Stevens' Einstand in Hamburg:Mutter aller Psychosen

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Auch unter Trainer Huub Stevens versagen dem Hamburger SV in den letzten Minuten die Nerven - diesmal freut sich Hertha BSC.

Claudio Catuogno

Huub Stevens wurde schon erwartet, seit einer guten halben Stunde lauerten die Fotografen darauf, dass der neue Trainer des Hamburger SV das Berliner Olympiastadion betreten würde.

Vielleicht lag das auch daran, dass sie schon lange keinen Blödsinn mehr fotografiert hatten, und noch am Freitag, im Verlauf seiner ziemlich wirren Inthronisierung, hatte Stevens ja mitgeteilt, "es wäre Blödsinn, sich schon am Samstag das erste Mal auf die Bank zu setzen''. Sein Job beginne am Sonntag oder am Montag. Dann setzte sich Stevens am Samstag aber doch auf die Bank, und so begann also die Geschichte: mit Blödsinn im Blitzlichtgewitter.

90 Minuten später endete sie damit, dass kaum noch jemand Huub Stevens fotografieren wollte. Der Pulk eilte nun einem kleinen, dunkelhäutigen Mann hinterher. "Mineiro'', riefen die Fotografen, "Mineiro'', und der kleine Mann lächelte schüchtern in die Kameras. Carlos Luciano Da Silva, 31, genannt Mineiro, hatte gerade das 2:1 für Hertha BSC erzielt. In seinem ersten Einsatz für die Berliner. In der letzten Minute der Nachspielzeit. Per Bilderbuchschuss aus 25 Metern.

Spiel mit grotesken Details

Der neue Brasilianer würde nun das große Thema sein in Berlin, das wussten die Fotografen. Stevens stand ein paar Meter weiter. Die Hände hatte er in den Taschen dieses langen, blauen HSV-Mantels vergraben, von dem man bisher dachte, er sei mit seinem Vorgänger Thomas Doll verwachsen. Die schwarzen Haare hatte er streng an die Kopfhaut gegelt. Er sah aus wie immer, er war gerüstet für schonungslose Analysen, aber er wirkte schon jetzt ziemlich verlassen. Wohl der beste Beleg dafür, dass der Neuanfang beim HSV fürs Erste ziemlich schiefgelaufen war.

Es war ja nicht die Niederlage an sich gewesen, die Anlass zu verschärfter Sorge gab, es war vielmehr ihre Dramaturgie. Es waren die teils dramatischen, teils grotesken Details eines an sich eher niveauarmen Bundesligaspiels.

Der Anspruch an Huub Stevens war zuvor klar formuliert gewesen: Niemand erwartet vom HSV in diesem Jahr noch große Fußballfeste, vielmehr muss der Tabellenletzte ein Gesetz der Serie durchbrechen. Endlich mal ein Spiel ohne Nervenflattern, ohne spätes Gegentor. Endlich mal kein unglücklicher Rückschlag in den letzten Minuten, wie es unter Thomas Doll schon zum Dauerzustand geworden war, fast zur Psychose.

Doch wenn sie in Hamburg dereinst auf diese Saison zurückblicken werden, ob nun als Absteiger oder als in letzter Minute Geretteter, dann müssen sie die Partie gegen die Hertha im Olympiastadion als die Mutter aller unglücklichen Niederlagen begreifen.

Nicht nur, weil sie Mineiro einfach so haben schießen lassen, ein paar Sekunden vor Schluss, oder weil sie auch den Kopfballtreffer von Arne Friedrich zum 1:1 (78.) nicht verhindert haben. Sondern vor allem wegen der Szene kurz zuvor, die in der Rangliste der absurd vergebenen Torchancen gute Aussichten auf einen Spitzenrang hat: Da war doch Joris Mathijsen der Ball vor die Füße gefallen, nach einer Parade des Hertha-Schlussmannes Christian Fiedler. Doch Mathijsen drosch ihn - anstatt in den Kasten - Boubacar Sanogo auf die Brust, dem eigenen Kollegen, den es irgendwie auf die Berliner Torlinie gespült hatte. Beim HSV, lautete die Botschaft, verhindern sie ihre Treffer jetzt schon selbst.

Dabei war Hertha anfangs durchaus mit eigenen Problemen beschäftigt gewesen nach dem 0:5 in Hannover und einem von Marko Pantelic vergebenen Elfmeter in der 8. Minute. Doch so kam es, dass Huub Stevens, abgesehen von seinem niederländischen Zungenschlag, schon nach seinem ersten Spiel mit der HSV-Raute auf der Brust kaum anders klang als sein Vorgänger: "Wir haben gut angefangen'', sagte er, "haben dann aber dem Gegner zu viel Raum gelassen, haben das Quentchen Glück nicht gehabt, und jetzt sind wir natürlich sehr, sehr enttäuscht.''

Die Spieler trotteten wortlos davon. Nur Alexander Laas, der Torschütze zur zwischenzeitlichen 1:0-Führung der Hamburger, blieb stehen und sagte über den neuen Coach, der sich am Abend zuvor im Teamhotel vorgestellt hatte: "Er macht einen positiven Eindruck auf die ganze Mannschaft, und jetzt hat er auch einen ersten Eindruck von uns bekommen.'' Der Satz, einfach so dahingesagt, hatte einen bedrohlichen Unterton.

"Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot''

War es nun aber Blödsinn, dass Stevens schon auf der Bank saß, ohne die Mannschaft zu kennen? "Wir haben das am Abend so besprochen'', antwortete er knapp. Es sei ihm "weniger um Einfluss'' gegangen (die Aufstellung tüftelte er mit Amateurtrainer Karsten Bäron und Sportchef Dietmar Beiersdorfer aus). "Es ging darum, ein Zeichen der Unterstützung zu geben.''

Doch Einfluss wird er nun dringend brauchen, und weil man "aus solchen Spielen kein Selbstvertrauen kriegt, muss das Selbstvertrauen jetzt eben aus dem Training kommen'', hat er noch mitgeteilt. Auch das könnte nicht so einfach werden: Am Sonntag übte Stevens das erste Mal mit der Mannschaft, und am Zaun sangen wütende Anhänger: "Wenn ihr absteigt, schlagen wir euch tot.''

© SZ vom 04.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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