Relegations-Held:Am richtigen Ort

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Nicolai Müller hatte beim HSV eine schwere Saison und war eine der Symbolfiguren für das Dilemma - nun wird er mit seinem Tor in der 115. Minute der Relegation zum Retter und zeigt damit, welch Glück es ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

Von René Hofmann

Mit einem Rucksack lässt sich schlecht Fußball spielen. Und Nicolai Müller sagt, dass er "einen ziemlich großen Rucksack" mit sich herumschleppte. Bis Montagabend. Bis zur 115. Minute der Relegationspartie zwischen dem HSV und dem KSC. In dieser Minute glückte Müller das 2:1 für Hamburg. In einer einzigen Sekunde fiel da ziemlich viel Ballast ab. Nicolai Müller ist jetzt für immer der Spieler, der den ersten Abstieg des einzigen Bundesliga-Gründungsmitglied verhinderte, das noch nie abgestiegen ist. Ausgerechnet Müller!

Bis zu dem Moment, in dem er den Fuß vor dem Karlsruher Tor an die flotte Hereingabe brachte, galt der 27-Jährige als typische HSV-Personalie: ein talentierter, ambitionierter Kicker, dessen Talent und Ambitionen zu sehen sind. Bis er zum HSV kommt. Bis vergangene Saison spielte Müller beim FSV Mainz 05, wo er durch eine Dynamik auffiel, die er zuvor schon in der zweiten Liga bei Greuther Fürth gezeigt hatte und die auch seine Nominierung für die USA-Reise der Nationalmannschaft 2013 gerechtfertigt hatte. Kaum in Hamburg aber, war von der Dynamik wenig zu sehen. Müller war eine der Symbolfiguren für das HSV-Dilemma dieser Saison: Der hatte sich ja mit viel Geld eine ganze Mannschaft gebaut, die nicht funktionierte. Und doch ist Müller ein Sonderfall.

Der HSV-Held: Siegtorschütze Nicolai Müller. (Foto: Daniel Naupold/dpa)

Er ist keiner wie Rafael van der Vaart, eine im Ausland gereifte Größe mit schillerndem Privatleben. Müller ist ein Profi aus der Mitte der deutschen Gesellschaft. Er stammt aus Wernfeld in Mainfranken, einem Dorf mit 1200 Einwohnern und zwei Fußballplätzen. Im Alter von zehn Jahren wechselte er zur Jugend des Bundesligisten Eintracht ins rund hundert Kilometer entfernte Frankfurt. Die Aussicht, die gewohnte Umgebung für ein Leben im Sport-Internat einzutauschen, behagte ihm gar nicht. Also begann ein reger Pendelverkehr: Dreimal in der Woche brachten ihn die Eltern mit dem Auto zu Training und Spielen. Jahrelange Mühen, die mit 16 plötzlich vergeblich wirkten: in der U17 schickte der Bundesligist Müller weg. Der wechselte zur SpVgg Greuther Fürth, die ihn dann aber erst mal nach Sandhausen auslieh, bevor sie ihn wirklich mitspielen ließ. Müller hat sich übers Land bis in die Weltstadt Hamburg gespielt, deren Vorzeigeklub er nun in der Bundesliga hielt.

Auch in der entscheidenden Relegations-Partie glänzte er keineswegs durchgängig. Erst in der 77. Minute wurde er eingewechselt. In der 78. Minute, beim 0:1, stand er nicht weit weg vom Karlsruher Torschützen Yabo. Bis er fünf Minuten, bevor es Elfmeterschießen gegeben hätte, den Fuß zu seinem zweiten Tor für den HSV an den Ball bekam und zeigte, welch großes Glück es ist, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.

© SZ vom 03.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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