Rodel-WM:Tränen nach der Schlangengrube

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Siegerinnen unter sich: Natalie Geisenberger (re.) und Martina Kocher. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Fast alle Goldränge werden am Königssee von Einheimischen belegt. In Erinnerung bleibt die Freude der Schweizerin Kocher.

Von Volker Kreisl

Die entscheidende Stelle der Bob- und Rodelbahn am Königssee befindet sich schon im oberen Drittel, ungefähr nach 20 Sekunden Fahrt. Der Rennrodler hat da gerade eine verwirrende Rechts-Links-Rechts-Rechts-Scharflinks-Scharfrechts-Verbindung von sechs Kurven hinter sich. Direkt danach muss er - einigermaßen durchgeschüttelt - durch ein Nadelöhr treffen. Denn die Kurvenkombi mit Namen Schlangengrube endet recht plötzlich mit einer scharfen Rechtskurve, und wer nicht exakt die Mitte der Bahn trifft, den schlägt es rechts an die Bande. Manche Rodler prallen nochmal an die linke Bande, manche driften ungewollt bremsend weiter, in jedem Fall aber ist die Siegchance dahin.

"Einen Fehler nach der Schlangengrube kann man fast nicht mehr ausgleichen", sagt zum Beispiel Tobias Arlt, der bei der WM am Königssee mit seinem Partner Tobias Wendl den Titel im Doppelsitzer verteidigt hat. Der Ausgang Schlangengrube ist derart anspruchsvoll, dass er zugleich auch einen Eingang zur Weltspitze darstellt. Wer hier dauerhaft sauber durchkommt, schafft es wohl auf allen Bahnen. Und je mehr vom Rest der Rodel-Welt dies hier zustande bringen, desto näher könnte diese eines Tages an die überlegenen Deutschen und deren Spitzen-Quartett aus Bayern heranrücken. Der erste Blick in die WM-Ergebnislisten war für alle nichtdeutschen Verbandsvertreter ernüchternd. Wie erwartet wurden fast sämtliche Gold-Ränge von Königssee-Rodlern belegt.

Die Doppelsitzer Wendl und Arlt, die Olympiasieger von Sotschi, gewann am Samstagvormittag. Die zweimalige Einzel-Weltmeisterin Natalie Geisenberger, Olympiasiegerin von Sotschi, holte sich ihren dritten Einzel-Titel. Felix Loch, Olympiasieger von Sotschi und Whistler, errang nach Sprint- auch Einzelgold. Und alle zusammen holten dann als Staffel noch Team-Gold. Alles in allem gewannen die vier in der unangreifbaren Art, in der sie wohl auch eine interne Klubmeisterschaft gewinnen würden, nur der Rahmen war ein anderer: 6000 Zuschauer an einer engen Rodelbahn bildeten eine Kulisse, die auch die vier Bayern nicht gewöhnt sind.

Die Entwicklung der schnellen Sportart geht langsam voran

Und hinter dem Quartett platzierten sich dann noch weitere Deutsche: Das Thüringer Duo Tobi Eggert und Sascha Benecken gewann Silber im Doppelsitzer, hinter Loch im Einzel errang Ralf Palik (Oberwiesenthal) Silber. Schon im neuen Sprintrennen, in dem per Fliegendstart die weniger athletische Konkurrenz und überhaupt die internationale Vielfalt gefördert werden soll, landeten hinter Sieger Loch nur Deutsche: Zweiter wurde Andi Langenhan (Zella-Mehlis), Dritter wurde Palik.

Der aktuelle Leistungsstand könnte die internationale Konkurrenz somit einigermaßen entmutigen, zumal sich die Abteilung Königssee am Höhepunkt ihrer Fähigkeiten befindet, im Schnitt 27 Jahre alt und beruflich über Bundeswehr oder Bundespolizei abgesichert ist und uneingeschränkten Spaß am Rodeln hat. "Wir denken noch nicht ans Karriereende", sagt Arlt. Andererseits werden auch Rodler älter, und von den jüngeren Konkurrenten aus Russland, Lettland und den USA schossen doch einige recht elegant heraus aus der Schlangengrube.

Die Russin Tatjana Iwanowa holte Bronze mit einem für diese Bahn durchaus knappen Abstand von zwei Zehntelsekunden auf Geisenberger. Es war der zweite Erfolg für sie nach dem Sieg beim Weltcup in Sigulda/Lettland. Das US-Team, im Schnitt 22 Jahre alt, bestätigte am Königssee, dass es offenbar schnell lernt. Britcher Summer und Erin Hamlin, die in diesem Winter in Salt Lake City und Lake Placid - den zwei amerikanischen Königssees - schon Weltcups gewonnen hatten, landeten auf den Rängen sieben und acht.

Das sind alles noch recht zarte Ansätze, doch anders als die Fahrt in der Bahn geht die Entwicklung im Rodelsport eben langsam voran. Will die Disziplin gemäß dem Olympiagedanken Vielfalt und Spannung hervorbringen, so muss die erdrückende Vormacht der Deutschen übergehen in eine gewöhnliche Favoritenstellung. Ein Blick in die Junioren- und Jugendweltcups ist da schon ermutigend. Aktuell sind die Deutschen da nicht dominierend, sie mischen sich in einem durchaus offenen Wettbewerb, an dessen Spitze auch der Österreicher Jonas Müller, der Lette Kristers Aparjods , ein russischer Doppelsitzer oder der italienische A-Jugendrodler Fabian Malleier stehen.

Und dass Geduld auch im internationalen Rodeln für Außenseiter zu einem großen Erfolg führen kann, das zeigte die Schweizerin Martina Kocher am Königssee. Sie gewann am Samstag Silber hinter Geisenberger - und sie hatte am Freitag den Titel im neuen Wettbewerb geholt, im Frauen-Sprint. Kocher hatte dabei etwas Glück, weil die Bahn für die Nachkommenden etwas wärmer und langsamer wurde. Andererseits hat es die 31-jährige Lehrerin aus Bern zu hoher Fahrkunst gebracht. Ihr war ein Weltklasselauf gelungen.

Und dann gab sie bei aller örtlichen Begeisterung für die Deutschen das Bild ab, das international von dieser WM bleibt: Kocher - wie sie als Führende des Finallaufs vor den Zuschauern stand, damit rechnete, wie immer von den nachfolgenden Deutschen kassiert zu werden, wie sie dann aber in Tränen ausbrach, als ihr zunächst Bronze sicher war, nervös auf der Stelle trippelte, als ihr die Silbermedaille nicht mehr zu nehmen war, und wie sie schließlich taumelnd durch die Gratulanten geschoben wurde, als sie, Martina Kocher aus der Schweiz, plötzlich Weltmeisterin war.

© SZ vom 01.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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