Schalke 04:Der Weltuntergang muss warten

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Schalkes Kapitän Marcelo Bordon ist nicht nur sportlich die unbestrittene Autorität des Tabellenführers.

Philipp Selldorf

Vor vielen Jahren, er war bereits im hinteren Abschnitt seiner Spielerkarriere angekommen, berichtete Lothar Matthäus in einer seiner beliebten Erzählstunden, was für eine Mühsal das Amt des Mannschaftskapitäns bereite.

Ein Kapitän müsse sich um alles kümmern, schilderte Matthäus: Um die Jungen, die Alten und die Außenseiter im Team. Er müsse den Schiedsrichter beschwatzen, mit dem Trainer reden, mit dem Manager die Prämien verhandeln, und das Schlimmste: die Geburtstage der Spieler und Betreuer kennen und manchmal auch noch die Geschenke besorgen.

Es ist also kein Wunder, dass Marcelo Bordon stöhnt und seufzt, wenn man ihn auf seine Aufgaben als Spielführer beim FC Schalke 04 anspricht. Er schaut müde hervor unter seinen schweren Lidern, und seine Worte kommen in diesem deutsch-brasilianischen Singsang, der von einer melancholisch schwingenden Melodie getragen wird.

Eine Klagelied ist die Antwort

Bordon, 31, ist der Kapitän, was muss er dabei tun? Ein Klagelied ist die Antwort: "Ich muss viel mehr machen als die Anderen. Bälle tragen, Tore schieben, mehr trainieren. Ich muss ein Vorbild sein. Ich kann nicht sagen: Du machst das, und Du machst das. Ich muss es selber machen." Nur um die Geburtstage muss er sich nicht kümmern, das nimmt ihm der Verein ab. Aus gutem Grund, wie Bordon meint: "Wir müssen alles dafür tun, dass nur der Fußball zählt. Denn dies ist ein Moment, der für Schalke 04 sehr wichtig ist. Er kann in der Geschichte bleiben für immer."

Wobei "immer" im Sinne von ewig für ihn eine relative Zeitangabe bleibt. Dem kicker hat Bordon neulich erzählt, dass er an den Weltuntergang glaube und dass ihm das keine Sorge mache, weil er dann auf die Hilfe Jesu Christi zähle.

Aber selbst dieser gottergebene Mann, der in dem Fragebogen der Fachzeitung in jeder dritten Antwort auf die Gnade des Herrn verweist (er dankt ihm sogar dafür, ihn mit Ebbe Sand und Tomasz Waldoch bekannt gemacht zu haben), selbst dieser fromme Mann hätte vermutlich wenig Verständnis dafür, wenn die Welt schon vor dem letzten Spieltag am 19.Mai, Schalkes Heimspiel gegen Arminia Bielefeld, unterginge.

Traum von der Meisterschaft

Von der bald wahnsinnigen Sehnsucht nach der Meisterschaft ist Bordon gepackt wie alle anderen Schalker. Am 19. Mai als Kapitän die Schale in Empfang zu nehmen, das ist Bordons größter Wunsch, den er, wie so vieles, ein wenig pastoral ausdrückt: "Wenn Menschen keinen Traum haben, dann können sie schon sterben", sagt er.

Sollte es wirklich vor dem Weltuntergang gelingen, den Traum zu realisieren, dann hätte Bordon daran einen großen Anteil. Statistisch betrachtet weist Schalke nach Nürnberg die beste Abwehr der Liga auf. Die Mischung der Deckungsreihe ist abgestimmt wie nach einem Backrezept: Einerseits die Routine und Klasse der erfahrenen Stopper Bordon, Krstajic und Rodriguez, andererseits das Talent und der jugendliche Schwung der Außenverteidiger Rafinha und Pander und des erstaunlichen Torwarts Neuer.

Die Zentralverwaltung obliegt Bordon mit seiner wuchtigen, kraftvollen Spielweise, die ihn manchmal wie eine Ein-Mann-Viererkette wirken lässt, wenn er sich sperrig dem Gegner entgegenstellt. Mit dem Stil seines Landsmanns Lúcio, den er jetzt in der Partie beim FC Bayern trifft, verbindet Bordon trotz der ebenfalls enormen körperlichen Präsenz wenig.

Dass Lúcios bis in die Rückrunde währende Schwächephase ein wichtiger Grund für den unbefriedigenden Tabellenstand der Bayern ist, das würde Bordon nie sagen, weil er über andere Leute prinzipiell nicht abschätzig spricht. Lúcio sei "immer gut", sagt er, "vor ihm muss man immer Respekt haben".

Ruhe und Autorität

Im Gegensatz zum aufbrausenden Lúcio ist Bordon ein beherrschter Spieler. Für die Untat seines Mitspielers Lincoln, der wegen der roten Karte nach der Ohrfeige gegen Bernd Schneider auch in München zuschauen muss, hat er zwar Verständnis ("Manchmal geht der Geist aus dem Körper"), aber ihn selbst sieht man fast nie schimpfend, fuchtelnd oder seine Mitspieler zurechtweisend, obwohl er die unbestrittene Autorität der Schalker Mannschaft ist.

Erst recht, seitdem Torwart Frank Rost seinen Platz hat räumen müssen. Rost war im Team eine Art Gegenpol zu Bordon, der wieder sehr gequält dreinschaut, wenn er darüber reden soll. "Nein, ich habe keine Probleme mit Frank, aber wir haben vielleicht eine andere Mentalität", sagt er dann. "Vielleicht haben wir nicht zusammen gepasst. Aber ich glaube, auch Frank würde sagen: ,Ich hatte kein Problem mit Marcelo.' Es ist schwierig, das zu erklären."

Dabei sollte man es wohl belassen, um nicht an den Grundsätzen des Kapitäns zu rühren. "Du musst einfach sein. Du musst klar sein. Du musst es mit Gefühl und Respekt machen", predigt Bordon. Und: "Die Wahrheit ist wichtig. Wenn du einmal lügst, dann ist es schon vorbei."

"Wir haben eine richtige Mannschaft"

Die während der Hinrunde durch Maulwurf-Affären und sportlichen Aufruhr emotional aufgewühlte Elf auf eine gemeinsame Wahrheit eingeschworen zu haben, das ist die große Reformleistung des charismatischen Brasilianers. Und darauf ist Bordon stolz im Vielvölkerstaat Schalke: "Wir haben viele verschiedene Länder im Team - aber eine Mentalität." In dieser Eigenschaft sieht er sogar ein Stück Überlegenheit gegenüber dem FC Bayern. "Wir haben vielleicht nicht so viel Qualität wie die Anderen, aber wir haben eine richtige Mannschaft."

Was würde ein Sieg in München bedeuten? Einen Schritt in die richtige Richtung, mehr nicht, glaubt Bordon: "Manchmal gewinnst du gegen Bayern, und dann verlierst du gegen den Tabellenletzten. Es ist immer alles gefährlich. Wenn wir am letzten Spieltag sechs Punkte Vorsprung haben, dann werde ich immer noch sagen: 'Vorsicht. Wir müssen noch 90 Minuten spielen'." Was ein richtiger Kapitän eben sagen muss.

© SZ vom 31.03.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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