Ski Alpin:In der Steinzeit der Sicherheit

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Wegen des Unfalls von Matthias Lanzinger, der mit der Amputation eines Unterschenkels endet, steht der Skisport am Pranger. Dahin gehört eigentlich die Rettungsstruktur bei Weltcuprennen.

Wolfgang Gärner

Weil nun, ausgelöst vom folgenschweren Unfall des Matthias Lanzinger, sogleich wieder reflexhaft und populistisch und wie zuletzt gehört nach dem Sturz des Scott MacCartney im Ziel von Kitzbühel die Forderung nach einem Stopp des Abfahrtswahnsinns laut werden wird, muss festgestellt werden, dass Stürze mit offenen Brüchen auch Skitouristen auf der Spaßpiste passieren und dass Profirennfahrer bei weitem die Minderheit darstellen unter jenen Wintersportlern, denen der Orthopäde die Beine nageln muss.

Matthias Lanzingers Verletzung wirft die Frage auf, ob die medizinische Versorkung im Ski-Weltcup zeitgemäß ist. (Foto: Foto: AFP)

Der Unterschied ist, dass jeder Freizeitskifahrer normalerweise auf eine bessere Rettungsstruktur bauen kann als ein Weltcupfahrer wie Matthias Lanzinger in Kvitfjell, obwohl so ein Weltcupfahrer um mindestens das Dreifache schneller fährt als der Tourist. Die unglaubliche Verzerrung der Relationen besteht darin, dass der Anfänger, dem auf einer Piste am bayerischen Alpenrand die Wade birst, um das mindestens Fünffache eher operativ versorgt wird, als es nach dem Unglück von Kvitfjell möglich war.

Man sei auf dem höchsten Level der Sicherheit, heißt es, und es besteht auch begründetes Vertrauen, dass die Renndirektoren des Skiweltverbandes Fis Günther Hujara (Männer) und Atle Skaardal (Frauen) ihrer Verantwortung in jeder Hinsicht nachkommen. Sie prüfen gewissenhaft die Beschaffenheit der Pisten, leiten die Anbringung der schützenden Netze und Matten und achten immer auch auf die kritischen Parameter Wind und Nebel. Damit ist man viel weiter als zu Zeiten, in denen Fahrer einfach in den Wald abflogen, oder ins Felsgelände neben der Piste.

Ziemlich makabre Folklore

Aber man befindet sich in der Steinzeit gemessen am Sicherheitsstandard der Formel 1, in der ein voll ausgestattetes medizinisches Zentrum an jeder Rennstrecke verpflichtende Voraussetzung ist, und der MedEvac-Hubschrauber sowieso.

Eigene Kliniken in jedem Abfahrtsziel sind Utopie, aber traurige Realität ist es, dass an einer Strecke wie Kvitfjell, 40 (!) Kilometer vom nächsten Krankenhaus in Lillehammer entfernt, die Bereitstellung eines Rettungshelikopters nicht im Pflichtenheft festgeschrieben ist. Und unverhohlen skandalös muss man dem Umstand nennen, dass der einzige Helikopter am Ort für Vip-Rundflüge bereitstand, also für Notfälle erst mal nicht tauglich war.

Es ist eine ziemlich makabre Folklore, wenn Schwerverletzte im rumpligen Akja zu Tal gebracht werden und anschließend auf den Rettungsflug warten müssen. Schlamperei und Ignoranz in diesem Ausmaß kann sich der alpine Skisport nicht leisten. Dazu ist er an sich zu gefährlich.

© SZ vom 05.03.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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