Reiten:Der Skorpion erinnert sich

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Noch vier Jahre später hat die Reiterin Bettina Hoy ihr Medaillen-Drama von Athen 2004 im Kopf - und die olympische Revanche in Peking fest vor Augen.

Gabriele Pochhammer

Auf den großen Auftritt versteht sie sich noch immer. Bei der Verfassungsprüfung in Luhmühlen, wo sich die Pferde vor dem Springen noch einmal Richtern und Tierärzten zeigen, lässt Bettina Hoy ihren 17-jährigen Schimmel Ringwood Cockatoo einen Moment verharren, gibt ihm Gelegenheit, erhobenen Hauptes in die Runde zu schauen, so als wollte er sagen: "Ihr wisst doch, wer ich bin, oder?" Der Sieger nämlich der vorolympischen Sichtung und die Nummer Eins des deutschen Olympiateams.

"Ich vergesse nichts": Bettina Hoy auf Ringwood Cockatoo. (Foto: Foto: dpa)

Mehr als 30 Jahre lang dreht sich das Leben der 45-Jährigen Westfälin, die mit ihrem australischen Mann Andrew Hoy in Großbritannien lebt, nun um den Vielseitigkeitssport. Sie hat immer noch die zierliche Figur, den geraden Blick und die schnellen Antworten parat. Anderes hat sich geändert: Die ultrakurzen Miniröcke - jeder Mannschaftsrock wurde früher dreimal an der Taille umgeschlagen - die frechen T-Shirts und die High Heels, mit denen Bettina Overesch, so der Mädchenname, früher ihre Rösser vortrabte, sind dem elegant-klassischen Karo-Blazer gewichen. Ganz die Lady vom Lande, die Nachbarin von Prinzessin Anne.

Das Tribunal als Trauma

Drei Jahrzehnte lang Erfolge und Niederlagen, Wechselbäder von Goethe'schen Dimensionen: himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Von den ersten Auftritten als Junior mit der dicken schwarzen Stute Dodo über den Iren Peace Time, der ihr zu Olympia-Bronze 1984 verhalf, über den EM-Titel 1997 mit dem Schimmel Watermill Stream bis hin zu den beiden Goldmedaillen in Athen mit Ringwood Cockatoo, die sie und das Team wieder abgeben mussten, weil der Sportgerichtshof Cas dem Einspruch von Amerikanern, Franzosen und Briten nachgab. Bettina Hoy hatte die Startlinie versehentlich zweimal überquert, die Uhr war falsch angesprungen, die Zeit falsch gemessen, ein Vorteil war ihr nicht entstanden. Viele Leute hatten Fehler gemacht damals, aber Bettina Hoy und mit ihr die deutschen Reiter waren die einzigen, die dafür büßen mussten.

Diese Tage wird sie nie vergessen: Das Tribunal vor dem Cas, die eingeflogenen Staranwälte der Gegner, deren Fragen sie sich stellen musste. Neben ihr allzeit Andrew, der fast so viele Tränen vergoss wie seine Frau. "Das war wichtig, zu spüren, du bist nicht allein." So schnell wie möglich flüchtete sie aus der Olympiastadt "Ich habe mich zu Hause verkrochen, bei meinen Eltern. Da kam keiner an mich heran."

Zuhause in Rheine, wo die Mutter einen Reitsportladen betreibt und der Vater eine Reitschule, tankt sie Kraft, bis heute. Die Rückkehr nach England, wo man ihrem Desaster eine Gold- und eine Bronzemedaille verdankte, war schwer. Nach Burghley, dem großen Herbstereignis nördlich von London, kam sie nur zu Fuß. "Mit Hut und großer Sonnenbrille, damit mich nicht jeder anquatscht." Einige taten es doch, und machten ihr Mut. "Viele haben sich auch geschämt für die ganze Sache", sagt sie.

Erfahrung als Vorteil

Mit den Reitern gab es die wenigsten Probleme. Auch mit Leslie Law hat sie sich ausgesprochen. Dem Briten wurde Bettina Hoys Goldmedaille umgehängt. "Es ist doch meine Medaille", sagt sie bis heute. "Ich bin Skorpion, ich vergesse nichts." Viel Glück habe den anderen das nachgereichte Gold übrigens nicht gebracht. Und dann zählt sie auf: Bei Leslie Law brach eine seltene Krankheit aus, er verlor alle Haare, löste seine Verlobung und wanderte nach USA aus. "Dort ist er im sportlichen Niemandsland abgetaucht." Auch die anderen Reiter waren nach Hoys Schilderung in den folgenden Jahren nicht vom Glück verfolgt, einige stürzten schwer, andere verloren ihre Pferde. Ihr Genugtuung zu unterstellen, wäre unfreundlich, aber der Gedanke an eine Art ausgleichende Gerechtigkeit hat offenbar etwas Tröstliches und hilft, die Niederlage zu ertragen.

In jenem Herbst 2004 hatte Bettina Hoy die Lust am Reiten eigentlich verloren. Bis sie nach Irland auf ein kleines Turnier mit jungen Pferden ging und mit strahlenden Augen aus dem Gelände kam. "Jetzt weiß ich wieder, warum ich im Gelände reite", sagte sie, "weil es Spaß macht, die Medaillen kommen erst in zweiter Linie." Gewinnen will sie trotzdem, jetzt mehr denn je. Denn auch wenn die Deutschen in Aachen 2006 in fast derselben Besetzung wie in Athen Mannschaftsweltmeister wurden - die olympische Revanche steht noch aus, von dem Gedanken ist sie geradezu besessen. Am liebsten würde Bettina Hoy deswegen mit denselben Reitern nach Hongkong fahren, die mit ihr den Athen geritten und gelitten haben. Fast ging ihr Wunsch in Erfüllung: Außer ihr wurden Ingrid Klimke, Hinrich Romeike und Frank Ostholt nominiert, nur Andreas Dibowski musste Peter Thomsen Platz machen und steht nun auf der Reserveliste.

Das Durchschnittsalter der Olympia-Reiter beträgt rund 38 Jahre, da kommt viel Erfahrung zusammen. Ein Vorteil, findet Bettina Hoy: "Denn gerade bei der großen Hitze in Verbindung mit hoher Luftfeuchtigkeit, die wir in Hongkong erwarten, werden die Reiter im Vorteil sein, die früher noch lange Prüfungen geritten sind, die wissen, wie sich ein erschöpftes Pferd anfühlt." Die langen Prüfungen, bei denen das Pferd bis zu 20 Kilometer laufen musste, wurden verkürzt. Knapp sieben Kilometer Cross sind übrig geblieben, doch die können in Hongkong lang werden. Bettina Hoy hat keine Angst davor, sie kennt ihr Pferd und sie kennt ihr Ziel. Von wegen Schwamm drüber.

© SZ vom 17.06.2008/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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