Ski alpin:Auf den Flammen einer alten Liebe

Lesezeit: 3 min

Martina Ertl hat sich mit dem Riesenslalom versöhnt - prompt gewinnt sie beim Weltcup-Auftakt in Sölden.

Sölden - So ist das mit der alten Liebe: Man kann sich ihrer nie ganz sicher sein. Das gilt sogar für schwächere Formen der Zuneigung: "Mag ich den Hang von Sölden, mag ich ihn nicht?", Martina Ertl schwankte, wann immer sich diese Frage stellte. Seit Samstag ist ihr Gefühl für die Eisflanke des Rettenbachferners ein äußerst positives, weil sie auf der erstmals wieder wie vor drei Jahren und nirgendwo anders mehr seitdem Schnellste in einem Weltcuprennen war. In der Disziplin, zu der schon vor einiger Zeit starke Emotionen zurückgekehrt waren: "Ich habe das Gefühl, dass der Riesenslalom wieder meine alte Liebe wird", vertraute sie kürzlich dem Cheftrainer Wolfgang Maier an. Das Gefühl trog nicht.

Die alte Liebe stirbt nie ganz, mag man zwischendurch noch so stark von ihr enttäuscht worden sein. Wie Martina Ertl, 30, vom Riesenslalom als ehemalige Primadonna dieser Abteilung. Von der Carving-Innovation überrascht, verzettelt bei der Materialwahl, gehemmt durch teaminterne Querelen, verkrampft auf der Piste, als Zuflucht schließlich die Kombination gefunden, in der sie WM-Gold und Olympia-Bronze gewann. Aber Einzelrennen? Das letzte gewann sie hier in Sölden, auf dem schwersten Hang des Frauen-Weltcups, danach Stillstand, schlimmer: Rückschläge der heftigsten Kategorie. In Sölden wurde sie 2001 25., vergangenen November verpasste sie hier als 38. das Finale. Wegen irregulärer Verhältnisse (Frau Ertl vom Gegenwind aufgehalten) zählen wir das nicht, aber schon ihre Vorstellung von Berchtesgaden, Januar 2002: Platz 64, weil sie sich mit den Stahlkanten regelrecht im Hang festgekrallt hatte. In der vergangenen Saison kam allmählich der alte Schwung zurück, "Ende des Winters merkte ich, dass ich wieder mitmischen kann".

Auch wieder Schnellste sein? "Ich würde sagen, sie kann ein Rennen gewinnen, aber wegen ihrer Vorgeschichte kann man sie noch nicht als potenzielle Siegfahrerin bezeichnen", war die Prognose des neuen Torlauftrainers Mathias Berthold. Wolfgang Maier: "Man darf einiges von ihr erwarten." Aber gleich einen Sieg? Den Unterschied zu ihrer Krisenphase mache vor allem eines aus, sagt der Chefcoach: "Die Selbstsicherheit - wenn sie die hat, dann fährt sie auch gut. Entscheidend ist, dass sie das, was sie kann, auch abrufen kann. Denn sie hat noch immer ein skitechnisches Potenzial wie nur wenige andere Frauen auf der Welt." Die Sicherheit ergab sich nach der halbwegs gelungenen vergangenen Saison und positiven Eindrücken der vergangenen Monate: "Das letzte Mal, dass ich stürzte, war irgendwann in Neuseeland", irgendwann im vergangenen Sommer.

Seitdem fräste sie souverän einen Trainingslauf nach dem anderen herunter. Daraus ergab sich eine ziemlich einfache Aufgabe für das erste Weltcuprennen: einfach so fahren wie im Training. Runterkommen vom ersten Lauf, raufschauen zur Anzeigetafel und erstaunt sein: Bestzeit, dabei waren vor ihr schon fünf aus der Weltelite im Ziel. Nur noch die Spanierin Rienda Contreras fuhr an ihr vorbei, um 4/100. Martina Ertl, hoffnungsfroh: "Wenn mir der zweite Lauf nur annähernd so gelingt, gibt es einen Spitzenplatz." Annähernd so gut? Mindestens genau so gut, wieder zweite Zeit, diesmal übertroffen nur von der schwedischen Weltmeisterin Anja Paerson um 13/100. Martina Ertl hatte zum zehnten Mal einen Weltcup-Riesenslalom gewonnen und offenbarte: "Ein unglaubliches Gefühl", ziemlich ungläubig, sich mehrmals versichernd: "Es ist passiert!" Viel mehr, als sie gewollt hatte: "Eine Platzierung unter den ersten Zehn wäre schon ganz gut gewesen." Noch nach der Glanzvorstellung im ersten Lauf verhieß sie den Coaches vor dem zweiten nur so viel: "Ich fahre jetzt einfach noch mal runter, dann schauen wir mal, was rauskommt."

Manche Beobachter haben schon gemutmaßt, es stehe ihnen eine neue Ertl gegenüber: entspannt wie nie, locker wie selten? "Vielleicht ein bisschen lockerer", meinte die Siegerin. "Lockerer, freier, entspannter - alles schön und gut", sagte der Chefcoach, "prinzipiell gilt: Martina Ertl ist wie sie ist." Geändert hat sich immerhin beider Verhältnis: "Es war mal sehr gespannt", bestätigt Maier. Schnee von gestern: "Seit einem Jahr ist es wieder normal." Sogleich ausgeräumt wurden kleinere Zweifel wie: "Sie war schon öfter gut in Form, und die Ergebnisse sind dennoch nicht wunschgemäß ausgefallen" oder: ". . . ob es auch für einen starken zweiten Durchgang reicht?"

Es reichte, und es ergab sich allgemeines Schwärmen über "Traumstart" (Alpindirektor Walter Vogel), "absolute Topvorstellung" (Maier). Besser könne man eine Saison nicht beginnen, stellte die Gefeierte richtig fest: "Mein Saisonziel habe ich jetzt schon erreicht: wieder mal ein Rennen gewinnen." Endlich wieder, drei Jahre nach jenem fulminanten Auftritt auf demselben Hang, als sie vom 17. Rang nach dem Mittagessen auf den ersten raste. Zu der Frage, welches der beiden Ereignisse das aufregendere gewesen sei, von Martina Ertl nur so viel: "Siege sind Siege!"

Wolfgang Gärner

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: