Saisonauftakt in der Türkei:Die dunklen Seiten der Süperlig

Lesezeit: 4 min

Fans von Fenerbahce Istanbul zeigen ein Transparent mit der Aufschrift "Nein zum Terror". In der Liga wird inzwischen nicht nur mit Bällen scharf geschossen. (Foto: Burak Kara/Getty)

In Istanbul liefern sich die Vereine einen bizarren Wettbewerb um die teuersten Einkäufe. Und die Schüsse auf das Auto von Nationalspieler Topal bieten Raum für wilde Spekulationen.

Von Tobias Schächter, Istanbul/München

Als Robin van Persie Freitagnacht zum ersten Mal in einem Süperligspiel den Rasen des Sükrü Saracoglu Stadions von Fenerbahce Istanbul betrat, war der Jubel der "Fenerli" ohrenbetäubend. Die Fans von Fenerbahce feierten die Einwechslung des Torjägers aus den Niederlanden in Minute 62 wie die Verheißung auf neue Titel - und nach 90 Minuten zum Auftakt der neuen Saison auch einen 2:0-Sieg gegen Eskisehirspor, die Mannschaft des deutschen Trainers Michael Skibbe.

Deren prominentester Neuzugang heißt Theofanis Gekas, Skibbes Lieblingsspieler aus der Bundesliga zu Frankfurter und Leverkusener Zeiten. Getroffen hat Gekas wie van Persie nicht an diesem Abend, der Grieche schlich nur vier Minuten nach der triumphalen Einwechselung van Persies ganz leise vom Platz. Der Transfer von Gekas von Akhisar Belediyespor zu Eskisehirspor wäre ja fast untergegangen in dieser knalligen Transferperiode in der Türkei.

Podolski trifft in seinem ersten Spiel

Große Namen mit erfolgreicher Vergangenheit heuerten am Bosporus an, wo sich die Istanbuler Großklubs ein aberwitziges Wettbieten um die Stars aus Europa boten: Weltmeister Lukas Podolski, gekommen vom FC Arsenal aus England, startete nach dem Supercupgewinn gegen Bursaspor mit Titelverteidiger Galatasaray in Sivas mit einem 2:2. Podolski, der 90 MInuten durch spielte, bewahrte den Meister mit seinem Treffer in der 81. Minute vor der Auftaktpleite.

Mario Gomez (Florenz), Andreas Beck (Hoffenheim) und Ricardo Quaresma (Porto) beginnen die Runde am Sonntagabend mit der Auswärtspartie bei Mersin Idman Yurdu. Aber die "Fenerli" glauben in dem Portugiesen Nani (Manchester United), dem letztjährigen Torschützenkönig Fernandao (Bursaspor), der gegen Eskisehirspor ein Tor erzielte, und vor allem im ebenfalls von Manchester United abgelösten Robin van Persie die größten Trophäen auf dem so verrückten Transfermarkt der Süperlig präsentiert zu haben.

Mit Vitor Pareira soll ein neuer Trainer aus Portugal dem Erzrivalen Galatasaray den Titel abjagen und in Europa Erfolge feiern. Zwei Jahre war Fenerbahce von der Uefa von allen internationalen Wettbewerben wegen des Manipulationsskandals 2011 gesperrt , nun musste der Klub bei der Rückkehr auf die europäische Bühne den ersten Rückschlag hinnehmen: Gegen Schachtjor Donezk schieden die Gelb-Blauen von der asiatischen Seite Istanbuls aus der Champions-League bereits in der Qualifikationsrunde aus, nächsten Donnerstag geht es nun in der kleineren Europa-League gegen Atromitos Athen.

Ein Schuldenberg in dreistelliger Millionenhöhe

Es bleibt zweifelhaft, ob die vielen neuen Stars der Liga tatsächlich helfen werden, ein positiveres Image aufzubauen. Zum einen sind erstmals elf ausländische Kicker in der Startelf der 18 Teams erlaubt. Das dürfte türkische Nachwuchskräfte noch mehr in ihrer Entwicklung hemmen. Zum anderen gibt es kaum einen Klub, der eine positive Transferbilanz vorweist, alleine Fenerbahce hat ein Transferminus von rund 35 Millionen Euro zu verzeichnen. Die großen Istanbuler Klubs sind gefangen in der Transferspirale und schaukeln sich gegenseitig nach oben. Dabei tragen die "Üc Büyük" - die großen Drei -, wie Besiktas, Fenerbahce und Galatasaray genannt werden, jeweils einen Schuldenberg in dreistelliger Millionenhöhe vor sich her.

Die Vorfreude der türkischen Fußballfans auf die neue Saison wurde vor allem durch einen bizarren Vorfall vergangenen Dienstag getrübt. Auf dem Heimweg vom Vormittagstraining wurde das Auto des Fenerbahce-Profis Mehmet Topal beschossen. Im kugelsicheren Gefährt befand sich noch ein Nachwuchsprofi, den beiden Fußballern ist nichts passiert, der türkische Nationalspieler Topal wurde am Freitagabend gegen Eskisehirspor unter dem Jubel der Fans eingewechselt. Der Fall ist ebenso noch ungeklärt wie ein Vorfall vor vier Monaten, als der Mannschaftsbus von Fenerbahce nach einem Auswärtsspiel in der Schwarzmeerregion zwischen Rize und Trabzon beschossen wurde. Damals wurde der Busfahrer leicht verletzt, die Meisterschaft kurzzeitig ausgesetzt. Fenerbahce sprach in einer ersten Stellungnahme nach den Schüssen auf das Auto vom Topal nun von einem "erneuten terroristischen Akt". Die Polizei hingegen geht davon aus, dass das Auto des türkischen Nationalspielers von einer verirrten Kugel getroffen worden sei, die aus großer Entfernung ohne Ziel abgefeuert worden sein soll.

Hat sich eine Kugel verirrt? War es ein gezielter Anschlag?

In den sozialen Netzwerken grassieren wieder die wildesten Verschwörungstheorien: Strahlt die unsichere politische Gesamtlage in der Türkei nun auch auf den Fußball ab? Wurde der Anschlag ausgeführt von Extremisten der Isis oder der kurdischen PKK? Oder ist es eine persönliche Sache von Topal? Die Lage ist unübersichtlich, aber der Vorfall wirft einige Fragen auf, zum Beispiel: Was ist das für ein Umfeld, in dem Fußballprofis mit kugelsicheren Autos durch die Gegend fahren? Wer glaubt, dass sich mitten in Istanbul Kugeln am hellen Tag verirren können?

Dieser erneute Gewaltakt lenkt jedenfalls wieder den Blick auf die dunklen Seiten des türkischen Fußballs, der von Spielmanipulation, Fangewalt und dem Einfluss der Politik geprägt ist. Viele fragen sich, ob nicht Fanatiker von anderen Klubs hinter den Schüssen auf Topals Auto stecken, wie schon beim Anschlag auf den Mannschaftsbus vermutet wurde. Oder aber Fans anderer Klubs glauben, Fenerbahce nutze die Vorfälle, um sich als Opfer zu inszenieren.

Die Politik überschattet den Sport, das ändern auch die Stars nicht

Jeder glaubt nur das, was er glauben will, so lange die Vorfälle nicht lückenlos aufgeklärt worden sind. Fakt ist aber, dass der Hass einzelner Fangruppen aufeinander seit dem Manipulationsskandal 2011 noch einmal zugenommen hat. Unter anderem wurde Fenerbahces Präsident Aziz Yildirim zu sechs Jahren Haft verurteilt wegen der "Bildung einer kriminellen Bande". Fenerbahce soll sich damals den Titel erkauft haben. Durch politische und juristische Winkelzüge könnte das Verfahren wieder aufgerollt werden. Der Türkische Fußball Verband (TFF) erkannte Fenerbahce damals den Titel nicht ab, während die Uefa den Klub für zwei Jahre von ihren Wettbewerben verbannt hatte. Der damalige Vizemeister Trabzonspor beansprucht den Titel, juristische Verfahren sind anhängig.

Umso absurder erschien jüngst das Abstimmungsverhalten des Präsidenten von Trabzonspor bei der Wahl des TFF-Präsidenten. Er stimmte für den Amtsinhaber Yildirim Demirören, der nichts zur Aufarbeitung des Skandals beiträgt. Dieses Verhalten führte zu großen Verwerfungen im Klub. Die Politik überschattet den Sport in der Türkei, daran können auch die neuen Stars nur schwer etwas ändern. Trabzonspor verpflichtete ja zum Beispiel den kamerunischen Nationalspieler Stephane Mbia vom FC Sevilla. An diesem Samstag haben Aktivisten von Trabzonspor vor dem Anpfiff des ersten Heimspiels gegen Bursaspor nun weiter auf die "Ungerechtigkeit im türkischen Fußball" aufmerksam gemacht.

© SZ vom 16.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: