Revierderby:Sehnsucht nach den Erwachsenen

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Spektakuläre Rettungstat: Der Schalker Sead Kolasinac (in Blau) verhinderte durch eine riskante - aber faire - Grätsche von hinten gegen Christian Pulisic das späte Dortmunder Führungstor. (Foto: Stuart Franklin/Getty Images)

Borussia Dortmund beklagt das 0:0, leistete aber selbst seinen Beitrag dazu. In den ersten 45 Minuten schießt der BVB nicht einmal aufs Tor. Vor allem ein klaffendes Loch im Mittelfeld macht der Mannschaft zu schaffen.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Spätestens als auch Schalkes Hitzkopf Sead Kolasinac und Dortmunds Hitzkopf Sokratis in den Stadion-Katakomben verschwunden waren, schien sich Frieden und Zufriedenheit über das 149. Revierderby zu legen. Es erinnerte an einen Wahlabend ohne Sieger, und die Rhetorik übernahm das Kommando. Jeder rang dem intensiven, aber spielerisch lahmen Nullnull positive Aspekte ab. Der Einzige, der kritisch war, schien Mario Götze zu sein: "Wir haben zu Hause gespielt und hätten mehr investieren müssen", klagte Dortmunds WM-Held: "Ich bin nicht zufrieden. Es fühlt sich nicht gut an."

Manche nahmen das als ein Zeichen dafür, dass der BVB-Heimkehrer sich von Woche zu Woche in kleinen Schritten seinem tatsächlichen Niveau anzunähern scheint. Götze erwartet von sich und seiner Mannschaft offenbar mehr. Nach vier Bundesliga-Spielen ohne Sieg präsentierte er sich als Wortführer der Selbstkritik, was man von dem 24-Jährigen nicht gewohnt ist, was aber viele in Dortmund sich wünschen würden. "Für den Aufwand, den wir betreiben, müssen wir uns besser belohnen", sagte Götze, der auch gegen den westfälischen Erzrivalen in zwei, drei Szenen seine Möglichkeiten aufblitzen ließ, vor allem bei einem Alleingang mit anschließendem Doppelpass mit Ousamne Dembélé, den man - zumindest gefühlt - seit Jahren nicht von ihm gesehen hatte. Das lässt hoffen, weil Götze sich athletisch immer mehr seinem einstigen Level anzunähern scheint.

Das Derby ansonsten? Zwei Klubs, die beide gerne die Plätze zwei und drei in der Rangordnung des deutschen Fußballs für sich reklamieren, aber am Ende nur unter Beweis stellen konnten, dass sie "die Null" halten können, dass sie also eine gewisse Stabilität haben. Das können allerdings auch andere Klubs, wie Hertha BSC, Köln, Leipzig oder auch Eintracht Frankfurt vorweisen. Der kleine Unterschied, das kreative Moment, mit dem sich die beiden Ruhrpott-Giganten eigentlich vom Rest der Liga absetzen wollten, war an diesem Oktober-Abend viel zu selten zu sehen. Dortmund hat nach rund einem Viertel der Saison acht Punkte Rückstand auf die Bayern, Schalke gar 15. Trotzdem mochte man Schalkes Trainer Markus Weinzierl die Erleichterung abnehmen, als er die genau umgekehrte Gefühlslage zu Mario Götze formulierte: "Es fühlt sich gut an, weil wir mit dem Punkt zufrieden sind."

In den ersten 45 Minuten schießt der BVB nicht einmal aufs Tor

Nach der Niederlagen-Serie zum Saisonstart robbt sich das Weinzierl-Schalke inzwischen noch immer mühsam voran. Was bei Weinzierls früherem Arbeitgeber FC Augsburg allerdings als Erfolg gelten musste, nämlich tief gestaffelt und bärbeißig zu verteidigen, ist beim viel stärker besetzten Schalke nur die Pflicht, noch keine Kür. Weinzierls Gegenüber Thomas Tuchel hatte ähnliche Probleme, wenn auch auf leicht höherem Niveau. Dortmund verzeichnete zum ersten Mal seit Beginn der systematischen Datenerfassung keinen einzigen Torschuss in den ersten 45 Minuten, in den ersten dreißig davon hatte BVB-Sturmspitze Pierre-Emerick Aubeymeyang ganze zwei Ballkontakte. Das besserte sich zwar in der zweiten Halbzeit deutlich, weil Schalke dann noch tiefer um den eigenen Strafraum herum verteidigte. Schalke erspielte sich keine einzige zwingende Torchance, Dortmund am Ende immerhin drei, durch Götze, Aubameyang und einen Lattentreffer von Dembéle.

Während die Leistungsschau auf Schalker Seite noch ein paar Fragen mehr formulierte, trösten sie sich in Dortmund mit der Aussicht auf einen endlich fast komplett gesunden Kader. Selbst der Langzeit-Vermisste Marco Reus soll in etwa vierzehn Tagen wieder spielfähig sein. Auch Kapitän Marcel Schmelzer wird sehnsüchtig zurück erwartet. Gegen Schalke brachte Tuchel in der Schlussphase schon Raphael Guerreiro und André Schürrle aufs Feld, die ihre Verletzungen kuriert haben. Den Zugewinn an Qualität merkte man unmittelbar.

Das Zwischenfazit ohne die abgewanderten Spielgestalter Ilkay Gündogan, Henrikh Mkhitaryan und Mats Hummels lautet wohl: Allmählich brauchen Dortmunds junge Wilde eine Pause. Es wird Zeit, dass erwachsene Spieler wie Reus, Götze, Schürrle, Schmelzer und Europameister Guerreiro oder auch die diesmal nicht eingesetzten Marc Bartra und Nuri Sahin wieder mehr das Kommando übernehmen - und die erkennbar erschöpften Teenager Dembélé, Pulisic, Passlack und Mor häufiger Verschnaufpausen bekommen. Dortmund darf sich Hoffnungen machen, mit dieser Frischblut-Transfusion defensiv stehende Gegner wie Schalke dann wieder unter ernsthaften Druck setzen zu können.

In Dortmund wird allerdings auch diskutiert, ob mit dem Abklingen der Verletzungsmisere auch das im Derby erschreckende Loch in der Zentrale des BVB-Aufbauspiels behoben wird. Seit Saisonbeginn spielt der BVB mit nur einem defensiven "Sechser", meist Julian Weigl. Davor klafft eine Lücke.

© SZ vom 31.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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