Ski alpin: Frauen:Tanz mit dem Risiko

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Mit ernster Miene, aber trotzdem nicht unzufrieden: Lindsey Vonn belegte bei ihrem Comeback immerhin Platz 13. (Foto: gepa/imago)

Lindsey Vonn landet bei ihrem Comeback in der kuriosen Zauchensee-Abfahrt auf Platz 13. Es gewinnt sensationell die 22-jährige Österreicherin Christine Scheyer, die in Altenmarkt gerade einmal ihre vierte Weltcup-Schussfahrt bestreitet.

Von Johannes Knuth, Zauchensee

Für einen Moment tauchte Lindsey Vonn am Sonntag dort auf, wo man sie für gewöhnlich nach einem Skirennen antrifft: vor einer Sponsorenwand im Ziel, wo sich die Schnellsten des Tages einfinden. Vonn wurde diesmal allerdings nur als Gratulantin vorstellig. Sie umarmte die Österreicherin Christine Scheyer, die überraschend die Abfahrt in Zauchensee an sich gerissen hatte, dann Tina Weirather, die Zweite, schließlich die drittplatzierte Jacqueline Wiles, Vonns Teamkollegin, die von Vonns Stiftung gefördert wird. So kam die 32-Jährige doch noch zu ein wenig Ruhm. Vonn selbst hatte vor dem Rennen gesagt, sie sei nicht angereist, um Zehnte zu werden. Ihr erster Weltcup nach einem Jahr Verletzungsstillstand brachte insofern einen Erfolg: Sie wurde 13. "Ich bin happy. Es ging heute nicht um Resultate, sondern ums Skifahren", beteuerte Vonn, und letztlich sei es ja so: "Es ist gut, auch mal neue Gesichter zu sehen."

Es kam am Ende dann alles ein wenig anders in Zauchensee, beim Klassentreffen der besten Abfahrerinnen. Was auch dem Trend geschuldet war, dass Abfahrtsrennen in diesem Winter zuverlässig neue Sportlerbiografien hervorbringen. Die Slowenin Ilka Stuhec etwa, die bislang alle Abfahrten des Winters gewonnen hatte; diesmal wurde sie Fünfte. Die Piste in Zauchensee war nach Schneefall und einer Absage am Samstag ziemlich zerbeult (Nadia Fanchini und Edith Miklos stürzten schwer, Viktoria Rebensburg ohne Folgen). Später wurde die Sicht klarer, und das nutzte vor allem Scheyer, die es bei ihrer vierten Abfahrt im Weltcup sensationell nach vorne wehte. "Stell dich doch mal vor", forderte der Moderator, "Christine Scheyer", sagte Scheyer also, "ich komme aus Götzis, bin 22 Jahre." Und sonst? "Ähm", sie habe vier Schwestern, sagte Scheyer, ihre Vorbilder seien Hermann Maier und Bode Miller. Und natürlich Lindsey Vonn, "was den Speed angeht".

Die Rede kam am Sonntag noch ein paar Mal auf Vonn, Gespräche drehen sich gerade überhaupt oft um Vonn und ihre neuerliche Rückkehr aus dem Krankenstand. "Die Leute sehen, wie sie ständig zurückkommt und gewinnt, das sieht leicht aus. Aber viele wissen nicht, was sie durchmacht", sagte Wiles. Und zwar "die härteste Reha meiner Karriere" (Vonn), nach einem Oberarmbruch vor zwei Monaten, der viele Nervenbahnen zerstörte. Ihre Hand fühle sich an, als sei sie eingeschlafen, sagte Vonn jetzt, sie habe im Rennen fast ihren Stock verloren. Wobei sie die Verunsicherung schon noch abschütteln werde, Nervenschäden hin oder her. "Für den Rest meiner Karriere ist das Risiko groß, den Arm noch mehr zu beschädigen", gab sie zu, wenn sie stürze, und ob das jetzt wahnsinnig ist oder tapfer, ist Ansichtssache.

Überraschend kommt Vonns Tanz mit dem Risiko jedenfalls nicht. Sie war vor vier Jahren bei der WM in Schladming gestürzt, Kreuzbandriss, und als das Kreuzband ein halbes Jahr später erneut riss, fuhr Vonn erst mal weiter. Na und? Sie wollte, sie musste, die Geschichte war ja auch gut, kurz vor Olympia. Der US-Sender NBC hatte schon damals viel Geld für die Übertragungsrechte bezahlt, er brauchte Stars, er brauchte: Vonn. Als sie im Januar aufgab, war das für NBC ein kleines Desaster.

Der Mensch Vonn ist sympathisch, er ist längst nicht mehr so verbissen wie früher, sagen die Teamkameraden. Aber die Skirennfahrerin Vonn ist noch immer eine Maschine, in der jedes Rädchen geschmiert und geölt ist für den Rennsport, für den Erfolg. Ein wenig ist das auch Vonns Vater geschuldet, er hatte die Familie einst von Minnesota nach Vail umgesiedelt, und Vonn zahlt dieses Opfer bis heute in Siegen und Rekorden zurück. Seit ihrem Olympiasieg 2010 wird sie zuverlässig in die amerikanischen Wohnzimmer gedrückt, in Talkshows und Fernsehserien, sie posiert für Hochglanzmagazine, ihre Sponsorenverträge bringen mehrere Millionen Dollar ein, pro Jahr. Man braucht wenig Fantasie, um sich auszumalen, was passiert, wenn die Maschine einmal stillsteht.

Vonn hat das in Zauchensee freilich in etwas andere Worte gekleidet. Dass ihr Leben "ohne Skifahren nicht schön genug" sei. Dass sie "noch viel zu gewinnen" habe. Dass sie den Sport liebe. So langsam entgleitet ihr freilich auch die Zeit, die WM in St. Moritz bricht Anfang Februar an, der Kalender bietet nur noch zwei Sammelpunkte für die Schnellfahrer, Garmisch-Partenkirchen und Cortina. "Ich brauche Selbstvertrauen, und das kommt nur vom Training und von Rennen", sagte Vonn.

Das beste Beispiel dafür stellte am Sonntag die Siegerin aus Österreich bereit. Die stolze Skination mag zuletzt durch Verletzungen (Brehm, Veith, Hütter) und Formkrisen gewatet sein, ihr Reservoir an Talenten ist noch immer reich und tief. Scheyer erfüllte in Zauchensee also tapfer die Dienste und Pflichten einer Abfahrtssiegerin. Sie gab Auskünfte über ihre ersten Schwünge im Alter von zwei Jahren ("mit Schnuller im Mund"), ihre Ausbildung (einst Technikerin, erstes Jahr im Weltcup), die Krankenakte (zwei Kreuzbandrisse), ihren Mut im Wettkampf ("Ich mag den Nervenkitzel"). Was man jetzt von ihr von ihr erwarten könne, bei den nächsten schweren Prüfungen des Winters? Keine Ahnung, sagte Scheyer. "Ich kenne die Strecken ja noch nicht."

© SZ vom 16.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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