Schalke - Darmstadt (15.30 Uhr):Die Einheit bröckelt

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Verärgert: Bei Darmstadt und Änis Ben-Hatira läuft es in dieser Saison bislang überhaupt nicht. (Foto: Arne Dedert/dpa)

In Darmstadt ist der Glaube verloren gegangen, dass die Mannschaft sich aus eigener Kraft aus ihrer Krise befreien kann.

Von Tobias Schächter, Darmstadt

In der vergangenen Saison lief es beim Überraschungsaufsteiger Darmstadt 98 so: Immer wenn man gedacht hat, jetzt stürzen diese Lilien aber endgültig in den Abstiegssumpf, belehrten sie die Zweifler eines Besseren. Mit einer beeindruckenden Siegermentalität und einer unumstößlichen Geschlossenheit schaffte es die von Dirk Schuster trainierte Darmstädter Aufstiegsmannschaft immer wieder, sich aus eigener Kraft aus Krisen zu befreien und am Ende sogar in der Liga zu bleiben.

Nun aber ist Schuster weitergezogen, nach zwei Aufstiegen und dem Klassenerhalt sah er seine Mission erfüllt und suchte in Augsburg eine neue Herausforderung. Wichtige Spieler verließen den Klub, vor allem Torjäger Sandro Wagner (14 Tore), der in Hoffenheim nun andere Ziele verfolgt als den Klassenerhalt. Viele neue Profis kamen, einige Altgediente wie Flügelflitzer Marcel Heller bekamen keine Freigabe für einen Wechsel, oder entschieden sich wie Kapitän Aytac Sulu und Mittelfeldspieler Gerome Gondorf trotz anderer Angebote für den Verbleib bei den Lilien, die noch immer mit dem kleinsten Stadion und dem kleinsten Etat der Liga konkurrieren. Für Schuster kam Norbert Meier aus Bielefeld als Trainer. Und nach elf Spieltagen stehen die Darmstädter vor dem Auswärtsspiel am Sonntag beim FC Schalke 04 zwar mit nur acht Punkten da. Einziger Vorteil: immerhin noch vor den Abstiegsplätzen.

Nur eine "ganz normale Schwächephase"?

Gefühlt stehen die Lilien nach der bitteren 0:1-Heimniederlage vom vergangenen Wochenende gegen den FC Ingolstadt indes viel schlechter da. Mit einem Sieg gegen den letztjährigen Mitaufsteiger hätten die Hessen die Konkurrenz aus Ingolstadt, Hamburg und Bremen mindestens bis Weihnachten auf Distanz halten können. Aber nach der ernüchternden Leistung ging in Darmstadt auch ein bisschen der Glaube verloren, dass diese Mannschaft sich tatsächlich aus eigener Kraft aus dieser Krise befreien könne. Zum ersten Mal seit Jahren gab es im "Bölle" Pfiffe nach dem Abpfiff - und auch "Meier-Raus"-Rufe waren deutlich zu vernehmen, als der Trainer in die Kabine ging.

Bröckelt die Einheit zwischen Fans und Mannschaft? Gibt es die Einheit zwischen Mannschaft und neuem Trainer? Diese Fragen müssen die Spieler auf dem Platz beantworten. Kapitän Aytac Sulu will von einer bröckelnden Einheit nichts wissen, er spricht von einer Schwächephase, die normal sei. Aber von den Pfiffen der Fans dürfe sich die Mannschaft nicht unterkriegen lassen. Und auch das Verhältnis zum Trainer sei in Takt, erklärt Sulu. Einen Bericht des kicker vor dem Spiel gegen Ingolstadt, in dem das Verhältnis altgedienter Profis zum neuen Trainer als problematisch dargestellt wurde, nervte Sulu so sehr, dass er den Autor des Artikels sein Missfallen nach dem Abpfiff des Ingolstadt-Spiels deutlich spüren ließ. Auch Trainer Meier erklärte den Bericht öffentlich als unwahr.

Die Lage ist heikel: Die Fans pfeifen, viele Leistungsträger aus dem Vorjahr wie Gondorf oder Sulu rennen ihrer Bestform hinterher, und ein Torjäger wie Wagner ist nicht in Sicht. Dem torlosen Sven Schipplock schlägt die Häme der Fans mittlerweile bei jeder misslungenen Aktion entgegen. Auch dass Trainer Meier den letztjährigen Vorbildkämpfer im defensiven Mittelfeld, Peter Niemeyer, nicht berücksichtigt, stößt bei den Anhängern auf Unverständnis. Nun fällt auch noch der aus Freiburg gekommene und bislang überzeugende Defensivspieler Immanuel Höhn mit Mittelfußbruch lange verletzt aus.

"Fieser Kampf bis zum Schluss"

Als wäre all das nicht genug, sorgten unter der Woche Schlagzeilen um Offensivspieler Änis Ben-Hatira für Wirbel. Der Tunesier engagiert sich für einen Verein, der wegen Verbindungen zu salafistischem Gedankengut vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ben-Hatira verteidigte sein Engagement. In Darmstadt haben sie ziemlich viele Baustellen vor dem Auftritt in Schalke, das sich ja seit Wochen im Aufwind befindet.

Das so gerne kolportierte Wort von der Darmstädter Fußball-Romantik steht auf dem Prüfstand. Erstmals seit dem Durchmarsch von Liga drei in Liga eins gibt es Kritik. Präsident Rüdiger Fritsch beschwört den Zusammenhalt: "Alles, was unsere Einheit stört, ist schlecht. Wir wollen in der Bundesliga bleiben, das wird ein fieser Kampf bis zum Schluss. Wir können nur etwas erreichen, wenn wir eine Einheit bilden."

Sportchef Holger Fach glaubt, es sei neu für die Mannschaft, dass es nicht laufe. Nun müsse man gegensteuern, und bei den Spielern das hemmende Gefühl der Angst bekämpfen, etwas verlieren zu können. Es gebe "keinen Grund zur Panik", behauptet Fach. Und überhaupt, so der Sportchef: Es müsse optimal laufen für Darmstadt, um die Klasse zu halten. Vergangene Saison tat es das.

© SZ vom 27.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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