Serie Olympiadörfer Teil 1:Der Geist der Oper

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Die Schwimmer in Wuppertal stiften Identität für das Nationalteam und auch die Stadt - obwohl Thomas Rupprath, der Star, von weit her anreist.

Von Josef Kelnberger

Ralf Beckmann muss lachen, bevor er diese Frage beantwortet. Was für ein Menschenschlag zu Hause ist in Wuppertal? "Kritisch", sagt er schließlich, "sehr kritisch, zu sich und zu anderen". Das weiß er spätestens seit 1981, er leitete das Schwimmsport-Leistungszentrum gerade ein Jahr. Im Urlaub traf er in Jugoslawien den Halter eines anderen Autos mit dem Kennzeichen W. Schön, einen Wuppertaler zu treffen, sprach er ihn an. Der blaffte zurück: Er sei kein Wuppertaler, er sei aus Barmen - und also nicht aus Elberfeld, dem anderen großen Stadtteil.

Das ist die wesentliche Unterscheidung in Wuppertal, dessen Teile erst 1930 zu einer Stadt zusammengefügt und mit neuem Namen versehen wurden. Sehr kritisch, immer ein wenig nörgelig also. Aber, sagt Beckmann, wenn man sich mal geeinigt hat, dann wird angepackt. Dann kann man mit Wuppertalern Pferde stehlen.

Es ist ein Regentag, muss wohl so sein. Die Kinder hier kommen mit Regenschirm zur Welt, noch so eine Weisheit aus Wuppertal. Beckmann schaltet den Scheibenwischer seines Mercedes C 200 ein, mit dem er seit 2001 jährlich an die 80 000 Kilometer als Teamchef der deutschen Schwimmer zurücklegt. Auf Deutschlands Straßen war er aber schon zu Hause, bevor ihn Oberbürgermeister Hans Kremendahl zum Wohle des Schwimm-Verbandes beurlaubte. Seit 1992 pendelte er zwischen Wuppertal und seinem Bauernhof bei Aurich, den er kaufte, damit seine vier Kinder ihre hartnäckige Bronchitis in der Nordseeluft kurieren konnten. Die Eltern befürchteten Asthma. Vielleicht vertrugen sie ja das feuchte Klima nicht, sagt Beckmann, damals in Wuppertal.

Nur Wasser fällt vom Himmel

Das Wasser, das so beständig aus den Wolken fällt, die sich vor dem Bergischen Land stauen - vielleicht stiftet es ja Identität unter den 350 000 Wuppertalern, vielleicht sogar die Begeisterung für den Schwimmsport. Beckmann kann nicht viel anfangen mit dieser Theorie. Kein Erfolg fällt vom Himmel. Er ist ein Mann der Praxis. Diese Begeisterung hat er jahrelang gepflegt, hat dazu beigetragen, dass er Wuppertal jetzt als "eine Säule des deutschen Schwimmens" rühmen kann, in seiner Tradition vergleichbar mit Magdeburg im Osten.

Auf dem Weg vom Bahnhof hinauf zum Leistungszentrum nach Küllenhahn, wo Europameister Thomas Rupprath trainiert, hält er am Stadtbad Johannisberg. Schwimmoper nennen es die Wuppertaler seit der Fertigstellung 1951. Angeblich stand die Stadt vor der Wahl, auf dem Gelände entweder eine Oper oder eine Schwimmhalle zu bauen. Man entschied sich für das Bad und nannte es Oper. Eine marode und trotzdem noch imposante Arena. Auf den beiden steil aufragenden Tribünen finden fast 2000 Zuschauer Platz, das Licht fällt durch eine hohe Glasfront unter einem geschwungenen Dach.

Das Gebäude hat die Form eines Ambosses, Tribut an die Frühindustrialisierung im Bergischen Land. Es ist ein Stück Wuppertaler Identität wie die Schwebebahn. Deshalb gründete sich eine Bürgerinitiative, wurden Lichterketten gebildet aus Protest, als der Oberbürgermeister die Schwimmoper schließen wollte. Ein Investor wollte sie als Klettergarten nutzen, ein anderer als Raumfahrtzentrum, ein dritter als Spielhölle. Die Pläne haben sich zerschlagen. Vor ein paar Wochen beschloss der Stadtrat, die Oper für zehn Millionen Euro zu renovieren. Ein mutiger Schritt für eine klamme Kommune.

Als Mitglied des Stadtsport-Bundes versucht Beckmann, die Renovierung in die richtigen Bahnen zu lenken. Nichts geht leicht in einer Stadt mit SPD-OB und einer Ratsmehrheit von CDU und FDP. Aber es ist Beckmann ein Anliegen, denn er weiß in der Oper die Wurzeln des Wuppertaler und damit des westdeutschen Schwimmens. Sein Vorgänger, der Danziger Heinz Hoffmann, 1951 nach Wuppertal gekommen, trainierte hier die Wasserfreunde.

Hoffmanns Athleten gewannen 122 deutsche Meisterschaften, zehn EM-Titel, eine Weltmeisterschaft, schwammen 184 deutsche, 15 Europa-, drei Weltrekorde. Namen, die im Gedächtnis blieben: Peter Nocke, Jutta Weber, Folkert Meeuw. Sieben Wuppertaler starteten bei Olympia 1972, sie trainierten schon im Schwimmsport-Leistungszentrum, SSLZ, das die Stadt 1971 in Vorfreude auf das Heim-Olympia baute, nach Hoffmanns Plänen.

Vor einigen Wochen überreichte ihm Beckmann zum 90. Geburtstag einen DSV-Pokal, den kein Verein öfter gewann als die Wasserfreunde. Der Jubilar musste Beckmann versprechen, die Trophäe zurückzugeben, zum 100. Geburtstag.

Beckmann, diplomierter Sportlehrer, wurde von Hoffmann 1980 aus Wolfsburg nach Wuppertal geholt, er trat dessen Nachfolge als sportlicher und pädagogischer Leiter des SSLZ an. Regelte den Betrieb am Leistungszentrum, hielt Kontakt zu den Schulen, schulte Lehrer und Trainer, gab Seminare an der Universität, trainierte bis 1990 auch die Wasserfreunde.

"Aussies jagen, Amis schlagen, das macht Spaß"

Nun atmet die deutsche Nationalmannschaft den Geist aus der Schwimmoper. Die Beschwörung des Teamgeists wie in einem Schwimmverein, diese Schlachtrufe ("Aussies jagen, Amis schlagen, das macht Spaß") und oft kindlich wirkenden Rituale, die Beckmann einsetzte, um nach den verkorksten Spielen 2000 in Sydney das Ensemble von Individualisten zusammenzuschweißen - sie haben manche Schwimmer irritiert, vor allem jene aus dem Osten. Aber der Erfolg gab Beckmann recht, sein Team eilt seit Sydney von Erfolg zu Erfolg.

Der Geist der Oper hatte schon von 1993 bis 1995 gewirkt, als Beckmann als ehrenamtlicher Sportwart das DSV-Team dirigierte. Ein Jahr früher als geplant kehrte er damals nach Wuppertal zurück, in hellem Aufruhr.

Nun also hinauf zum SSLZ nach Küllenhahn, die Strecke den Berg hinauf ist Beckmann ungezählte Male gefahren, aber niemals so aufgewühlt wie am Morgen des 8. April 1995. Er kam von der Einweihung des DSV-Hauses aus Kassel, von weitem sah er schon Rauch aufsteigen. Sein Schreck steigerte sich bis zu dem Moment, als er einen Feuerwehrmann mit dem C-Rohr in sein Büro spritzen sah. Auch Beckmanns DSV-Konzept für die Jahre bis Olympia 2000 verbrannte. Sagen Sie, dass das alles nicht wahr ist, sagte er zu einem Feuerwehrmann. Der konnte ihm nicht helfen, ein Alptraum. Doch hat der Brand geholfen, das SSLZ in die Moderne zu führen.

Binnen vier Jahren ließ die Stadt das Leistungszentrum für 30 Millionen Mark wieder aufbauen, ermutigt von den eigenen Bürgern, unterstützt von Bund und Land. Es entstand ein helles, freundliches Sportbad, mit zehn Bahnen, Lehrschwimmbecken, Fitnessraum, Sauna. 450 bis 500 Schwimmer dürfen, bei Leistungsnachweis, die Anlagen nutzen, auch alte, aber natürlich kommt es auf die Jungen an. Die Kinder müssen nicht dem SV Bayer, dem federführenden Klub, oder einem der anderen 18 Schwimmvereine Wuppertals angehören.

Auch in den Schulen wird Nachwuchs rekrutiert und am SSLZ von Trainern ausgebildet. Kindern und Jugendlichen werden Mahlzeiten gereicht, bei Hausaufgaben werden sie betreut. Auch aus Gründen der Finanzierung - der Betrieb kostet die Stadt jährlich rund 400 000 Euro - wurden 300 Abokarten verkauft. Mittwochabends, Samstags und Sonntags ist das Bad für alle offen.

Beckmann sieht jetzt sinnierend von der Galerie hinab. Ein großartiges Bild, sagt er, wenn 150 Schwimmer konzentriert ihre Bahnen ziehen. Keiner badet einfach nur, jeder versucht, seine Grenzen auszuloten. Wie die Athleten vom SV Bayer, auf die es im Sommer ankommen wird. Denn am Ende wird Beckmann ebenso wie das Schwimm-Projekt Wuppertal in Athen an Zeiten gemessen, und an Medaillen.

Auf Thomas Rupprath und seinen Trainer Henning Lambertz wird sich alles konzentrieren. Auch die eingebürgerte Südamerikanerin Sarah Poewe schwimmt für Wuppertal, aber das ist nur eine Formalie, und für Marc Uppenkamp, den 17-Jährigen, kommen die Spiele wohl noch zu früh. Steffen Driesen schwimmt zwar für die Bayer-Startgemeinschaft Wuppertal/Uerdingen/Dormagen, aber er trainiert in Uerdingen.

Also wird vor allem Rupprath Wuppertal vertreten, im Gespann mit Lambertz, dem Bundesstützpunkttrainer, wie er sich als Coach des SV Bayer nennen darf. Lambertz, ein quirliger, drahtiger Trainer Anfang 30, hat sich schon daran gemacht, das Erbe von Hoffmann und Beckmann weiter zu führen.

Vorbildlich, sagt er, was hier angeschafft wird - Digitalkamera, Beinpresse, Laktatmessgerät, Biobank. Fehlt nur ein Strömungskanal, Geheimwaffe des verflossenen DDR-Schwimmens, in dem die Athleten auf der Stelle schwimmend analysiert werden. Als einziger von sechs DSV-Stützpunkten im alten Westen verfügt Hamburg über den Kanal. Eine Millionen-Investition, weiß Lambertz, andererseits sagt er: Platz wäre vorhanden.

Vieles spricht dafür, dass Beckmann nächstes Jahr nicht nach Wuppertal zurückkehrt, sondern fünf weitere Jahre das DSV-Team führt. Seine Stelle am SSLZ wäre dann frei, und Lambertz verhehlt nicht, dass ihm der Job Spaß machen könnte. Zunächst aber will er sein Meisterstück machen, mit Rupprath eine Medaille über 100 m Schmetterling in Athen gewinnen.

Bessere Bedingungen finde er nirgendwo, sagt Rupprath, weshalb er seit 2001 jährlich 60 000 km im Auto zurücklegt zwischen Rostock, wo er mit seiner Frau wohnt, und Wuppertal. 1997 folgte er Lambertz nach Wuppertal, Beckmann muss schon wieder lächeln, wenn er daran denkt. "Ruppi", sagt er, "war ein Exot damals." Denn Ruppi stammt aus Neuss, und das ist immerhin 40 Kilometer von Barmen, Elberfeld und Küllenhahn entfernt.

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