Rafael van der Vaart:Die Angst besiegt

Lesezeit: 3 min

Rafael van der Vaart ist ein Solist, der im Team glänzt. Beim Hamburger SV gibt er im Moment die perfekte Nummer Neuneinhalb.

Jörg Marwedel

Es war kein schönes Uefa-Cup-Spiel am Donnerstagabend zwischen dem Hamburger SV und Stade Rennes. Ein typischer Stevens-HSV hat bei dem 3:0-Sieg vor allem gezeigt, dass er auch mit wenig Aufwand optimale Ergebnisse erzielen kann. Ein paar Spielzüge aber waren doch dabei, an denen sich Fußballerherzen erwärmen konnten. Szenen, die allesamt mit Rafael van der Vaart zu tun hatten. Sie zeigten ziemlich präzise, weshalb der holländische Kapitän des HSV neben Werder Bremens Diego und Bayern Münchens Franck Ribéry derzeit die wichtigste Figur ist unter den knapp 500 Bundesliga-Spielern.

Er gibt dem Ton an beim HSV: Rafael van der Vaart. (Foto: Foto: Getty)

Einige genial-einfache Pässe waren dabei, etwa auf Maxime Choupo-Moting, der die Vorlage zum 2:0 verwandelte. Einmal ein Schuss aus 20 Metern aus der Drehung, der als Flatterball den französischen Keeper Pouplin vor heftige Probleme stellte. Und dann war da noch dieses 1:0, das er selbst mit einer Eiseskälte erzielte, nachdem ihn Stürmer Ivica Olic wunderbar bedient hatte. Van der Vaart hat nach seinem 14. Europacup-Tor für die Hamburger vor allem auf Passgeber Olic gezeigt.

Womöglich ist genau das eine seiner wichtigsten Stärken: Obwohl er genau weiß, dass er ein ungewöhnliches Talent als Regisseur hat, ist er ein Mannschaftsspieler. Jemand, dem es wichtig ist, in einem Verbund aufgehoben zu sein und der ein gutes Miteinander braucht - anders als manch anderer Spielmacher, der vor allem Chef sein will. So hat er bei den Kollegen im August auch um Verständnis geworben, als er holterdipolter wegwollte zum FC Valencia wegen seines "Jugendtraums". Und als das nicht klappte, hat er den Kumpels versprochen, er werde weiterhin "hundertprozentig" für das Team da sein. Das hat er auf imposante Art bestätigt, mehr geht im heutigen Profifußball wohl nicht. Auch deshalb ist er so beliebt bei den Mitspielern.

Die erwähnten Szenen haben zudem genau beschrieben, was den Fußballer van der Vaart ausmacht außer den Hackentricks, die wenige so beherrschen wie er. Er ist kein klassischer Spielmacher, der aus dem Rückraum das Spiel schnell macht, obwohl er auch das kann. Im System des Trainers Huub Stevens ist er eine klassische Neuneinhalb. Das sind Spieler, die einerseits Zehner sind, also Spielmacher, andererseits aber auch Stürmer. Anders als echte Spielmacher, über die fast jeder Ball läuft, ist Rafael van der Vaart jemand, der als zweite Angriffsspitze auch einmal nicht zu sehen ist, bevor er plötzlich mit einer Finte den Gegner überrascht. Und weil der "Opta Daten Index", eine Art Katalog der Spielzüge, auch seine Torgefahr (acht Treffer in elf Bundesliga-Spielen), weit über 100 Flanken und fast 40 Torvorlagen gespeichert hat, gilt er nach dieser Aufstellung bislang als bester Bundesligaprofi der Saison 2007/08.

Rafael van der Vaart ist ein gefühlsbetonter Mensch, auch auf dem Spielfeld. Und er hat offenbar eine tiefe innere Sicherheit, die letztlich stärker ist als alle Zweifel. Als ihm Ende September 2005, er war erst kurz beim Hamburger SV, der damalige Kollege Sergej Barbarez zuraunte, er solle beim Uefa-Cup-Spiel in Kopenhagen in der 90. Minute den Elfmeter schießen, der darüber entschied, ob der HSV weiterkam, hat er den Ball genommen und verwandelt wie ein Roboter. Dass es sein erster Penalty im Profifußball war, das hat er erst später erzählt, und dass er "so viel Angst hatte wie noch nie in meinem Leben".

Eine ähnliche und doch andere Situation gab es noch einmal. Es war das erste Spiel, nachdem im Sommer sein Wechsel nach Valencia quasi geplatzt war. Die Fans hatten ihm eigentlich schon mit weißen Taschentüchern Lebewohl gesagt, nach dem Motto: Auch er ist nur ein Legionär. Da bekam der HSV beim Stand von 0:0 einen Elfmeter gegen Bayer Leverkusen zugesprochen. Diesmal nahm sich der 24-Jährige den Ball, als hätte er keine andere Wahl. Und verlud Leverkusens Keeper René Adler. Der Hamburger SV siegte am Ende 1:0, und auch diesmal räumte van der Vaart ein: "Ich hatte Angst. Ich hatte mir schon überlegt, was die Fans mit mir machen, wenn ich verschieße."

Rafael van der Vaart bekennt sich zu seiner Angst, und er überwindet sie. Das ist wohl seine wichtigste Fähigkeit. An das Nord-Derby in Bremen hat er bisher nur gute Erinnerungen. In der vergangenen Saison siegte der HSV 2:0 im Weserstadion. Und van der Vaart, die Mischung aus Torjäger und Regisseur, erzielte beide Tore.

© SZ vom 01.12.2007/lsp - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: