Ski Alpin:Ohne Schnickschnack

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"Ich muss sagen, das ist die Saison, in der ich die meisten Kämpfe hatte": Marcel Hirscher über seinen historischen Sieg im Gesamtweltcup. (Foto: Antonio Bronic/Reuters)

Marcel Hirscher gewinnt zum fünften Mal in Serie den Gesamtweltcup - obwohl er in diesem Winter mehr kämpfen musste als früher.

Von Johannes Knuth, München

Marcel Hirscher sank auf einen Hocker, verhüllt im schwarzen, knielangen Regenmantel, die Augen gerötet, die nassen Harre klebten auf der Stirn. Gerade hatten sie den Riesenslalom in Garmisch-Partenkirchen abgesagt, das Wetter. Skirennfahrer sind nie über Absagen begeistert, vor allem Hirscher nicht, der sich selten eine Auszeit vom Sport gönnt. Aber jetzt war er doch froh. Der Januar, der zehrendste Monat im Kalender, neigte sich dem Ende zu, und der Januar hatte es nicht immer gut gemeint mit Hirscher. Vor dem Riesenslalom in Garmisch hatte er sich erkältet. Und jetzt saß er im zugigen Pressezelt und klang so, als sei er auch dankbar für diesen durchwachsenen Tag. Er sagte: "Da lernt man wertzuschätzen, wie geschmeidig es die letzten Jahre doch lief."

Das aktuelle Geschäftsjahr des Marcel Hirscher, 27, wird nun doch ein geschmeidiges Ende nehmen. Seit Samstag, seit seinem Sieg im Riesenslalom von Kranjska Gora, ist sein Erfolg im Gesamtweltcup aktenkundig, zum fünften Mal in Serie.

Der Norweger Henrik Kristoffersen könnte ihn noch einholen, der Technik-Experte müsste dafür bei Abfahrten und Super-Gs mitmachen. Was Kristoffersen, der am Sonntag im Slalom mal wieder Zweiter hinter Hirscher wurde, schon am Samstag ausschloss und artig gratulierte. Fünf große Kristallkugeln hat sich sonst nur Marc Girardelli gesichert, aber nicht am Stück. Hirscher war dann auch erfreut, welche Leistung er in die Annalen seines Sports gemeißelt hatte. Die meiste Redezeit nutzte er aber für die Hindernisse, die er auf dem Pfad dorthin weggeräumt hatte. "Ich muss sagen", sagte er, "das ist die Saison, in der ich die meisten Kämpfe hatte."

Hirscher hatte in den vergangenen Jahren oft wie selbstverständlich über die Slaloms und Riesenslaloms geherrscht, da fällt jeder Kampf etwas mehr auf. Der Fahrer, der fast nie ausschied, schied zuletzt da und dort aus, in Kitzbühel, Wengen, Naeba. Der Fahrer, der fast immer zum richtigen Material greift, litt unter Materialpannen. Und dann war da Aksel Lund Svindal, der sich zu Saisonbeginn an die Spitze der Gesamtwertung schob. Dann flog Svindal in Kitzbühel in den Zaun, Kreuzbandriss. Hirschers fünfter Gesamtsieg war vorgezeichnet, da war ja nur noch Kristoffersen, der freche Hochbegabte, der aber (noch) nicht so breit aufgestellt ist, dass er Hirscher gefährden kann. "Das mag oft vermeintlich einfach ausschauen", sagte Hirscher über die Erwartungen zuletzt, "das ist es aber bei weitem nicht."

In Zeiten der Spezialisierung expandierte der Österreicher

Hirscher ist bekannt dafür, dass er pedantisch am Material tüftelt, an Skiern, Bindungen, Schuhen. Wenn um zehn Uhr der erste Lauf anberaumt ist, testet er um acht Uhr oft noch zwei Paar Skier. Nach dem Lauf ist das richtige Modell schon wieder das falsche, weil die harte Spur aus der Früh am Mittag, beim zweiten Lauf, zerfurcht ist. "Das Härteste ist, dass man versucht, einzuschlafen und die Gedanken loszulassen in den Tagen der Entscheidung", sagt er. Am Freitag hatte der Franzose Alexis Pinturault den Riesenslalom gewonnen, Hirscher tüftelte, änderte "einen halben Millimeter" am Setup. Am Samstag war er vorne. Schon schräg, sagt er, "wenn ein halber Millimeter über Sieg oder Niederlage entscheidet. Dann kann es sein, dass du irgendwann einmal verrückt wirst". Seinen größten Dank sprach er am Wochenende Freundin und Familie zu: "In angespannten Situationen kann es manchmal schon zu viel sein, wenn sie fragen, warum ich das Fenster zugemacht habe. Ich hatte einfach keine Nerven mehr."

Das Niveau ist in den vergangenen Jahren noch einmal gestiegen; im Riesenslalom, den Hirscher einst dominierte, kriegt man Platzangst, so viele Hochbegabte drängeln sich in die Elite. Hirscher hat also in Zeiten der Spezialisierung in die schnellen Disziplinen expandiert, in Beaver Creek gewann er zuletzt den Super-G. Er wird sich nicht zum Allrounder entwickeln, er holt sich halt die Punkte, die ihm im Slalom und Riesenslalom entgleiten, ab und zu woanders. Das schlaucht bei diesem vollgequetschen Kalender, und sein Geschäftsmodell würde wohl nicht funktionieren, würde Hirscher nicht unerbittlicher und, ja, egoistischer arbeiten als andere. Er hat seine Medientermine eingeschränkt, er badet nicht in der Aufmerksamkeit, die ihn ohnehin vereinnahmt. Die Marke Hirscher steht für Skifahren und Erfolg, viel mehr nicht. Na und? "Ich habe aufgehört, jeden Schnickschnack zu machen", sagte er zuletzt: "Letztlich geht es um meinen Erfolg, nichts anderes."

Hirscher hat sich eingereiht neben den Größen seines Sports, den Stenmarks, Tombas und Maiers. Nicht, weil er mit mehr Begabung gesegnet ist, so sieht er das selbst. Sondern wegen seiner Konsequenz, wegen des Teams im Verband, das sie für ihn hochgezogen haben. Und weil Vater Ferdinand ihn vor 15 Jahren vorbereitete, die Schienen legte, auf denen der Sohn heute die Pisten hinunterrauscht. Hirscher wird ein wenig so weitermachen, wenn auch nicht bis weit in die Ü30-Klasse hinein, sagen Leute, die ihn kennen. Der Aufwand wird ja nicht geringer. "Wenn ich weiter an der Spitze sein will, muss ich noch mehr tun dafür", sagt Hirscher. Er wird wohl noch den einen oder anderen schlaflosen Abend erleben auf der Jagd nach der Perfektion, die sich in seinem Sport nie so recht einfangen lässt.

© SZ vom 07.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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