Ski-Weltcup:Tränen an der Tofana

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Maria Rieschs Kreuzbandriss überschattet den dritten Platz von Martina Ertl im Super-G von Cortina.

Von Wolfgang Gärner

Cortina d'Ampezzo - Renate Götschl teilt ihre Gefühle mit: "Da war von Anfang an eine Leidenschaft." Für einen Ort, einen Skiberg: "Ich verliebte mich in Cortina." Martina Ertl nennt es "einen Traum, hier zu fahren.

Maria Riesch hält sich ihr Knie nach dem tragischem Sturz. (Foto: Foto: AP)

Vielleicht ist es der Ort: Hat er was Magisches?" Beide haben hier schon Weltcup-Skirennen gewonnen, die Österreicherin Götschl gestern im Super-G ihr sechstes (vor der Schwedin Pärson), und die Lenggrieserin Ertl durfte für Platz drei zum ersten Mal in diesem Winter auf das Podium steigen.

Da entsteht leicht Zuneigung. Für eine andere ist das gestrige Rennen in den Dolomiten bloß noch zum Heulen gewesen: Maria Riesch, größte Hoffnung des deutschen Skiverbandes, erlitt einen Abriss des Kreuzbandes im rechten Knie mit Eindrückung des Oberschenkelknochens.

Gestern war sie noch Anwärterin auf Medaillen in vier Disziplinen bei der WM in zwei Wochen, nun ist sie Patientin, wird in sechs Wochen, wenn der Knochen abgeheilt ist, operiert, dann folgt die übliche Rehabilitation: halbjährige Pause, nichts als die Hoffnung auf Rückkehr im folgenden Winter.

Falsche Zeichen

Auf dem verschlammten Parkplatz im Zielgelände der Fraktion Rumerlo hatte sie im Mannschaftsbus Zuflucht gesucht, telefonierte unter Tränen mit den Eltern.

Schon wieder am Boden, noch brutaler aus der Bahn geworfen als vor zwei Monaten, als sie am 17. November beim Slalomtraining in Arapahoe Basin/Colorado bei einem Trainingssturz eine Mikrofraktur in der Schulter erlitt, die sie fünf Wochen kostete.

Sie verpasste acht Rennen, fuhr erstmals wieder in der Woche vor Weihnachten in Sankt Moritz mit einem erstaunlichen Comeback als Dritte in dem Super-G, den Hilde Gerg gewann.

Daraus wuchs neue Hoffnung, die drei Wochen später schon wieder zerstört war: Die Nachführaktion für sie, hatte Cheftrainer Wolfgang Maier referiert, verlaufe planvoll, wenn es so weitergehe, "müsste sie zu WM-Beginn in 16 Tagen topfit sein".

Es ging aber nicht weiter nach Plan, sondern der wurde abrupt durcheinander gebracht, als die Partenkirchnerin 25 Sekunden unterwegs war, ein Drittel der Rennstrecke unter der Tofana bewältigt hatte: Maria Riesch gerät in Innenlage und rutscht aus in einer Rechtskurve, flog ab und prallt hart auf den Schnee, schlägt ein in die Kevlarmatte, welche die Piste säumt.

Falsche Hoffnungen

Mit der Schulter zuerst, aber mit der linken, nicht der im November gebrochenen. Maria Riesch bleibt liegen, am Unfallort versammeln sich Streckenposten, Trainer, ein Arzt. Ein Akja wird gebracht.

Abwinken: Den brauchen sie nicht, gottlob, meinte man da, halb so schlimm: Irrtum. Maria Riesch gestikuliert mit den Umstehenden: Die Schulter kann wohl nicht in Mitleidenschaft gezogen sein. Sie lässt sich auf die Füße helfen, steigt in die Bindungen ihrer Ski, nächstes gutes Zeichen, trügerisch.

Sie rutscht auf Ski neben der Strecke ab, bleibt bei Abfahrtscoach Andreas Fürbeck stehen, holt sich von ihm Trost, weinend und mit blutendem Kinn.

Später auf dem Parkplatz: Sie öffnet die Wagentür, teilt aus dem Bus heraus mit, dass das rechte Knie bei Rotationsbewegungen schmerze, aber: "Kein Bänderschaden, glaube ich."

Sie hat Unrecht, leider: Doch nicht nur eine Blessur am Meniskus, die womöglich mit einer Arthroskopie unproblematisch zu beheben gewesen wäre.

Es eilt herbei und umarmt die Verletzte aufs Innigste die Amerikanerin Lindsey Kildow, ihre engste Freundin im Skizirkus. Die hatte es besser getroffen und landete auf Platz vier.

Martina Ertl, einen Rang besser, bedachte die gestürzte Teamkollegin mit Besserungswünschen: "Dass Maria in die Bindung steigen konnte, lässt hoffen, und nachdem sie aufstand, kann sie auch wieder schnell Skifahren."

Dass Maria Riesch aufstand und in die Bindung steigen konnte, war aber ein falsches Signal, die Hoffnung kann nun nur sein, dass die schwere Knieverletzung unkompliziert ausheilt.

Die zweite Hoffnung ist, dass sie tatsächlich wieder schnell Skifahren kann, die Zeit, wann das sein wird, ist nun der zu vernachlässigende Faktor: In sechs Monaten frühestens ist wieder an Sport zu denken.

"Eine große Lehrstunde in den bitteren Dingen, die in unserem Sport vorkommen können", nannte Cheftrainer Maier, das, was seiner Fahrerin widerfahren war, ehe die Computer-Tomografie die schlimme Diagnose erbrachte, als noch jeder von einer minderschweren Blessur ausging, "mit sämtlichen ungünstigen Umständen, die man sich nur vorstellen kann".

Mit noch viel ungünstigeren Umständen, als man sich vorstellen konnte. Dann wird Maria Riesch heim nach Garmisch-Partenkirchen gefahren, trauriger Abschied von dem Ort, an dem sie vergangenes Jahr Zweite geworden war.

Weg von dem Ort, in den sich Renate Götschl verliebt hat und den Martina Ertl magisch nennt.

Die hat gestern gesagt: "Man darf den Glauben an sich nicht verlieren, dann kann man auch wieder gute Leistungen bringen." Man dürfe es nur nicht mit Gewalt zwingen wollen, sondern müsse es abwarten können. Eine Altersweisheit, Martina Ertl ist 31. Warten fällt umso schwerer, je jünger jemand ist. Maria Riesch ist 20.

© SZ vom 13.1.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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