Ski Alpin (II):Krönung mit 35

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Aksel Lund Svindal ist einer der besten Abfahrer, in Pyeongchang wird der 35-jährige Norweger Olympiasieger in der Königsdisziplin - als erster seines Landes.

Von Johannes Knuth

Aksel Lund Svindal hatte sich gut gefühlt, schon am Abend davor. Er hatte mit seinen Teamkollegen ein bisschen Karten gespielt. Er wachte am nächsten Morgen auf und wurde ein wenig nervös, aber das Adrenalin betäubte die letzten Schmerzen im Knie, und leichte Aufregung vor einer Abfahrt, wusste er, war sowieso das beste Zeichen. Sie bedeutete, dass Svindal eine Chance hatte zu gewinnen.

Sein gutes Gefühl wurde noch ein wenig besser, als er am Donnerstag das Ziel der olympischen Abfahrt von Pyeongchang erreichte, mit Bestzeit. Er fühlte sich auch dann noch prächtig, als er sich gedanklich auf seine Niederlage vorbereitete. Sein Teamkollege Kjetil Jansurd fegte über den Kurs, als habe jemand die Vorspultaste gedrückt. "Aber mit Silber, sagte Svindal, "wäre ich auch sehr zufrieden gewesen."

Olympia wird oft so groß, dass die Sportler unter dem Druck sehr klein werden. Doch für Norwegens alpine Skirennfahrer scheint dieses Gesetz bei Großereignissen irgendwie außer Kraft gesetzt zu sein. Die Norweger gewinnen bei WM und Olympia oft mehr Gold- als Bronzemedaillen; Svindal steuerte bislang einen Olympiasieg im Super-G 2010 bei, fünf WM-Titel und diverse weitere Weihen. Den Olympiasieg in der Abfahrt, den er am Donnerstag am Ende doch auf seine Seite zerrte, hatten selbst seine großen Vorgänger Lasse Kjus und Kjetil André Aamodt - letzterer ausgestattet mit vier Goldmedaillen bei Olympia - nicht geschafft . Und wie Svindal so über seinen Tag erzählte, verstand man, dass er diese Abfahrt nie als Bedrohung gesehen hatte, sondern als Chance. Lebenswerk ist ein großes Wort, aber ein Werk ist das, was Svindal bis zu diesem Tag geschaffen hatte, ja schon.

Wer 16 Jahre im alpinen Weltcup hinter sich hat, lernt einige Dinge. Schmerzen. Gelassenheit. Viele orthopädische Fachbegriffe. Keinen Neid, für Jansrud etwa, der ihm beinahe das Gold entrissen hätte. Ob der Olympiasieg die Karriere vollende? Ach, sagte Svindal, "es gibt immer etwas zu gewinnen", die berüchtigte Streif in Kitzbühel hat er bis heute noch nicht als Sieger verlassen. Nur in einem Punkt stimme das mit der Vollendung: Der Super-G in der Nacht zum Freitag war sein wohl letztes olympisches Rennen. Er sei 35, "nichts ist zu 100 Prozent sicher. Aber irgendwie ist das auch der Anfang von einem Ende."

Der norwegische Cheftrainer Christian Mitter hat sich vor ein paar Jahren mal an die ersten Anfänge von Svindal erinnert, er erzählte, wie Kjus und Aamodt den jungen Svindal unter ihre Fittiche nahmen. Es gab keine Geheimnisse, sie zeigten ihm, wie man sich auf eine Weltcupsaison vorbereitete, das war eine "Stabübergabe", sagte Mitter. Aber auch eine Verpflichtung. Wollte Svindal in Norwegens Ahnengalerie aufgenommen werden, musste er schon Weltmeister oder Olympiasieger werden.

Abfahrer verhandeln immer auch Kompromisse mit der Schwerkraft, und niemand schlug in den folgenden Jahren so viele gute Geschäfte dabei heraus wie Svindal. Er tastete sich nach und nach an die Spitze, als er in Beaver Creek 2007 erstmals schwer stürzte, war er schon zweimaliger Weltmeister. Er habe immer wieder Fahrer erlebt, die bei Pistenbesichtigungen eine Linie entwarfen, die sie eigentlich nicht verstanden. "Du musst deine Fähigkeiten verstehen", hat er einmal im Gespräch gesagt, "wenn du das schaffst, ist es auch leichter, mit der Angst umzugehen." Und wenn es nicht klappte: kam er wieder zurück. Der Weltcup biete viele Rennen, Svindal sah also das, was er noch schaffen konnte, nicht was er verpassen würde. Ein großer Vorteil sei auch gewesen, dass er auf der Tour bereits etabliert war, sagte er zuletzt in Sölden: "Ich hatte so viele Menschen, die mich zurück im Rennsport wollten." Das gilt nicht nur für das Skifahren.

Späte Krönung: Aksel Lund Svindal gewinnt 2018 olympisches Abfahrtsgold. Mit 35 Jahren ist er der bis heute älteste Olympiasieger im Alpinsport. (Foto: Kim Hong-Ji/Reuters)

Svindal ist eine Persönlichkeit, obwohl seine Biografie frei von Brüchen ist, bis auf die Verletzungen. Er ist kein Freigeist wie Bode Miller, kein Herminator wie Hermann Maier. Es ist eine stille Größe, die ihn umweht und sich auch daraus speist, dass Svindal die Überhöhungen seines Sports nie mitgemacht hat. Wie der Tennisspieler Roger Federer, der immer gewinnt, auch wenn er verliert. Nicht alles gelang Svindal zuletzt, in Kitzbühel 2016 verletzte er sein Knie so schwer, dass er die Folgen bis heute spürt. Wenn er verletzt war, studierte er, ging ins Silicon Valley und traf Unternehmer. "Es tut gut zu sehen, dass es noch viele andere, schöne Dinge gibt, die man nach dem Skifahren machen kann", sagte er danach: "Das hat mich gelassener gemacht."

Ewig hält dieses Geschäftsmodell freilich nicht. Wenn Svindal seine früheren Verletzungen aufzählt, dauert das schon mal eine Minute. In diesem Winter gewann er bislang drei Weltcups, aber der Körper ächzt doch bedenklich. "Wettkämpfe sind mir nicht genug", sagte Svindal in Pyeongchang, "ich will auch mit meinen Teamkollegen trainieren und Zeit verbringen. Sonst macht es keinen Sinn." Spätestens nach der WM 2019 in Are ist wohl Schluss. Die Thronfolge ist längst geregelt; Svindal lernt die Jungen mittlerweile selbst an, so, wie er damals eingearbeitet wurde. Es ist ein wichtiger Baustein in der Erfolgs-DNA des kleinen norwegischen Teams. Jansrud, der Kronprinz, nahm am Donnerstag die Silbermedaille entgegen.

Dann sprang Svindal aufs Podium und freute sich fast so, als wäre es das erste Mal. Vielleicht, weil es eines der letzten Male war.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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