Sport in London:Robin Hood und andere Wettkönige

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Am Sonntag war auf der Insel Super Sports Sunday: Tour, Formel 1, Wimbledon - was für ein Tag für Buchmacher! Sollte man meinen. Doch es gibt wichtigere Sportarten. Besuch in einem Londoner Wettbüro.

Thomas Becker

Robin Hood ist nicht gut drauf. Flucht und flucht und flucht. "F...! F...! F...!" Wie ein Berserker tobt er durch den Raum. Der quietschgelbe Smiley an seinem grünen Waldmannhut wirkt wie purer Hohn. Der Mann im Jägerwams und dem Rucksack auf dem Rücken ist pleite. Hat nur noch ein paar Münzen in der Hosentasche. Will aber unbedingt wetten. Und Geld gewinnen, viel Geld - um wieder wetten zu können. Ein übler Kreislauf.

Hamster, Krokodile - man kann auf alles mögliche wetten. (Foto: Foto: dpa)

Als sein Gefluche nicht aufhört, schnauzt ihn einer der wenigen Wettfreaks an, er solle sich doch verpissen, wenn er kein Geld hat. Robin Hood schaut grimmig und flucht leise weiter. Sein hypernervöser Kurzauftritt im Wettbüro endet mit einem verlorenen Hunderennen, einem ausgiebig zerknüllten Wettschein, mehreren Flüchen und einer zugeknallten Tür. Willkommen in der Welt der Londoner Buchmacher!

Borough High Street in Southwark, Süd-London. Einer der größten Obst- und Gemüsemärkte der Welt ist hier am Südende der London Bridge zu Hause. Und ein klitzekleines Wettbüro namens Coral. Es ist Sonntagnachmittag. Nein, es ist mehr: Es ist der Super Sports Sunday. Erste Etappe der Tour de France, Herren-Finale in Wimbledon, erstes Heimrennen von Formel-1-Shooting-Star Lewis Hamilton im nahen Silverstone - ein perfekter Tag für Sportwetten, denkt der Novize. Viel mehr Sport geht nicht rein in einen Tag. Schade, dass man nicht auch noch auf das Live-Earth-Konzert in Wembley wetten konnte.

Doch kaum betritt man das Wettbüro, macht sich Ernüchterung breit. Gerade mal drei Mann verlieren sich vor der Wand mit den 15 Bildschirmen - und sehr viel mehr werden es im Verlauf des Nachmittags auch nicht. Was ist los mit den Briten? Keine Lust auf großen Sport? Es ist anders. Für die englischen Zocker sind Hunde- und Pferderennen die großen Sportarten. 13 der 15 Bildschirme zeigen Fernsehbilder und Tabellen über Windhunde und Galopper. Die Formel 1 mit Flavio Briatore, Mrs. Beckham und all den anderen Adabeis klebt rechts unten in der Ecke. Von der Tour de France und von Wimbledon ist erst mal gar nichts zu sehen. Hm!

Hunderennen also. Sechs hochgradig magersüchtig wirkende Tiere werden mehr oder weniger galant in eine Box gestopft. Irgendwann klingelt es und die Hunde schießen nun um das Oval, dass der Sand nur so fliegt. Nach wenigen Sekunden ist die Hatz vorbei. Nicht selten wird ein Zielfoto und die Super-Zeitlupe benötigt, um den Sieger auszumachen. Großes Tennis. Und erst die Namen! Zig Zag Lincoln, Dinner Guest, Bad Copy, Little Sausage, Bauhaus, John Keats - wunderbare Hundenamen. Respekt, liebe Engländer!

Die Pferderennen: Dauern etwas länger, kommen an die Hundenamen bei weitem nicht ran, bleiben für den Laien aber ebenfalls ein Rätsel. Das komplette Wettbüro ist mit Tabellen und Ranglisten in Kleinstschrift zugepflastert. Ein Fachchinesisch, das nur Eingeweihte verstehen. Geredet wird hier sowieso kaum. Man ist schließlich beschäftigt. Die wenigen, die da sind, wetten alle paar Minuten: auf Pferde, Hunde, die Formel 1 und die Copa America: Argentinien gegen Peru. Die meisten trauen Tevez den ersten Treffer zu (nicht Messi) beziehungsweise Pizarro (und nicht Guerrero).

Nun aber: selber wetten! Tour de France! Riesen-Ereignis! Erstmals in London! Mein Gegenüber am Wettschalter heißt Mr. Li. Eine Glasscheibe trennt uns - und ein paar Welten. Sein Englisch ist ungefähr genauso mies wie meins.

Seine Bereitschaft, mich in die rästelhafte Wettwelt einzuführen, ist nicht der Rede wert. Ich will den Etappensieger tippen. David Millar. Zeitfahr-Weltmeister, mehrfacher Etappensieger bei der Tour. Drei Tage lang trug er sogar mal das Gelbe Trikot - als Schotte! Ein heißer Tipp also. Mr. Li kennt ihn nicht. So ziemlich den einzigen Briten, der bei dieser Tour etwas reißen könnte. Kennt er nicht. "Please write the name down", sagt er. Ich write. Er schaut. Schüttelt den Kopf. Guckt in den Computer. Tippt. Schüttelt nochmal. Kennt ihn immer noch nicht. "I'm sorry. There are no quotes for today." Keine Quoten für die Tour? "No Sir, not for today." Auf den Gesamtsieger könne ich ja wetten.

Aber so viel Zeit habe ich nicht.

Formel 1, das müsste wohl gehen, oder Mr. Li? Ein Nicken, kein Lächeln. Die Quoten sind eindeutig: Für einen Hamilton-Sieg gibt es praktisch gar nichts zu gewinnen, bei einem Alonso- oder Räikkönen-Erfolg auch nicht. Für einen Heidfeld-Triumph schon eher. 1/10 lautet seine Quote. Warum denn nicht? Fünf Pfund sind ja nicht die Welt. Mr. Li stempelt, und weiter geht's: Tennis! Federer ist Favorit, 1/6. Nadal steht bei 7/2. Bei einem Fünf-Satz-Sieg Federers gibt es 11/2, bei einem Fünf-Satz-Sieg Nadals aber 17/2. Das ist meine Wette, und schon verschwindet ein weiterer Fünfer in Mr. Lis Kasse.

Jetzt aber zurück zu den Bildschirmen, in Silverstone geht es gerade los. "Come oooon, Lewis!", kehlt ein Brite in Michelin-Männchen-Format neben mir. Es sollte sein einziger Gefühlsausbruch an diesem Nachmittag bleiben. Auch die anderen Wetter haben sich gut im Griff. Keine Anfeuerungsrufe, nix. Profis halt. Die Formel 1 dreht sich, doch schon bald erwischt man sich dabei, wie man zum Hunderennen auf dem großen Schirm rüberlinst. Biff of the bear eine Hundeschnauze vor Soviet Some und Magical Toni. Ehrlich: Jedes Hunderennen ist spannender als die Formel 1. Und dass Heidfeld nicht gewinnen würde, war ja schon vorher klar.

Irgendwann später: Tennis. Auf einem erbärmlich kleinen Schirm, ohne Ton. Das geht gar nicht. Kurze Wettbüro-Pause, Umzug ins nächste Pub. Im uralten "The George" gleich nebenan tranken angeblich schon Dickens und Shakespeare und folglich entzieht man sich hier dem Großleinwandwahn. Ein paar Schritte weiter im Henry VIII. gewidmeten "The Head" sieht es besser aus: vorn riesengroß Wimbledon, links Le Tour und rechts Cricket, Großbritannien gegen die West Indies - das kann dauern.

Federer führt, schlecht für mich. Doch Nadal, der zähe Knochen, hält dagegen, gleicht aus, 1:1 nach Sätzen. Schnell wieder rüber ins Wettbüro: die Quoten checken. Federers Werte sacken ab: von 1/6 bis 1/12 - hoppala! Zu dumm, dass keine related multiples allowed sind, keine kombinierten Wetten. Und die Scheine gehen mir allmählich auch aus. Nochmal an den Automaten oder erst mal die Münzen setzen?

Da kommt Robin Hood rein. Als er wieder draußen ist, sehe ich neben den Roulette-Automaten das Plakat: "Problems with gambling? Call...." Ob Robin schon mal angerufen hat?

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