Rückkehr nach Giesing:Jaja, was wäre, wenn

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Vor zwölf Jahren bestritt der TSV 1860 München zuletzt ein Pflichtspiel im Grünwalder Stadion. Das 3:4 gegen Ahlen im Mai 2005 markiert einen traurigen Wendepunkt in der Klubgeschichte.

Von Philipp Schneider

Auf dem Marienplatz hatten sie schon das Podest für die Aufstiegsfeier aufgebaut an diesem Tag, an dem das Schicksal des TSV 1860 München eine Wendung erfahren sollte, auf die der Klub nicht vorbereitet war. Andererseits, was heißt Schicksal? "Das Schicksal mischt die Karten, und wir spielen", hat Arthur Schopenhauer mal geschrieben. Der TSV 1860 München hat nach diesem Tag weitergespielt. Nur hat er halt überwiegend verloren.

Am 22. Mai 2005 hat die erste Mannschaft des TSV 1860 ihr bislang letztes Pflichtspiel im Grünwalder Stadion ausgetragen, in das sie zwölf Jahre später, an diesem Freitag um 19 Uhr, zurückkehren wird. Gespielt wurde damals keine belanglose Partie: Hätte die Mannschaft von Trainer Reiner Maurer gegen den LR Ahlen gewonnen und zeitgleich Burghausen in Frankfurt einen Punkt geholt - Sechzig wäre nach nur einem Jahr in der zweiten Liga sofort wieder aufgestiegen. Die Münchner verloren trotz Toren von Marcel Schäfer, Remo Meyer und Jiayi Shao 3:4, was letztlich sogar egal war, weil Burghausen nach einem 0:3 bei der Eintracht die Heimreise antrat. Also bestieg niemand ein Podest am Marienplatz am 22. Mai 2005. Und 1860 zog kurz darauf in die Arena in Fröttmaning, als geprügelter Zweitligist, nicht als euphorisierter Bundesligist.

Als das Spiel vorbei war, liefen die Spieler des TSV 1860 vor die Westkurve, um sich bei den Fans für die Unterstützung zu bedanken. Und irgendwann sagte der Ersatztorwart Michael Hofmann etwas nicht ganz so Raffiniertes: "Wir hoffen, dass ihr nächste Saison mit uns nach Fröttma . . . " Getöse übertönte Hofmanns Stimme, Pfiffe und Schreie erklangen in der Westkurve, und manche von denjenigen, die noch heute von anders denkenden Fans als die "Ewiggestrigen" diffamiert werden, skandierten "Grünwalder Stadion!". Sie wollten Giesing nicht verlassen.

Wenn die Fans mal wieder alles besser wissen: Ein prophetischer Schriftzug hängt bei der Partie gegen Ahlen im Grünwalder Stadion. (Foto: imago)

Jaja, was wäre wenn.

Kurz vor diesem vorerst letzten Pflichtspiel in der Betonschüssel, die einmal Sechzgerstadion geheißen hatte, ehe sie der Klub (natürlich mangels Geldes) auf den Tag fünf Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs für 357 560 Reichsmark endgültig an die Stadt München übertragen musste, waren 400 Fans in einem als Demonstration angemeldeten Trauerzug durch Giesing gezogen. Die Teilnehmer waren angehalten, eine dem Anlass "angemessene Kleidung" zu wählen. Also trugen sie schwarze Anzüge unter ihren weiß-blauen Kutten und dazu schwarze Krawatten. Und dann sangen sie den Schlager "Die Sonne scheint bei Tag und Nacht - im Grünwalder Stadion" zur Melodie von "Eviva España". Ein anderer Spruch, den sie intonierten, zielte auf die Wildmosers: "Karl-Heinz hat den Verein verkauft." Immerhin hatte besagter Karl-Heinz ein WM-Stadion als gleichwertiger Partner des FC Bayern hochziehen wollen. Hat halt nicht geklappt. Gut, weiß man jetzt.

Wobei, hätte es geklappt, wenn Sechzig gegen Ahlen und Burghausen . . . ? Ach.

Das für den Beobachter intellektuell Prickelnde an 1860 ist ja, dass es zu jedem Thema eine schier unendliche Bandbreite an Meinungen gibt. Und deshalb gibt es sogar eine Fraktion, die behauptet, das ursächliche Gründübel des sportlichen Niedergangs sei der vorübergehende Umzug aus dem Olympiastadion in das Grünwalder Stadion gewesen, den der damalige Präsident Karl Auer nach dem Abstieg 2004 veranlasst hatte. Die Logik dahinter: Ein Jahr lang konnte Sechzig den Klub nicht so gut vermarkten, hatte deshalb weniger Einnahmen und letztlich schlechtere, weil billigere Spieler - die dann halt den sofortigen Wiederaufstieg versaubeutelt haben.

Am Abend nach dem 3:4 gegen Ahlen gab es trotzdem noch eine Feier bei 1860. Nur halt nicht am Marienplatz, sondern im sogenannten VIP-Zelt am Trainingsgelände, das es in der nun anstehenden Saison übrigens wieder geben wird, nur halt in abgewandelter Form - als Almhütte! Im Zelt wirkten alle Beteiligten nahezu unwirklich bis irre gefasst. "Natürlich wäre es schöner in der ersten Liga, da wäre vieles einfacher, in allen Bereichen", sagte Manager Roland Kneißl, "aber wir können ja deshalb den Verein nicht zusperren." Und Präsident Auer versprach noch am Abend, die Mannschaft nicht nur mit Stefan Reisinger, Fabian Lamotte und Torben Hoffmann zu verstärken, es sollten auch noch "ein, zwei Verstärkungen, überwiegend für das Mittelfeld" kommen. Dann sagte Auer: "Wir werden finanziell an unsere Grenzen gehen." Zwölf Jahre später war der Klub dann so pleite und an seinen Grenzen, dass sogar sein 2011 mangels Geldes gelockter Investor nicht mehr zahlen wollte. Oder konnte.

Mit Schicksal hat es vielleicht doch eher wenig zu tun, dass der TSV 1860 München am 21. Juli 2017 zurückkehren wird auf Giesings Höhen.

© SZ vom 19.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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