Schalke 04:Schluss ist erst, wenn Naldo trifft

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Wenn nichts mehr geht, muss der Lange ran: Naldo, 1,98 Meter groß, rettet erneut einen Punkt für Schalke. (Foto: Alex Grimm/Bongarts/Getty Images)

Erneut gelingt den Königsblauen ein Ausgleich in der Nachspielzeit - Trainer Tedesco und das Team ziehen daraus neue Selbstsicherheit.

Von Tobias Schächter, Frankfurt

Am schönsten ist die Bundesliga, wenn sie zur Bezirksliga schrumpft. So wie am Samstag beim 2:2 zwischen der Frankfurter Eintracht gegen den FC Schalke. Man kennt das als Beobachter von Amateurkicks: Eine Mannschaft liegt knapp zurück, der Schlusspfiff ist bedrohlich nahe, der Trainer bringt alle Stürmer, die er auf der Auswechselbank noch findet, und ganz am Ende, wenn es nur noch darum geht, den Ball irgendwie zum Ausgleich ins gegnerische Tor zu köpfeln, zu schießen, zu grätschen, zu spitzeln; wenn der Ball nur noch hoch in den Strafraum des Gegners gebolzt wird - dann schickt der Coach noch "den Langen" aus der Abwehr ins Sturmzentrum. Dann ist endgültig Brechstangenfußball der Matchplan.

Beim FC Schalke 04 heißt dieser Lange Ronaldo Aparecido Rodrigues, genannt Naldo. Er ist 1,98 Meter groß, wurde vor 35 Jahren in Londrina, Brasilien, geboren, hat vor drei Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und ist sich nicht zu schade, die noch immer gute alte Brechstangenrolle zu spielen.

In Frankfurt lagen die Schalker am Samstag nach 66 Minuten durch Tore von Luka Jovic (2.) und Sebastien Haller, dem ein brillanter Absatzkick gelang, 0:2 zurück. Trainer Domenico Tedesco fand dann nach Franco Di Santos Einwechslung (55.) auch den letzten verbliebenen Stürmer, Breel Embolo (68.), auf seiner Ersatzbank, den er neben Guido Burgstaller in den Angriff beordern konnte. Dieser Embolo traf nach Vorlage von Burgstaller zum Anschluss (82.), und dann winkte Tedesco schließlich noch seinen "Langen" nach vorne. Naldo erklärte hinterher die Situation folgendermaßen: "Nach dem 1:2 haben wir alle zur Bank geschaut und den Trainer gesehen, der alle nach vorne gepusht hat." Und wie schon vor drei Wochen in Dortmund gelang Naldo dann erneut der Ausgleich - diesmal in der fünften Minute der Nachspielzeit. In Dortmund hatte der Abwehrrecke exakt eine Minute früher mit seinem Tor zum 4:4 einen Schalker Jubelsturm ausgelöst.

Seit Samstag spricht ganz Schalke nun von einer neuen Tradition: Schluss ist erst, wenn der Naldo trifft!

Seit elf Spielen ist die Mannschaft ungeschlagen. Zufall ist das nicht

Trainer Tedesco aber musste den Ausgleich vor einem Bildschirm in den Katakomben verfolgen: Wiederholt hatte der Trainer gestenreich die Entscheidungen des Unparteiischen Robert Kampka kritisiert, bevor dieser ihn aus dem Innenraum verwies. Erst nach dem Schlusspfiff durfte der 32-jährige Coach wieder auf den Rasen sprinten und mit seinen Spielern und den Fans feiern wie nach einem Sieg.

Es sind Momente wie diese, die eine Mannschaft zu einer Mannschaft machen. Und solche Augenblicke nutzen die Schalker nun zum Narrativ, zum sinnstiftenden Erzählmotiv, für die Entwicklung unter dem jungen Trainer in dieser Saison. "Wahnsinn, dass wir nach 0:2 noch zum 2:2 gekommen sind. Es ist wichtig, dass wir immer an uns glauben. Unsere Mannschaft ist einfach geil. Der Trainer macht das überragend", schwärmte Naldo. Auch der Schalker Anhang glaubt wieder an die Mannschaft. Unter dem Trainer Markus Weinzierl verschwand Königsblau in der letzten Saison begleitet von den Pfiffen der Anhänger im Mittelfeld. Nun überwintert der FC Schalke 04 unter Domenico Tedesco auf einem Champions-League-Rang. Seit elf Spielen ist das Tedesco-Team ungeschlagen, obwohl es, wie in Frankfurt, schon häufiger kurz vor einer Niederlage stand. Zufall ist das nicht.

Der Trainer veränderte seit Sommer die Schalker Statik auf und neben dem Platz: Er entzog Benedikt Höwedes die Kapitänsbinde; der Weltmeister wechselte daraufhin verärgert zu Juventus Turin. Spielmacher Maximilian Meyer beorderte er auf die Sechserposition; Meyer und der Mannschaft scheint das zu helfen: Der U 21-Europameister gehörte auch in Frankfurt zu den Besten. Aber all das würde nicht so tief greifen, gäbe es neben den Siegen nicht solche zur Legende taugenden Erlebnisse wie in Dortmund und Frankfurt. Und weil das so ist, lautet die Erzählung der Schalker Vorrunde: Wir sind die Mentalitätsmonster der Liga. Das gibt Selbstvertrauen und nötigt den Gegnern Respekt ab.

Tedesco analysierte nach der Aufholjagd in feinster Bezirksligadiktion: "Die Jungs entwickeln sich gut, das ist einfach ein guter Haufen." Er verwies aber mahnend darauf, dass die Hinrunde nicht beendet sei: "Am Dienstag haben wir noch ein Pokalspiel gegen den 1. FC Köln." Und Naldo, der drei Jahre älter ist als sein Trainer, stellte klar: "Wenn wir weiterkommen, können die Jungs auch etwas trinken."

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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