Schalke 04:Plötzlich Herbstwetter

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Ersatz für die Innenverteidigung: Romain Bregerie (re.), hier in der vergangenen Saison gegen Schalke im Einsatz, steht in der Startformation. (Foto: Ina Fassbender/Reuters)

Nur 1:1 gegen Ingolstadt, die Zukunft des Managers ungeklärt - und der Trainer vermisst einen "Knipser".

Von Ulrich Hartmann, Gelsenkirchen

Klaus Fischer ist weg, den kriegt niemand mehr. Ebbe Sand und Kevin Kuranyi hingegen werden dran glauben müssen, früher oder später. Fischer hat einst 182 Bundesliga-Tore für Schalke 04 geschossen und führt die ewige Torschützenliste des Klubs unangefochten an. Sand (73) und Kuranyi (71) folgen auf den Plätzen zwei und drei. Vierter ist mit 70 Treffern einer, der die beiden kurzfristig überholen kann. Doch Klaas-Jan Huntelaar trifft nicht mehr.

Es ist sechs Wochen her, dass der 32-jährige Niederländer zuletzt ein Bundesliga-Tor für Schalke geschossen hat. Huntelaar benötigt nur noch zwei Treffer, um Kuranyi zu überholen, und vier für Sand. Dass er nicht mehr trifft, belastet ihn ebenso wie seinen Klub. Am Samstag hat Schalke nur durch das späte vierte Saisontor des erst 19-jährigen Leroy Sané ein 1:1-Unentschieden gegen den Aufsteiger FC Ingolstadt gerettet. Die Gelsenkirchener haben von sechs Pflichtspielen zuletzt nur eines gewonnen. "Wir haben keinen absoluten Knipser, wie ihn andere Vereine haben", klagte Trainer André Breitenreiter.

Das ist eine verbale Ohrfeige für die Stürmer Huntelaar, Franco di Santo und Eric-Maxim Choupo-Moting. Dass der Trainer mit Kritik an der Kadergröße außerdem eine Watsch'n an Manager Horst Heldt verteilt, ist ein schlechtes Zeichen. Schalkes gelungener Saisonbeginn ist so gut wie vergessen.

Denn in Gelsenkirchen - 48 Meter über Normalnull - kann das Wetter so schnell umschlagen wie sonst nur auf dem 8850 Meter hohen Mount Everest. Und dann bleiben Betroffene auf der Strecke.

Dortmund, München, Leverkusen - es folgen herausfordernde Wochen

Breitenreiter, 42, hat am Samstag sein elftes Bundesliga-Spiel für Schalke gecoacht. Hinterher hat er geklungen wie ein trotziger Bub, der zu wenig Spielzeug hat - und außerdem das falsche. Andere haben jedenfalls besseres. Breitenreiter hat genörgelt, der Kader sei zu klein, man habe derzeit keinen Stürmer in Bestform und man dürfe die Augen vor dieser Realität nicht verschließen. Es klang ein bisschen dramatisch, aber womöglich war es auch opportunistisch, denn sollte der Manager Heldt wirklich weiter auf der Abschussliste des Vereinspatrons Clemens Tönnies stehen, dann könnte man jetzt schnell noch ein paar Defizite abwälzen.

Das Verhältnis zwischen dem Trainer und dem Manager soll jedenfalls abgekühlt sein. "Wir arbeiten vertrauensvoll zusammen", beteuern beide unabhängig voneinander in absolut identischem Satzbau. Kapitän Benedikt Höwedes, der nach einem Mittelhandbruch am Samstag vorerst ausfällt, sagt ungeduldig, die Situation im Management bedürfe langsam der Klärung. Über die spielerische Leistung der Mannschaft sagte er: "Das ist ein bisschen ein Rückfall in alte Zeiten."

Eine Führungs- und eine sportliche Krise fallen in diesem Herbst zusammen, und mit den nächsten drei starken Liga-Gegnern Dortmund, München und Leverkusen droht die angeschlagene Mannschaft auch ihren Platz in der Spitzengruppe einzubüßen. In diesem Szenario, in dem der Trainer nach dem geschmeidigen Auftakt nun erstmals schalke-spezifisches Herbstwetter aufziehen sieht, reagiert Breitenreiter sensibel. Heldt hingegen macht routiniert auf Gelassenheit: "Es wird jetzt ein bisschen einfacher für uns, weil wir gegen die kommenden drei Gegner nicht mehr unbedingt die Favoritenrolle haben."

Schalke probt vor den sportlich herausfordernden Wochen plötzlich Untertänigkeit: "Unser Kader ist nun mal nicht so breit aufgestellt wie bei Bayern, Dortmund, Gladbach, Wolfsburg und Leverkusen", sagt Breitenreiter, aber eine Mannschaft, die aus noch viel weniger derzeit mehr macht, hat am Samstag auf Schalke einen Punkt gewonnen: "Die Ersatzbank von Schalke verdient fünf Mal so viel wie unsere Elf", spottete Ingolstadts Torwart Ramazan Özcan.

Die Rolle des Retters in der gefährlich unwägbaren Klimazone Gelsenkirchen nimmt derzeit ausschließlich der erst 19-jährige Sané ein. Mit vier Liga-Toren führt er Schalkes interne Saisonliste an. Seine Treffer gegen Stuttgart (1:0-Sieg), Hamburg (1:0) und Ingolstadt (1:1) waren allein fünf Punkte wert. Huntelaar hat nach einem Drittel der Saison erst zwei Mal getroffen, Choupo-Moting ein Mal, di Santo noch gar nicht: "Es ist nun mal eine Facette des Mannschaftssports Fußball, dass der eine mal glänzt, während der andere vielleicht ein Päckchen mit sich herumträgt", sagt Heldt verständnisvoll und weist darauf hin, dass man in dieser Saison aber nach wie vor wenigstens eine Mannschaft sei - "im letzten Jahr waren wir's nicht".

Die seltsamste Konstellation aber bleibt vorerst jene, dass der offenbar auf Abruf arbeitende Manager verantwortlich ist für die Optimierung des Kaders im winterlichen Transferfenster. Es wird ein spannender Herbst auf Schalke - in jeder Hinsicht.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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