Stimmung  in Südkorea:Der Eisenmann vom Sandstrand

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Skeletonfahrer Yun Sung-bin bringt den Einheimischen die Spiele nahe. Er erobert eine Bühne, die bislang nur Nordamerikanern und Mitteleuropäern gehörte.

Von Volker Kreisl

Er ist kein Filmheld. Yun Sung-bin ist leise und nachdenklich, und er hat in seiner Karriere schon manche Niederlagen erlebt. Er tritt nicht auf wie dieser Typ, den er als Kind bewunderte und als den ihn die kieksenden und kreischenden Jugendlichen ansehen, darunter viele Mädchen und wohl auch ein paar Helfer, die für dieses Olympia-Rennen auf der Bahn von Pyeongchang mal kurz ihre Posten verlassen haben: Iron Man.

Yun Sung-bin wirkt nicht wie ein Retter, aber er hat am Freitag Gold im Skeleton gewonnen. Damit eroberte der Südkoreaner die Herzen vieler Landsleute, zudem die Bühne des Kufensports. Die gehörte bislang vor allem Nordamerikanern und Mitteleuropäern. Doch keiner von denen hatte diesmal eine Chance.

Yun war binnen weniger Jahre hereingebrochen über diesen Sport, 23 Jahre ist er erst alt und hat bereits alle Fähigkeiten. Mit seiner rasenden Fahrt kamen die Olympischen Spiele endlich auch dort in Gang, wo es bislang nur kalt und windig war: in den Bergen von Pyeongchang, im Herzen der Spiele von 2018. Zudem leuchtete der Himmel hellblau, die Sonne strahlte erstmals etwas Wärme herunter auf die Menschen. Und die 7000 Zuschauer an der ausverkauften Eisbahn mussten sich fühlen wie die deutschen Fans beim Neujahrs-Skispringen, denn die Koreaner feierten an diesem Freitag den Jahresbeginn. Und dann war da noch die Vorfreude, denn nach Yun kommt Won.

Keine übermenschlichen Kräfte: Yun Sung-bin hat sich das Gesicht von Iron Man auf seinen Skeleton-Helm sprayen lassen, verfügt allerdings nicht über einen eingepflanzten Lichtbogenreaktor. (Foto: Tobias Hase/dpa)

Der Bobpilot Won Yun-jong und sein Anschieber Seo Young-woo steigen am Sonntag in den Wettkampf ein. Auch sie sind Favoriten auf Gold, wenngleich sie es im Zweierschlitten unter anderem mit dem Sachsen Francesco Friedrich und zwei weiteren deutschen Top-Besatzungen zu tun bekommen, es also schwerer haben werden als der Iron Man.

Der ist eigentlich ein Superheld aus einer etwas verschlungenen Geschichte, in der es um übermenschliche Kräfte durch einen eingepflanzten Lichtbogenreaktor geht, um das Böse und das Gute und so weiter. Als der Film herauskam, war Yun ungefähr zehn Jahre alt, und er hat ihn stark beeindruckt. Auf seinen Skeleton-Helm hat sich Yun das Gesicht des Eisenmannes sprayen lassen, "denn damit", sagt er, "sieht man aus wie der Iron Man, wenn man in die Bahn hinaus springt".

Wer so denkt, der ist im Herzen ein Kind geblieben, das ist nicht das Schlechteste, erst recht nicht für einen Sport wie Skeleton. Entgegen dem ersten Eindruck ist der gar nicht so gefährlich, anders als im Bobsport oder im Rodeln gehen Stürze fast immer glimpflich aus. Wichtig ist dagegen das Fahrgefühl, denn ein Skeleton fährt nicht auf sicheren Kufen, sondern nur auf zwei gebogenen Rundstangen. Der Fahrer muss sich dem Rhythmus der Kurven hingeben können, in der Lage sein, aus dem Bauch heraus zu fahren.

Yun Sung-bin (Foto: Arnd Wiegmann/Reuters)

Welch feines Gespür Yun für diesen Sport haben würde, konnte in seiner Kindheit niemand erkennen. Denn er wuchs nicht in den Bergen auf, schon gar nicht an einer Skeleton-Bahn, sondern in Gyeongsang im Süden des Landes; da gibt es kein Eis, nur Sandstrände. Was seinen Eltern dennoch bald klar vor Augen stand, war das allgemeine Sporttalent ihres Sohnes. Der hatte zunächst nicht viel Ehrgeiz, wurde aber trotzdem im Grundschulalter in die Fußball-Auswahl seiner Schule berufen, gewann Jugend-Wettkämpfe im Sprint und im Hochsprung.

Hätte damals irgendjemand in seinem Umfeld Ahnung vom Skeleton gehabt, er hätte Yuns großartige Anlagen für diesen Sport erkannt. Dieser verlangt neben ausgeprägtem Fahrgefühl auch Sprintstärke und Sprungkraft, aber damals war Südkoreas Olympiabewerbung gerade zum ersten Mal gescheitert, der Winter stellte kein Thema dar - und was war schon Skeleton? Basketball war fortan Yuns Sport.

Ein Sport-Gymnasium hatte ihn zuvor abgelehnt, also spielte er auf einer normalen Schule eine Weile Basketball, bis ihm eines Tages der Sportlehrer erzählte, was er sonst noch so mache. Dem Lehrer waren Yuns Sprintfähigkeiten nicht entgangen, er war ständig auf der Suche nach ungebundenen Talenten wie diesem, er war im Nebenjob Sportdirektor des koreanischen Bob- und Schlittenverbandes.

Zwei hatten sich da also gefunden: der für jeden Sport offene Yun Sung-bin und der Funktionär, der vielleicht schon an die Stimmung in den Bergen von Pyeongchang dachte - inzwischen waren die Spiele dorthin vergeben worden. Yun war 18, Yun war Iron Man, und spielt Iron Man Basketball? Nein, er fährt Skeleton. In Trainerkreisen wird erzählt, warum alles so schnell ging: Yun sei lernfähig wie kein anderer, man gebe ihm einen Tipp und er setze ihn eins zu eins um. So bestand wohl die größte Schwierigkeit darin, seine Mutter zu überzeugen, schreibt der Korea Joongang Daily. Die hatte ein Skeleton-Video gesehen und erst mal nein gesagt.

Yun hat keine Superkräfte, aber er kann sich offenbar für eine Sache begeistern und dabei bleiben. Am Ende hat er sich gegen alle Widerstände durchgesetzt, gegen die Lehrer des Sportgymnasiums, die ihn abgelehnt hatten, gegen den Willen seiner Mutter und auch gegen die Schmerzen nach den Bandenremplern in Park City in den USA, bei seinem ersten Training auf einer schnellen Weltcup-Bahn. Er steigerte sich von Jahr zu Jahr, bis er auch sein Skeleton-Vorbild, den seit 15 Jahren überragenden Letten Martins Dukurs besiegte. Yun gewann in diesem Jahr den Gesamt-Weltcup, und nun stellte er sich zum letzten von vier Läufen an der Bahn von Pyeongchang auf.

Dukurs, der nie bei Olympia gewann, hatte da schon seine letzte Chance vergeben, der Weg für Yun war frei. Er hatte den Start-Rekord aufgestellt, er lag in jedem der bislang drei Rennen, in jeder Zwischenzeit vorne. Und er war zuständig für die große Party des koreanischen Neujahrsfestes. Um ihn herum stieg der Lärmpegel, unten in den großen Kurven hätte er die Fans trotz der rappelnden Fahrt unter dem Helm hören können.

Das tat Yun aber nicht, er brachte auch seine letzte Aufgabe makellos zu Ende, als wäre sie nur ein Spiel. "Ich habe versucht, an gar nichts zu denken", sagte er. Dazu arbeiten Sportler jahrelang mit einem Mentaltrainer, aber womöglich setzte sich am Start auch das Kind in Yun durch. Kinder können komplett abschalten, wenn sie etwas fasziniert. Und Yun dachte wohl tatsächlich an nichts, nicht an die Tücken der Bahn, nicht an die vielen Menschen, nicht an seine Trainer, wahrscheinlich nicht mal an Iron Man.

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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