Skeleton-WM:Sieg der Raubkatze

Lesezeit: 3 min

Tina Hermann wird in Innsbruck Weltmeisterin im Skeleton und erfüllt die hohen Erwartungen des Verbands. Dabei ging sie mit einem großen Nachteil ins Rennen.

Von Volker Kreisl, Innsbruck-Igls

Dirk Matschenz hat gut geschlafen in dieser Woche. Mehr noch, er hat fantastisch genächtigt in diesen Tagen der Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaft auf der Olympiabahn in Igls bei Innsbruck. Auch während der zwei aufregenden Wettkampftage nach den Trainingsläufen blieb Matschenz gelassen. Er erklärte am Samstag: "Ich habe in den letzten beiden Nächten so gut geschlafen wie das ganze Jahr nicht."

Das ist erstaunlich, denn Matschenz ist der Trainer der derzeit weltbesten Skeleton-Fahrerin Tina Hermann, und Skeleton ist ein Sport voller Tücken. Zudem bietet Igls zwar viel frische Bergluft, die einen nachts gut schlafen lässt, aber auch eine Bahn, die für Hermann extrem schwierig ist. Es ist sogar die weltweit schwierigste Bahn für die 23-Jährige. Matschenz' Gespür war trotzdem richtig. Tina Hermann wurde am Samstag Weltmeisterin, mit einem beachtlichen Vorsprung von fast einer halben Sekunde auf die Österreicherin Janine Flock.

Als Hermann nach dem letzten der vier WM-Läufe aus dem Schaumstoff-Bremspolster sprang, als sie in die Luft faustete und noch unter Helm und Visier Jubelschreie ausstieß und dann vor den Kameras eine Dankes-Salve an alle erdenklichen Helfer, Trainer und Verwandten ausstieß mit dem Schlusssatz "Ich liebe euch alle", da wurde klar, dass wohl doch viel angestauter Druck herausmusste. Sie war schließlich die Gesamtweltcupführende, sie trug die Erwartungen der aufstrebenden Kopfüber-Gleiter im deutschen Verband BSD. Und dass die Bahn in Igls für Tina Hermann gut 200 Meter zu kurz ist, hätte im Nachhinein nur wie eine schlechte Ausrede geklungen.

Tina Hermann rast zu Gold. Die erste deutsche Weltmeisterin im Skeleton seit fünf Jahren. (Foto: Jan Hetfleisch/dpa)

Im Vergleich zur Konkurrenz fehlt Hermann die Grundschnelligkeit

Tina Hermann zählt, wie alle deutschen Skeleton-Frauen, im Eiskanal mehr zu den Raubkatzen als zu den Hasen. Sie ist eine Jägerin, keine Flüchtende. Hermann ist als 16-Jährige vom alpinen Skisport in den Eiskanal gewechselt, im Vergleich zu den vielen ehemaligen Leichtathletinnen im Welt-Skeleton fehlt ihr die Grundschnelligkeit. Weil sie anders als zum Beispiel die Bronze-Gewinnerin Elena Nikitina aus Russland nur sehr mäßige Startzeiten schafft, nimmt sie von oben einen Rückstand mit und muss auf ihre Konkurrentinnen Kurve um Kurve aufholen.

Hermanns Beute sind die Zwischenzeiten der anderen. Sie hat wohl auch vom Skifahren ein ausgeprägtes Gefühl für die richtige Kurvenanfahrt, die Gewichtsverlagerung und die Ideallinie. Stück für Stück tastet sie sich heran, oft erwischt sie die Gegnerin erst in Kurve 15 oder 16. Nur, in Igls liegt die kürzeste Bahn im Weltcup, hier geht es nur bis Kurve 14, dahinter kommt das Ziel. Dass es dennoch geklappt hat mit dem WM-Titel, liegt an Hermanns mentaler Stärke, sagt Trainer Matschenz. "Sie ist sehr ehrgeizig", weiß er. Und im vergangenen Sommer war es gelungen, jene Fehler, die Hermann bei verpassten Siegen der vergangenen Saison gezeigt hatte, abzustellen.

"Das ist einfach Wahnsinn", sagte Hermann. "Der letzte Lauf ist mir noch einmal gelungen. Als ich aus Kurve neun kam, wusste ich, ich habe das Ding." (Foto: AP)

Eine Medaille bei Olympia? Hermanns Trainer gibt sich zurückhaltend

In Igls haben Matschenz und Hermann vor zwei Monaten noch einmal trainiert, schon diese Resultate hatten den Trainer zuversichtlich gestimmt. Dazu kommt die Erfahrung seiner Schülerin von sechs Jahren im Skeleton. Mit 17 wurde sie Junioren-Weltmeisterin, dann arbeitete sie sich über Europa- und Inter-Conti-Cup langsam vorwärts. Als nach den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi die Führenden unter den deutschen Skeletonis, Anja Huber Selbach und Marion Thees, zurücktraten, setzte sich Hermann an die nationale Spitze. Im Winter 2015 wurde sie Dritte im Gesamtweltcup, in dieser Saison liegt sie mit deutlichem Vorsprung in Führung.

Gemäß der allgemeinen Wettkampfhierarchie würde dieser Weg bei anhaltendem Ehrgeiz in die olympischen Medaillen-Ränge führen, aber Matschenz bremst. Denn Voraussetzung dafür wäre es, dass Hermann ihren Startrückstand verringert. Das geht nicht so schnell. Schnellkraft kann man zwar trainieren, tut man es aber zu stark, drohen Einbußen in anderen Bereichen. "Es hat ja keinen Sinn, wenn sie vor lauter Muskeln nicht mehr laufen kann", sagt Matschenz. Baut Hermann zu viele Umfänge auf, verliert sie womöglich das Feingefühl für die Fahrt. Mehr als um ein Zehntel pro Jahr sollte man nicht schneller werden, sagt ihr Coach, "und wenn es am Ende noch zwei Zehntel Rückstand sind, dann wäre ich schon sehr zufrieden." Eine Jägerin wird Hermann immer bleiben.

© SZ vom 21.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: