Reck-Finale:Atemlos

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Fabian Hambüchen und Andreas Bretschneider verpassen bei der Turn-WM am Reck die Medaillen. Vor allem Bretschneider hadert mit seiner Übung.

Von Volker Kreisl, Glasgow

Fabian Hambüchen stand auf und verneigte sich kurz. Sein Kopf war rot, seine Brust pumpte noch heftig, dann schnappte er sich die Schachtel mit seinem Magnesia-Pulver und ging. Auch diese letzten Abläufe am Reck sind nach 13 Jahren als WM-Turner eingespielt, nur diesmal war Hambüchen als allerletzter Turner der gesamten Veranstaltung am Sonntagabend nicht das Bild des deutschen Reck-Erfolges. Vielmehr repräsentierte es das, was den Männern des Deutschen Turnerbundes zurzeit fehlt: Zeit und Ruhe zum Ausruhen und Aufholen.

Neben Hambüchen war auch der zweite deutsche Vertreter in diesem Reckfinale gescheitert. Die versteinerte Miene von Andreas Bretschneider, dem 26-jährigen Turner aus Chemnitz, war ähnlich deutlich. Er war von sich selber enttäuscht, denn Bretschneider hatte die eigene Parade-Vorführung persönlich zunichte gemacht. Sein schweres Flugelement hatte er einwandfrei vorgeführt, fast auch alles andere danach, aber beim Abgang erging es ihm genauso wie Sophie Scheder am Stufenbarren: Vorlage - und ein Riesenschritt neben die Matte, gewissermaßen ins Aus. Am Ende wurde Bretschneider Fünfter und Hambüchen Siebter, die Besten waren weit weg: Gewonnen hatte das Finale einmal mehr der Japaner Kohei Uchimura, der seine dritte Medaille bei dieser Veranstaltung holte. Auf den zweiten Platz kam Danell Leyva aus den USA vor Manrique Larduet aus Kuba.

Fabian Hambüchen hatte bereits seine Teilnahme am Mehrkampf wegen einer Erkältung abgesagt, die ihm nun oben an der Reckstange offensichtlich zu schaffen machte. "Ich war nicht so spritzig wie sonst", erklärte er. Dann ergab ein Problem das andere: Das erste Flugelement geriet zu nah an die Stange, weshalb er, statt eine Felge durchzuturnen, wieder neu aufschwingen musste. "Das ist mir zwar ganz gut gelungen", sagte er, "aber es kostet auch Kraft." Weil es danach noch einmal passierte, geriet wohl auch der Adler arg schief, beim Abgang ging Hambüchen in die Knie, landete auf den Händen, und brauchte ein, zwei Sekunden, bis er wieder auf den Beinen war. Einen schlechteren Ausführungswert hat er wohl noch nie in einem großen Finale bekommen.

Die Spritzigkeit war bei Bretschneider nicht das Problem, eher das Gegenteil. Er war voller Elan, und im nachhinein kann er nicht ausschließen, dass sein als Sturz gewerteter Schritt ins Aus auch mit den fliegenden Gedanken nach der gelungenen selbst kreierten Höchstschwierigkeit zu tun hatte. Es sei jedenfalls danach alles fast zu leicht gelaufen. "Vielleicht ist mir etwas durch den Kopf gegangen, was mich etwas abgelenkt hat", sagte er.

Acht Zehntel waren also weg, doch mit den Folgen wollte sich Bretschneider nicht befassen: Mit seinem Schwierigkeitswert wäre er damit sicher in die Medaillenränge vorgestoßen, Bretschneider beschäftigte vielmehr die Frage nach den Abgründen der eigenen Wettkampfpsyche: "Was nützt es mir, wenn ich die schwierigste Übung der Welt beherrsche, und dann bei den ganz einfachen Sachen stürze, die ich eigentlich im Schlaf turne?"

Auch er ging mit hängenden Schultern davon. Auf seinen Bundestrainer, Andreas Hirsch, kommt nun die Aufgabe zu, eine Mannschaft, die kollektiv am Pauschenpferd und damit in der Team-Qualifikation an der direkten Olympiateilnahme gescheitert war, die nun auch in den Finals dieser WM mit zwei bösen Rückschlägen zu tun hat, wieder aufzurichten. Er muss sie auf die kommenden Ziele einstimmen, die Nachqualifikation für Olympia beim Test-Wettkampf in Rio. Zumindest eines ist diesmal nicht passiert: Seine Turner fahren verletzungsfrei nach Hause.

© SZ vom 02.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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