Sprint:Doch Drummond blieb

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Die neue Fehlstartregel sorgt für einen Eklat um den disqualifizierten 100-m-Läufer aus den USA.

Auf der Ehrentribüne im Stade de France umspielte leise Ratlosigkeit die Züge der Prominenz, andere schienen die Vorstellung irgendwie originell zu finden und schmunzelten, aber gerade Jacques Rogge, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, wirkte pikiert. Für eine Protestveranstaltung um den amerikanischen Sprinter Jon Drummond vor 50.000 Menschen hatte er sich eigentlich nicht nach Paris zur WM bemüht, er wollte nichts als Leichtathletik sehen, aber das war an diesem Abend nicht zu kriegen. Die Fehlstartregelung, seit dieser Saison in Kraft, um die Abläufe der 100-m-Rennen fürs Fernsehen zu beschleunigen, ließ die Teilnehmer des zweiten Viertelfinallaufs in Zorn gegen das Wettkampfgericht geraten und wirbelte das Programm durcheinander.

Kritiker der Regelung haben einen solchen Eklat kommen sehen. Die Regel besagt, dass nach dem ersten Fehlstart jeder weitere Fehlstarter disqualifiziert wird. So geschah es schon im Vorlauf mit dem Deutschen Alexander Kosenkow, der nach einer grotesken Abfolge von Frühversuchen am Ende mit sechs statt mit acht Teilnehmern stattfand. Im zweiten Viertelfinale nun schnellte Jamaikas Thomas Dwight zu schnell aus den Blöcken, das Feld formierte sich neu und wurde wieder zurückgeschossen. Mit bloßem Auge war nicht zu erkennen, wer diesmal zu schnell gewesen sein sollte, aber an den Reaktionszeiten war sich das Wettkampfgericht einig: Jon Drummond, 34, hochdekorierter Startmann der US-Staffel bekam die Rote Karte. Und ein beispielloser Protestakt hob an.

Drummond war außer sich, er fühlte sich unschuldig. Pfiffe wurden laut. Die Zeitlupe erwies, dass ein Zucken seiner Ferse den Startimpuls ausgelöst hatte, ohne dass er sich abgedrückt hatte. Drummond sah das nicht als Vergehen. Die Richter blieben hart: Drummond sollte gehen, doch Drummond ging nicht. Er schritt die Bahn hinunter und legte sich zwischen die Linien zum stillen Protest. Hilflos versuchten die Jurymitglieder ihn von der Bahn zu bitten. Drummond blieb. Minuten vergingen, zuvor hatte auch der Jamaikaner Asafa Powell die Rote Karte gesehen, weil der Computer zeigte, dass er ebenfalls unter der zulässigen Reaktionszeit geblieben war.

Die Situation wurde undurchsichtig. Irgendwann war Drummond wieder auf den Beinen. Seine Lippen zitterten, er bebte vor Wut. Er stapfte zum Ausgang, doch er kehrte zurück, der Protest lebte aufs Neue und nun stimmten die Kollegen ein, Ato Boldon vor allem, der Drummond applaudierte und offenbar eine kleine Demonstration organisierte. Wenig später waren die Sprinter aus dem Stadion verschwunden und Olympiasiegerin Marion Jones kommentierte im Fernsehen: "Die neue Fehlstartregelung ist ein Alptraum." Dazu gab es Bilder vom Vorplatz: Drummond, weinend in den Armen seines Trainer John Smith.

Der umstrittene Lauf fand später doch noch statt, ohne Drummond natürlich, auch ohne Powell. Und wieder dauerte es elend lange, ehe die Männer im Ziel waren. Ato Boldon blickte flehend zum Himmel, als es sich wieder einmal umsonst in den Startblock gekauert hatte. Irgendwann klappte es doch. Boldon gewann in 10,09. Vor dem Stadion lachte Drummond wieder. Sein Fall dürfte trotzdem ein Nachspiel haben.

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