Eckbälle schlug der VfB vors 96-Tor, dazu 38 Flanken. Die Stuttgarter Verantwortlichen erinnerten immer wieder an diese Zahl, in schwäbischen Albträumen dürfte sie in den kommenden Nächten doch einen Platz haben. "17 Ecken, fast kein Ertrag", stöhnte Dutt. Unglaubliche 55 Mal flog der Ball insgesamt in den Hannoveraner Strafraum. Dimensionen, die belegen: Ein Mann kann dafür nicht alleine verantwortlich sein. Doch Werner, den Trainer Jürgen Kramny schon zu Jahresbeginn zum Einzeltorschusstraining eingeteilt hatte, ist die Spitze dieser aus Stuttgarter Sicht unsäglichen Auswüchse, die unter Kramny eigentlich grundsätzlich abgestellt schienen.

"Jeder Schuss muss einzeln bewertet werden"

Zuvor war Alexandru Maxims Versuch von 96-Verteidiger Oliver Sorg von der Linie geholt worden, drei Minuten nach Werners Aussetzer scheiterte Filip Kostic alleine vor Ron-Robert Zieler, später vergaben noch Martin Harnik, Lukas Rupp und Artem Kravets, der für Werner ins Spiel gekommen war. Und das waren nur die besten Gelegenheiten der letzten halben Stunde, in der die Hannoveraner bis zum 2:1 nie gefährlich vors Stuttgarter Tor gekommen waren. "Es ist schwierig, Erklärungen zu finden", erklärte Dutt in Bezug auf das Verhältnis aus Gelegenheit und Treffer. "Jeder Schuss muss einzeln bewertet werden."

Nicht neu bewertet werden müssen hingegen die Aussichten des VfB in der laufenden Saison. Die internationalen Plätze sind nach kurzer Hoffnung nun wohl endgültig zu weit entfernt - und der Abstiegskampf bleibt präsent. "Wir wollten eigentlich einen Strich drunter ziehen", gestand Kapitän Christian Gentner. "In Gladbach haben wir unter der Woche eine neue Chance", sagte Kramny dann noch. Ihm ist zu wünschen, dass sein Team bis dahin an der Verwertung selbiger arbeitet.

© SZ vom 28.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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