Stadionsprecher:Sonne in der Stimme

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"Einer von vielen kleinen Parts" - der Radiomann Andi Wenzel ist Stadionsprecher der deutschen Nationalelf.

Tanja Rest

Winterdepression im Münchner Juni, im "Stadtcafé" Rollkragengesichter und die Pressestimmen zum Japan-Spiel. "Deutschland humpelt", schreibt die Gazzetta dello Sport. "Deutschland macht sich fast schon lächerlich", urteilen die Spanier.

Marek Erhardt ist Stadionsprecher in Hamburg (Foto: Foto: dpa)

Das erste Gefühl bei dem vor zehn Minuten begonnenen Gespräch ist eine vage Irritation, die man zunächst nirgendwo hinstecken kann. Etwas jedenfalls... stimmt nicht. "Ich freu' mich wie ein Kind", sagt Wenzel gerade. "Ich weiß nicht, wie's Ihnen geht, aber ich hab' mein Panini-Album schon zur Hälfte voll." Bis man auf einmal begreift: Nicht zu fassen. Der Mann ist ernsthaft guter Dinge!

Damit ist schon viel gesagt über Andi Wenzel, 52. Er ist Moderator bei Radio Gong, seit neun Jahren interviewt er wöchentlich Franz Beckenbauer für einen Verbund von 60 Radiostationen, seit dreizehn Jahren ist er offizieller Stadionsprecher der deutschen Nationalmannschaft. Vor allem aber ist er Optimist. Komme, was wolle. "Ist doch sinnlos, immer rumzurennen und sich die Welt ganz anders zu wünschen." In diesen Tagen mit Andi Wenzel zu reden, tut irgendwie gut.

Banges Gefühl

Nun hat sich allerdings auch in seinen Gutelaune-Kosmos ein banges Gefühl eingeschlichen. Weil er zum WM-Auftakt, Deutschland gegen Costa Rica, ja "die Stimme" ist, die mit 160000 Watt aus den Lautsprechern dröhnt. Und dann nochmal, und nochmal, so oft die Deutschen eben antreten. Das zerrt ganz unangenehm an seinen Nerven. "Man kann sich schon blamieren. Wenn du Klose statt Ballack als Torschütze durchsagst. Oder falsches Englisch sprichst, wie bei der Eröffnungsfeier vom Confed-Cup." Und daran sieht man wieder mal, wie unfassbar groß und ferngesteuert diese Weltmeisterschaft wirklich ist: dass der Stadionsprecher Wenzel damals noch eineinhalb Stunden fröhlichen Bockmist auf Englisch verzapfen durfte.

Am Freitag werden vor ihm auf dem Sprechertisch Kärtchen mit Sätzen liegen, die ein Fifa-Team formuliert hat. Sie besagen im Großen und Ganzen, dass die Mannschaften und die Zuschauer bei dieser WM herzlich willkommen sind. Er wird die Kärtchensätze zur angegebenen Zeit vorlesen - "die letzten 25 Minuten vor dem Spiel sind geradezu rituell festgelegt". Wie man den Namen des costa-ricanischen Stürmers Paulo Wanchope korrekt ausspricht, ist dann das Problem des Allianz-Arena Sprechers Stephan Lehmann, der die Vorstellung der gegnerischen Mannschaft übernimmt.

Es gibt streng genommen also keinen Grund, weshalb Andi Wenzel am Freitag nervöser sein sollte als sonst. "Meine Situation ist im Prinzip die gleiche", sagt er. "Nein, sogar viel vorhersehbarer!" Es klingt schon ein bisschen beschwörend. "Ich bin bloß einer dieser vielen kleinen Parts, die da auch nervös sind", redet er sich selbst gut zu, "das hat nichts mit der Wichtigkeit meiner Aufgabe zu tun."

Übrigens hat er sich um diese Aufgabe nie beworben. Sondern er ist richtig entdeckt worden, von Wolfgang Niersbach, heute Vizepräsident des Organisationskomitees, damals Pressedirektor des DFB. 1993 war das, Wenzel war Stadionsprecher des FC Bayern und moderierte das Champions-League-Finale zwischen AC Mailand und Olympique Marseille im Münchner Olympiastadion. Er versprühte die gute Laune diesmal vierprachig - auf deutsch, italienisch, französisch und bayerisch -, und hinterher sagte Niersbach zu ihm: "Das hätten wir für die deutsche Mannschaft auch gerne." Da hat er "rote Ohren" gekriegt.

Wann immer die Nationalelf seither auf heimischem Rasen angetreten ist, es ist die Stimme von Andi Wenzel gewesen, die alle Tore mitgezählt hat. Und an seiner Seite ist jedesmal der heimische Stadionsprecher gesessen und hat auch ein bisschen was sagen dürfen. Das haben sie so eingerichtet, damit es keinen Stunk gibt.

Wenzel sieht es so, dass er "eine Tätigkeit des Ansagens" ausübt. Ein wenig Raum für Interaktion mit den Fans, er begrüßt das Publikum, schmettert die Namen der Deutschen ins Mikrofon, vermeldet Auswechslungen und Tore und hat ansonsten die Klappe zu halten. Ein guter Stadionsprecher? "Ist ein kompetenter und charmanter Gastgeber, der nicht damit hinterm Berg hält, dass wir schon auch gewinnen wollen. Alles andere wär' ja gelogen." Vielleicht wird es doch hart für ihn, am Freitag.

Streng neutral

Die Fifa verlangt absolute Neutralität, also auch von der Stimme der Deutschen. Wenzel wird unten zwischen den Ersatzbänken in einer Art Kabuff sitzen, neben sich den Ton-Mann, den Mann für die Leinwand-Bildregie und seinen Sprecher-Kollegen Lehmann. Er wird einen Monitor vor sich haben und trotzdem immer aufs Spielfeld gucken, ob Ballack oder Klose vielleicht ein Tor schießt. In diesem Fall wird er inhaltlich aber absolut neutral bleiben, nur "die Sonne vielleicht ein bisschen durch die Stimme scheinen lassen".

Außerdem hat Andi Wenzel den direkten Draht nach oben zur Notfallkabine, wo ein weiterer Sprecher sitzt, der den direkten Draht zur Polizei-Zentrale hat. Und auf Wenzels Kärtchen stehen nicht nur Begrüßungsvokabeln der Fifa, sondern auch Deeskalationstexte von Massenpsychologen. Zum Beispiel, dass München weltoffen und gegen Rassismus ist, "und wenn sich jemand in Ihrer Nähe rassistisch äußern sollte, dann sagen Sie ihm das". Bestimmt gibt es auch einen Text für den Fall eines auf die Allianz-Arena zusteuernden Flugzeuges, aber den kennt Wenzel nicht. Überhaupt redet er über dieses Thema eher ungern.

"Ich müsste mir meine Hilflosigkeit eingestehen", sagt er schmal. "Es ist doch so, dass die Einflussmöglichkeiten des Stadionsprechers überschätzt werden. Emotionen verstärken - jederzeit. Aber sie wenden, von Fremdenfeindlichkeit zu Toleranz, von Panik zu Ruhe? Das ist superschwer."

Es entsteht an dieser Stelle ein zwischen beiden Gesprächspartnern ausgetragener Wettbewerb des Schweigens, den Wenzel nach strenger Auslegung der Regeln verliert, weil er als Erster losquatscht. Unterm Strich hat er natürlich trotzdem gewonnen, weil er in den paar Sekunden weißgottwie die emotionale Flanke nach Düsseldorf hinbekommen hat, zum öffentlichen Training der Deutschen am Vortag. "43000 Leute standen da. Ich sag' bloß, die Welle lief rum, die Menschen waren begeistert, ich hab' am Mikro ein bisschen Jux mit denen gemacht - das war großartig! Die jungen Spieler haben 'ne Gänsehaut gekriegt!"

Wenzel kommt in Fahrt. Er redet über die Medialisierung des Fußballs, wie überschätzt die sei, dass der Spaß und die Leidenschaft der Leute noch immer von innen kämen, und dabei gelingt ihm ein besonders schöner Satz. "Wenn ein paar Menschen das Spiel richtig können und irgendwo auf einer grünen Wiese kicken würden", sagt Wenzel, "dann würden früher oder später Menschen auf dieser Wiese stehen und sie anfeuern."

Die Frage nach den Chancen der deutschen Kicker lächelt "die Stimme" natürlich professionell weg. "Meine Frau hat mir für sieben Tage freigegeben. Ich hab' fest vor, mich dran zu halten."

© SZ vom 7.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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