Spektakuläres Remis:Der Keller bleibt stumm

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Leverkusen spielt beim 2:2 gegen die TSG Hoffenheim über weite Strecken exzellent, vergeudet aber so viele Chancen, dass ein umstrittener Videobeweis entscheidende Bedeutung bekommt.

Von Milan Pavlovic, Leverkusen

Wieso war Mark Uth so frei, als er das 2:2 für Hoffenheim in Leverkusen erzielte? Jedenfalls nicht, weil er vorher ein Foul begangen hätte, entschieden die Schiedsrichter - sehr zum Ärger der Werkskicker. (Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Rudi Völler wirkte zunächst alles andere als schlecht gelaunt, als er im Bauch des Leverkusener Stadions auftauchte. Leverkusens Manager haderte nach dem kuriosen 2:2 (1:0) der Werkself gegen die TSG Hoffenheim sacht mit dem Ergebnis ("Wir haben uns nicht belohnt"), lobte aber lieber die spielerische Leistung seines Teams und wirkte irgendwie zufrieden - bis er auf das 2:2 zu sprechen kam. Ein "klares Foul" wollte er an seinem Verteidiger Benjamin Henrichs gesehen haben, erst dadurch sei Torschütze Mark Uth so frei zum Abschluss gekommen. Der Videobeweis hätte das auflösen müssen, polterte Völler im besten Völler-Stil, und als er hörte, dass der erfahrene Referee Wolfgang Stark in der Zentrale in Köln Video-Schiedsrichter dieser Partie war, grantelte er: "Da muss er eingeschlafen sein im Keller. Dann brauchen wir keinen Videobeweis, wenn eine solche Szene nicht gesehen wird."

Da war sie also schon wieder, die Diskussion um den Videobeweis und die Auslegung einzelner umstrittener Szenen.

Denn natürlich kamen alle Leverkusener auf die Szene zurück. "Da war ein leichter Kontakt", klagte der neue Trainer Heiko Herrlich, "Henrichs fällt ja nicht freiwillig." Und dann kam er auf die Verhältnismäßigkeit zu sprechen: Am ersten Spieltag, beim 1:3 in München, habe der FC Bayern einen Elfmeter durch einen Video-Beweis bekommen, den Robert Lewandowski verwandelte, weil "unser Spieler eine Hand auf Lewandowskis Schulter legt". Das habe er akzeptiert, aber "wenn so etwas gepfiffen wird, dann muss eine Linie gefahren werden".

45 Minuten rasanter Fußball, 8:0 Chancen - aber nur ein Tor

Der vermeintlich gefoulte Henrichs beschwert sich nach dem 2:2. (Foto: Bongarts/Getty Images)

Immerhin betonte der Trainer: "Wir müssen uns an die eigene Nase fassen", denn "die tolle Leistung der ersten Halbzeit" sei dem Ergebnis nicht angemessen zu entnehmen gewesen. In der Tat dürften Leverkusen und Hoffenheim schon länger nicht mehr solche 45 Minuten erlebt haben. Schon nach wenigen Minuten wurde klar, dass die in der Champions-League-Qualifikation klar an Liverpool gescheiterten Hoffenheimer nicht ihr rabiates Pressing-Spiel aufziehen können würden. Dafür waren die TSG-Profis "zu müde und zu traurig", wie Trainer Julian Nagelsmann sagte, "und die Leverkusener zu schnell".

Bayer war aber nicht bloß schnell. Das Team machte obendrein viele Dinge intuitiv richtig, ob nun Spielverlagerungen im richtigen Moment, freche Tunnel und Hackenpässe, die das Terrain für Konter öffneten. Nur: Der Lohn dafür war verschwindend gering. Beispielhaft die Szene in der 16. Minute, als die Hoffenheimer zusehen mussten, wie der Ball über Brandt (Hacke), Wendell und Kohr in den Lauf von Mehmedi gelangte, der brillant in den Rückraum legte, wo Volland das leere Tor nicht traf.

Absurd genug, dass das Führungstor einer Standard-Situation entsprang: Der steil geschickte Brandt wurde im Strafraum ungeschickt von Bicakcic zu Fall gebracht. In der vergangenen Saison hatte Bayer eine verheerende Elfmeter-Bilanz vorzuweisen, und auch diesmal war es extrem knapp: Wendells harter Schuss (32. Minute) flog vom Innenpfosten ins Netz. Danach wurde die Überlegenheit der Gastgeber noch drückender. Aber wie schon vor einer Woche, bei der unglücklichen Niederlage in München, erwiesen sich die Leverkusener als überaus verschwenderisch im Umgang mit Chancen. Allein in den ersten 45 Minuten ließen sie acht gute Gelegenheiten aus. "Wir machen uns nix vor", gab Nagelsmann zu, "wir hatten viel Glück, dass wir da noch im Spiel waren."

Hoffenheim nutzt gleich die erste Gelegenheit

Wie reagierte Hoffenheim? Zynisch und cool: Die Gäste nutzten ihre allererste Gelegenheit zum 1:1, wobei Bayers neuer Innenverteidiger Sven Bender bei einem Zweikampf mit Sandro Wagner etwas tölpelhaft agierte und so erst den Pass auf Kramaric ermöglichte, der anschließend Torwart Bernd Leno tunnelte (47.). Leverkusen steckte das Gegentor verblüffend locker weg, eine feine Kombination über fünf Stationen brachte Bellarabi im Strafraum halbrechts in Position, die der Stürmer präzise mit einem Flachschuss ins entfernte Eck abschloss (49.). Kurz danach vergaben Brandt (53.) und Bellarabi (58.) noch zwei exquisit herausgespielte Gelegenheiten.

Danach aber war Schluss mit Leverkusens Herrlichkeit. "Die waren urplötzlich saumüde", sagte Nagelsmann leicht verblüfft, schließlich habe die Werkself keine englischen Wochen hinter sich. Es folgte das umstrittene 2:2, wobei niemand wusste, ob bei dem tatsächlich zur Hilfe gerufenen Videoassist der Strauchler von Henrichs untersucht wurde oder eine - definitiv nicht vorhandene Abseits-Stellung des Schützen. Die Krönung des Ausgleichs bestand dann darin, dass Torschütze Uth den Volleyschuss nicht richtig traf, weshalb der Ball zum Aufsetzer über Torwart Leno geriet, an die Unterkante der Latte trudelte - und von dort über die Linie eierte. Mit einem Mal fehlte Leverkusen nicht bloß die Kraft, sondern auch der Mut. Für Hoffenheim wäre sogar noch der Siegtreffer möglich gewesen. "Aber das", sagte Nagelsmann, "wäre absolut unverdient gewesen." Und wenigstens in diesem Punkt waren sich alle einig.

© SZ vom 27.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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