Stuttgart gewinnt 1:0 in Leverkusen:Ein Skalpell genügt

Lesezeit: 3 min

Der Torriecher hat Christian Gentner trotz Maske. Sein Tor, das einzige der Partie, bringt Stuttgart bis auf zwei Punkte an die zur Europapokal-Qualifikation berechtigenden Plätze heran. (Foto: Federico Gambarini/AFP)

Eine Chance, ein Tor, ein Sieg: Weil Aufsteiger VfB Stuttgart unerhört effizient agiert, rutscht Leverkusen aus den Champions-League-Rängen. Die Schwaben hingegen träumen von der Europa League.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Die Achterbahnfahrt von Bayer Leverkusen, die schon die ganze Saison anhält, geht weiter - und es geht noch weiter abwärts als erwartet. Nach dem 0:1 (0:0) gegen den unglaublich effizienten VfB Stuttgart rutschte die Werkself zum ersten Mal seit Monaten aus den Champions-League-Rängen. Die jüngsten hohen Niederlagen (2:6 im Pokal gegen den FC Bayern, 0:4 in Dortmund) seien bitter gewesen, aber "dieses Spiel" gegen Stuttgart, sagte Bayer-Kapitän Lars Bender mit entsetztem Gesichtsausdruck, "müssen wir erst einmal verarbeiten".

Während Leverkusen nun auf fremde Hilfe angewiesen ist, um in der kommenden Spielzeit international auf höchster Ebene vertreten zu sein, schnuppert Aufsteiger Stuttgart als Achter völlig überraschend an der Zone, die eine Qualifikation für die Europa League ermöglichen würde. "Ich schnuppere gar nichts", sagte VfB-Trainer Tayfun Korkut, "aber im Moment riecht alles gut." Sein euphorisierter Stürmer Mario Gomez jubelte: "Wir waren von der Qualität her sicher sehr unterlegen, aber haben dieses Spiel trotzdem gewonnen." Auf den Europacup angesprochen, sagte er mit einem diebischen Grinsen: "Genießen wir diesen Abend, und lassen wir uns überraschen."

Warum sich Stuttgart so früh in der Saison gerettet hat, war in diesem Spiel sehr gut zu beobachten: Die Gäste waren kollektiv so schnell unterwegs, dass sie den Gastgebern kaum Räume ließen - und ebenso wenig Zeit, den Ball unter Kontrolle zu bringen. Unter Korkut haben die Schwaben nur neun Gegentore in zwölf Partien zugelassen, darunter waren nur zwei Partien mit mehr als einem Gegentor (3:2-Sieg in Köln, ein 0:3 in Dortmund - die einzige Niederlage unter Korkuts Regie). Der zunächst kritisch beäugte Coach, der vor einem Jahr ein eher unglückliches Gastspiel als Interimstrainer in Leverkusen hinter sich brachte, hat seit seinem Amtsantritt sieben Partien gewonnen und die zweitbeste Rückrundenbilanz.

Torwart Zieler hält einen Handelfmeter

Wenn ein Team so unangenehm zu bespielen ist wie der VfB, muss man als Gegner selbst schnell und exakt agieren. Beides Eigenschaften, die der Werksklub auch in dieser Saison schon in atemberaubenden Passagen vorgeführt hat. Aber gegen Stuttgart leisteten sich selbst technisch beschlagene Kicker wie der 18-jährige Gestalter Kai Havertz ungewohnte Mängel. Die Pässe kamen regelmäßig zu spät oder nicht genau genug, und so war es für die Gäste lange ein Leichtes, die Situationen zu klären, bevor sie überhaupt gefährlich werden konnten.

Nicht verwunderlich also, dass der einzige Höhepunkt vor der Pause einer Standard-Situation entsprang. Bei einem Eckball schloss VfB-Verteidiger Timo Baumgartl vor dem Versuch eines klärenden Kopfballs die Augen; er verschätzte sich, so dass der Ball auf seinen ausgestreckten Arm tropfte. Schiedsrichter Tobias Welz erkannte das Vergehen nicht, wurde aber nach etwas über einer Minute vom Video-Assistenten aufgefordert, sich die Situation noch einmal anzusehen. Den anschließenden Handelfmeter trat Lucas Alario in der 17. Minute - fast vier Minuten nach Baumgartls Fehleinschätzung - hart, aber nicht sonderlich platziert, so dass Ron-Robert Zieler sich mit einer Parade auszeichnen konnte. Niemand machte den Unparteiischen darauf aufmerksam, dass sich schon vor der Ausführung Sieben Stuttgarter im strafbaren Bereich bewegten. (Ebenso stumm blieb Video-Assistent Jochen Drees übrigens, als Baumgartl in der 44. Minute eine Kopie seines geahndeten Handspiels unterlief.)

Erst vergibt Bellarabi das 1:0, dann leitet er das Gegentor ein

Erst nach dem Wechsel ließen die Gastgeber erkennen, warum sie vor dem Jahreswechsel so lange ungeschlagen geblieben waren. Stuttgart wurde weiter nach hinten gedrängt. Chancen ergaben sich fast zwangsläufig. Zieler parierte gegen Leon Bailey (51.), Volland schoss überhastet drüber (56.), und Bellarabi bekam in der 66. Minute "ein Geschenk von Zieler, das er leider nicht annahm" (Herrlich): allein vor dem Torwart, schoss der Stürmer Zieler an.

Mitten hinein in diese erste gute Leverkusener Phase setzte der VfB einen Angriff von skalpellartiger Schärfe - und schloss ihn mit der Präzision eines besonders abgeklärten Chirurgen ab. Es begann (nach einem Fehlpass von Bellarabi) mit Mario Gomez, der seinen bis dahin kaum aufgefallenen Sturmpartner Daniel Ginczek in die Tiefe schickte. Dieser zog zwei Gegner auf sich, legte dann von der Grundlinie klug zurück an den Strafraumrand zum völlig verwaisten Dennis Aogo. Statt übereifrig zu werden, flankte dieser in den Strafraum, wo Kapitän Christian Gentner mit einem Flugkopfball das Führungstor erzielte (67.).

Leverkusen warf nun erst recht alles nach vorn, aber mehr als drei Halbchancen sprangen nicht mehr heraus. Auch der eingewechselte Stefan Kießling, der in seiner langen Karriere schon 14-Mal gegen den VfB getroffen hatte, konnte nicht verhindern, dass sein Verein wieder ohne Tor blieb - seit dem 20. Spieltag schon zum siebten Mal. Die passende Szene dazu: In der Nachspielzeit drang Bailey noch einmal in den VfB-Strafraum ein. Der Jamaikaner schoss ... den Mitspieler Kevin Volland an.

© SZ vom 29.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: