Sechster WM-Titel:Königin auf der eigenen Party

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Natalie Geisenberger wollte den Weltmeistertitel in ihrer Heimat holen. Am Königssee erreicht sie dieses Ziel: "Das ist so geil." (Foto: Peter Kneffel/AFP)

Natalie Geisenberger meistert den Druck bei der Heim-WM am Königssee und triumphiert vor der Schweizerin Martina Kocher. Zuvor gewann auch das Doppelsitzer-Duo Tobias Wendl und Tobias Arlt.

Von Volker Kreisl, Königssee

Eine Rodelbahn ist lang. Die am Königssee zieht sich zum Beispiel über 16 Kurven und mehr als einen Kilometer hinunter ins Tal. Am Start oben saß die Rennrodlerin Natalie Geisenberger und hatte auch schon ihren Helm auf, der ihr Sicherheit gibt, aber auch den Lärm ein wenig dämpft. Doch dies war eine Heim-Weltmeisterschaft, und da nutzte auch der Helm nichts. Es waren am Samstag 6000 Anhänger, die unten darauf warteten, dass Geisenberger als neue Weltmeisterin aus der Bahn hervorschießen würde, und Geisenberger hörte oben ihren Lärm, und es war vielleicht mehr als ihr lieb war.

Am Ende meisterte die Miesbacherin diese Aufgabe, sie wurde in ihrem Trainingszentrum am Königssee Weltmeisterin. Es war ihr sechster WM-Titel, aber wohl der zweitwichtigste Sieg in ihrer Laufbahn nach Olympia-Gold in Sotschi vor zwei Jahren. Geisenberger hatte einen für ihre Fähigkeiten angemessenen Vorsprung von 0,239 Sekunden auf die zweitplatzierte Martina Kocher aus der Schweiz. 0,256 Sekunden waren es auf Bronze, das sich Tatjana Iwanowa (Russland) holte. Vierte wurde Tatjana Hüfner aus Friedrichsroda, die am Start noch passable Aussichten auf Gold hatte, im unteren Drittel aber womöglich mit dem schlechteren Material fuhr, jedenfalls büßte sie trotz sauberer Fahrt gewaltig an Zeit ein.

Alles andere als reichlich Gold hätte Fragen aufgeworfen

Es war die zweite deutsche Goldmedaille des Tages, und die zweite ziemlich fest erwartete im Lager des Bob- und Schlittenverbandes Deutschland. Vor Geisenberger hatte schon das Doppelsitzer-Duo Tobias Wendl und Tobias Arlt vom WSV Königssee gewonnen, vor ihren Teamkollegen aus Thüringen, Toni Eggert und Sascha Benecken. Die dritte Nummer-eins-Medaille bei dieser WM war es zudem fürs kleine inoffizielle Königssee-Team, denn am Freitag hatte bereits der ortsansässige mehrmalige Olympiasieger und Weltmeister Felix Loch den neuen Sprintwettbewerb für sich entschieden.

Die Freudensprünge bei Bundestrainer Norbert Loch waren also auch mit gehöriger Erleichterung zu erklären, denn alles andere als reichlich Gold hätte bei dieser WM im deutschen Rodel-Wohnzimmer Fragen aufgeworfen. Dennoch waren die Siegfahrten von Loch, Geisenberger und Wendl/Arlt von hoher Kunst. Denn an diesen Tagen war zu spüren, dass die Weltspitze näher zusammenrückt, vor allem Geisenberger war stark gefordert worden.

Die Konkurrenz kam in diesem Winter vor allem aus den USA, wo viele Rennrodler nach einer Jugend in Lake Placid oder Park City oder Salt Lake City mittlerweile einen ähnlichen Heimvorteil genießen wie die Königsseer. Und doch gab es eine Überraschung, denn Geisenbergers hartnäckigste Gegnerin kommt aus der Schweiz, wo es überhaupt keine Weltcup-Rodelbahn gibt. Die 31-jährige Studentin Martina Kocher aus Bern war mal eine recht ordentliche Diskuswerferin. Doch nachdem sie das Rennrodeln für sich entdeckte, schloss sie sich dem Weltcupzirkus an und reist seitdem quasi als Gast des deutschen Teams um die Welt.

"Ich wollte Spaß haben"

Nach zehn Jahren Rennrodeln schlug nun bei der WM am Königssee ihre Stunde: Kocher wurde dank eines fabelhaften Laufs am Freitag Weltmeisterin im neu geschaffenen Sprintwettbewerb, in dem wegen des fliegenden Starts die fahrerischen Fähigkeiten die Anschub-Athletik deutlich überdecken. Auf Platz zwei hinter Kocher: Natalie Geisenberger.

Auch wegen dieses Auftakts waren Geisenbergers Nerven vor dem klassischen Wettkampf der Frauen, dem eigentlichen Höhepunkt dieser Tage, etwas angespannt. Hinterher kritisierte sie sich selbst, genauer gesagt, ihren ersten Lauf durch die 16 Kurven. "Sonst hat man mal eine schlechte Kurve", sagte sie, "ich aber hatte im ersten Lauf vielleicht gerade mal eine gute Kurve." Statt eines komfortablen Punktepolsters hatte sie nach vielen ungenau angefahrenen Kurven eine hauchdünne, äußerst unbequeme Decke von 16 Tausendstel auf die Zweitplatzierte.

Im zweiten Lauf musste sich also etwas ändern. Und Geisenberger zeigte, dass sie mit ihren 27 Jahren und vielen Goldmedaillen auch damit umgehen kann, wenn sie auf der eigenen Party bedrängt wird. "Ich habe im zweiten Lauf versucht, das Ganze andersherum zu sehen", sagte sie. Statt Fehler zu verhindern, setzte sie den Schwerpunkt auf die Freude an ihrem Sport. "Ich wollte Spaß haben", sagte Geisenberger, "ich dachte mir, die Leute wollen eine Show, und die biete ich ihnen." Geisenberger stürzte sich also in die Bahn und ließ sich durch die Kurven tragen. Und unten rannte sie dann als Weltmeisterin vor die vielen Heimzuschauer, jubelte fast so heftig wie bei ihrem Olympia-Gold und hatte immer noch den Helm auf. Der Krach hat wohl trotzdem süß geklungen.

© SZ vom 31.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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