Russisches Sportsystem:Hörmann regt Sperre an

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Der DOSB-Chef kritisiert ungewohnt deutlich die zögerliche Behandlung des russischen Systemdopings durch das IOC. Er bezweifelt, dass Kreml-Chef Putin nichts wusste, und fordert im Fall von Staatsdoping den Komplett-Ausschluss für Olympia.

Von Thomas Kistner, München

Die olympische Kernsportart Doping vermeldet einen bunten Strauß Neues. Wie üblich rankt sich die Nachrichtenlage um Russland, wo dank ministerieller und geheimdienstlicher Mithilfe über Jahre ein weitflächiger Pharmabetrug praktiziert wurde. Der aber trotzdem, beteuern die Russen und der ihnen nahestehende (sprich: größte) Teil des Sports, keineswegs als Staatsdoping zu verstehen sei.

Dieser absurden Logik folgt nicht mal mehr Alfons Hörmann. Dabei vertrat der Chef des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) in Russland-Fragen bisher tapfer die Linie seines Amtsvorgängers Thomas Bach; der IOC-Chef wiederum hat sich als wichtigster Kombattant Wladimir Putins profiliert. Nun probt Hörmann den Aufstand. Der als Einknicken vor Putin weltweit kritisierte IOC-Beschluss, trotz klarster Belege 280 Russen bei Olympia in Rio starten zu lassen, sei falsch gewesen: Russland "hätte niemals unter diesen Gegebenheiten und in dieser großen Mannschaft dort auflaufen dürfen". Hörmann rügt in der Welt am Sonntag: "Die optische, psychologische und kommunikative Wirkung des russischen Auftritts war für die gesamte Innen- und Außenwirkung des Weltsports schädlich." Darf's noch etwas mehr sein? "Das Image des IOC hat gelitten. Alles andere wäre schöngeredet."

Klare Worte. Pflegt nicht Bachs IOC via Einzelfallprüfung ein so hohes Gerechtigkeitsideal, wie es nur echte Philantropen wie Putin und die Funktionärswelt schätzen? Die Schmerzgrenze ist für Hörmann erreicht, auch als Sportfunktionär muss man sich nicht chronisch für dumm verkaufen lassen. Dass Putin nichts gewusst habe, glaubt der DOSB-Chef nicht. Das erscheine in einem System wie Russland unvorstellbar: "Das fällt mir als Bürger Europas, aber auch als sportpolitischer Verantwortungsträger schwer zu glauben." Auch bezweifelt er, dass ein solches Dopingsystem landesweit umgesetzt werde, ohne dass das NOK davon wusste oder involviert war. "Das ist nach meinem Verständnis einer Sportorganisation in einem Land wie Russland wohl kaum möglich." Wenn es also in Russland Staatsdoping gab, folgert Hörmann, wäre "der Komplettausschluss des gesamten NOK mindestens für Pyeongchang (2018) und gegebenenfalls auch für Tokio (2020) ein Thema, mit dem sich das IOC intensiv beschäftigen muss". So wird just in Deutschland erstmals ein Sommer-Ausschluss für Russland angemahnt.

Chef-Doper Rodschenkow deutet eine Spur in den Kreml an

Unklar ist, was Hörmann zu der ungewohnten Einsicht beflügelt hat. Ahnt er, dass es noch finanzielle Probleme mit der Strukturreform seines Sports geben könnte - und setzt er sich deshalb so heftig von Bachs Kurs ab? Letzteren fordert inzwischen ja sogar die deutsche Politik zu einer glaubwürdigen Anti-Doping-Politik auf.

Mehr Ereignisse des Wochenendes befeuern den aufregenden Trend, dass Sportfunktionäre selber denken - statt nur die machtpolitische Position des IOC nachzubeten. In der Dokumentation Icarus, die am Freitag beim Sundance-Filmfestival in Utah Premiere feierte, gab der frühere Chef des Moskauer Dopinglabors, Grigori Rodschenkow, zu, 30 russische Medaillengewinner bei Olympia in Peking 2008 sowie mindestens die Hälfte der 72 Medaillengewinner 2012 in London gedopt zu haben. Auch deutete der in die USA geflohene einstige Chefalchimist des Russen-Sports an, er sei 2011 nur dank Putin im Amt geblieben. Auf dessen Anweisung hin sei damals eine Ermittlung wegen des Handels mit Dopingstoffen gegen ihn abgeblasen worden. Rodschenkow blieb Laborchef, er behauptet: "Putin hat mich angefragt."

Ins Gesamtbild passt, was am Sonntag die ARD berichtete: ein neuer Whistleblower widerlegt mit Bildbeweisen die Mär vom russischen Reformwillen; zumindest im ohnehin suspendierten Leichtathletik-Verband RUSAF. Mittelstreckenläufer Andrej Dmitrijew filmte heimlich den weltweit gesperrten Coach Wladimir Kasarin dabei, wie er russische Top-Athleten betreut. Wie einst Julia Stepanowa und Gatte Witali, spielte Dmitrijew der ARD das Videomaterial zu, das Kasarin in einem russischen Trainingslager zeigen soll. Auch weitere gesperrte Trainer sollen aktiv sein. Falls das Video tatsächlich Kasarin zeige, habe RUSAF die Kriterien für die Wiederzulassung verletzt, sagt IAAF-Generaldirektor Olivier Gers. Überprüfen lässt sich das schon diesen Montag, wenn die Doping-Task-Force der IAAF in Moskau erscheint - und dann auch Aufklärer Dmitrijew hören will.

Biathlon-Union will durchgreifen - aber nur auf Druck der Sportler

Es geht voran. Dabei halten die großen Bruderverbände, IOC und Fußball-Weltverband Fifa, weiter in Treue fest zu Russland. Dass ihre Kameradschaftsphilosophie des Aussitzens und Zerredens auch bei nachrangigen Verbänden treu gepflegt wird, liegt auf der Hand. Soeben stellte der Biathlon-Weltverband IBU 22 der 29 Dopingverfahren gegen russische Sportler ein; gesperrt wurden nur zwei Athletinnen. Am Wochenende machten jetzt die enttäuschten Sportler selbst Druck - und die IBU einen Salto rückwärts. Noch vor der WM in Hochfilzen Mitte Februar soll es einen Sonderkongress geben. Bis dahin dürften die Funktionäre einen neuen Dreh finden, um dem höchsten Gerechtigkeitsideal von Bach, Putin und - die Wette sei offeriert - bald auch Donald Trump Geltung zu verschaffen.

© SZ vom 23.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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