Skiflug-Weltcup in Oberstdorf:Viele Pannen und ein Pflegefall

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Auch vor dem Weltcup in Oberstdorf gelingt den Chefs der deutschen Skispringer nicht alles.

Von Thomas Hahn

Es war spät genug, um auf die verschleiernde Kraft der Dunkelheit zu hoffen, als im Raum Blaue Maus des Oberstdorfer Hotels Waldesruh Skisprung-Bundestrainer Wolfgang Steiert und sein Technischer Leiter Rudi Tusch Platz nahmen. Halb acht nämlich, über Fellhorn und Trettachspitze stand längst die Nacht, und langsam senkte sich ihr Frieden über das Tal der Allgäuer Alpen. Doch das half den beiden leitenden Angestellten des Deutschen Skiverbandes (DSV) zunächst einmal wenig. Das Echo ihrer jüngsten Nachlässigkeit hatte sich bis in dieses Pressegespräch fortgepflanzt, und so gerieten sie schnell in die Defensive. Tagsüber, beim ersten Training zum Skiflug-Weltcup am Samstag und Sonntag auf Oberstdorfs Heini-Klopfer-Schanze (je 15.45 Uhr, RTL), hatten sich ihre Besten geschont, was ihnen wohl niemand verübelt hätte, wenn die Chefs es nur gemeldet hätten. Der Stadionsprecher kündigte ständig irgendwelche Deutschen an, die gar nicht da waren. Das Publikum pfiff, und Max Bolkart, Oberstdorf Tournee-Gewinner von 1960, äußerte sein Unverständnis. Steiert sah es ein ("akzeptiert"), und Tusch beendete die Debatte mit dem leicht genervt vorgetragenen Hinweis: "Wir haben das aufgenommen."

Später hat Rudi Tusch dann noch einmal die Stimme erhoben, weil er die Errungenschaften seiner Abteilung schon wieder nicht ausreichend gewürdigt sah. "So viele Fehler haben wir nicht gemacht", sagte er, "ich weiß nicht, warum die Mannschaftsleistung so schlecht dargestellt wird." Vielleicht weil deren jüngste Auftritte tatsächlich eher mäßig waren? Aber es stimmt schon, das Problem der Skispringer in dieser Saison ist nicht allein an ihren Ergebnissen festzumachen. Es gab schließlich auch erfreuliche Zeichen: den Aufstieg Georg Späths bei der Vierschanzentournee, den ersten Weltcupsieg Michael Uhlmanns in Zakopane. Zuletzt zeigte sich sogar Martin Schmitt verbessert, und insgesamt wirkte das Team ausgeglichen wie selten. Ein verlässlicher Siegspringer fehlt eben, aber das ist nun mal das Zugeständnis, das die Elite ihrem Sport machen muss. Selbst bei optimaler Vorbereitung zieht der seine größten Könner manchmal tief hinab, weshalb auch die sportliche Krise des Skiflug-Weltmeisters Sven Hannawald verzeihlich ist. Es stört etwas anderes: Es sind die kleinen Verwerfungen im Hintergrund, die sich in den vergangenen Monaten auf ungesunde Weise gemehrt haben und diese stolze DSV-Abteilung als nicht besonders gut geführt erscheinen lassen.

Es ist nun bald ein Jahr her, dass die deutschen Skispringer die Siegerehrung bei der WM im Val di Fiemme verpassten, weil offenbar kein DSV-Grande mitbekommen hatte, dass auch Viertplatzierte dort erwartet werden. Das war peinlich und bekam dem damaligen Cheftrainer Reinhard Heß gar nicht gut, der wenig später nach nicht ganz eindeutigen Kolportage-Manövern seinen Posten an Steiert verlor. Im Sommer verabschiedete dann Rudi Tusch den früheren Junioren-Weltmeister Frank Löffler derart ungeschickt aus der Nationalmannschaft, dass man den Eindruck bekommen konnte, unter DSV-Skispringern sei niedriges Körpergewicht das wichtigste Nominierungskriterium. Sportdirektor und Generalsekretär Thomas Pfüller will nach der Saison mit Tusch darüber sprechen.

Und noch immer ist nicht wirklich Ruhe eingekehrt. Wolfgang Steiert vergriff sich zu Beginn der Saison im Ton. Die Materialdebatten der deutschen Logistikprofis führten endgültig ins Absurde, als am Hinterherfliegen in Hakuba/Japan unter anderem die Brille schuld gewesen sein sollte. Das Malheur von Oberstdorf passt ins Bild, ebenso dass Tusch bei der ständigen Suche nach Erklärungen jetzt auch noch sein eigenes System in Frage stellte. Der Rückzug ihres Meisterfliegers Hannawald ist die größte Sorge Tuschs und Steierts. Zur Zeit beschreiben sie ihn in erster Linie als Pflegefall, der nur unter intensiver Betreuung den Weg zurück zu alter Stärke finden kann, und Tusch sagt: "Es kann nur einer an ihn ran, das ist der Wolfgang. Jahrelang war der Sven gewohnt, dass er die individuelle Betreuung bekam. Dieses Jahr war eine andere Situation. Wolfgang hat als Bundestrainer nicht mehr so viel Zeit wie in den vergangenen Jahren." Das klang ein bisschen wie die Einsicht, dass der Hannawald-Heimtrainer Steiert besser nicht Bundestrainer geworden wäre. Steiert wirkte nicht sehr angenehm berührt von Tuschs Ausführungen.

Es folgen entscheidende Wochen. Von Oberstdorf geht die Reise nächste Woche nach Willingen, wo dann wohl auch Hannawald wieder startet. Danach folgt die Skiflug-WM in Planica, und Mitte März, nach dem Saisonabschluss, wird endgültig klar sein, ob Tusch und Steiert nicht doch etwas selbstkritischer werden müssen. Ein paar Lehren immerhin haben sie schon gezogen: Mit Servicemann Peter Lange haben sie nochmal über die langsame Anfahrtsgeschwindigkeit bei Nassschnee geredet. Erfolgreich, wie Tusch glaubt: "Man kann davon ausgehen, dass wir auch bei nasser Spur vorne dabei sein werden." Und nächste Saison werden ausgesuchte Athleten Hilfe von einem Psychologen bekommen. Der Fortschritt wird kommen, man muss nur warten können.

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